Bald ist es wieder soweit: Tausende Erstis und alte Semester finden ihr Leporello in der Post und beginnen mit der Planung ihres Studiums. Wie komme ich am schnellsten zum Hörsaal, welche Lektüre brauche ich und wie passen all diese Tutorien in meinen Stundenplan? Zu Anfang des Semesters gilt es oftmals, sich als Organisationstalent zu beweisen. Doch es gibt eine spezielle Sorte von Studenten, die sich mit diesen Fragen nicht befassen müssen. Scheinstudenten sind Studenten, die zwar immatrikuliert sind, aber keine Veranstaltungen an der Hochschule besuchen und nicht das Ziel haben, einen Abschluss zu erlangen. Doch warum sollte sich jemand einschreiben, ohne jemals zu studieren?

Der Arbeits- und Kostenaufwand, Scheinstudent zu werden, ist verhältnismäßig gering. Es gibt viele zulassungsfreie Studienfächer, in die sich einzuschreiben ein Kinderspiel ist. Auch der fällige Semesterbeitrag von momentan circa 120 Euro kann in Anbetracht der vielen Vorteile, die einem Studenten damit einhergehend geboten werden, als zivil angesehen werden. Denn diese sind ausschlaggebend bei der Entscheidung, Scheinstudent zu werden. Ein Großteil des angesprochenen Semesterbeitrags finanziert das Semesterticket. Es ist die günstigste Alternative, die Angebote der KVG zu nutzen und hochgerechnet ‚lohnt‘ sich ein Scheinstudium kostentechnisch allein schon hierfür. Ob der KVG durch Scheinstudenten ein finanzieller Schaden entsteht, ist dort ungeklärt. Wie auch die Hochschule selbst, ist sich die KVG der Existenz der Scheinstudenten zwar bewusst, besitzt über diese aber keine weitergehenden Informationen. Wenn ein Student sich exmatrikuliert oder das Studienfach wechselt, muss er darüber keine Rechenschaft ablegen und es gibt auch keine Rückmeldung von der Hochschule, wenn keine einzige Prüfung abgelegt wurde.

Hochrechnungen über Scheinstudenten zu erstellen, scheint ein unmögliches Unterfangen zu sein. Dies mag daran liegen, dass ein Scheinstudent nur schwer von einem normalen Studenten zu unterscheiden ist. In der Laufbahn fast jedes Studenten gab es schon einmal ein Semester, in dem aus den verschiedensten Gründen Prüfungsleistungen nicht abgelegt werden konnten oder weniger Veranstaltungen besucht wurden, als eigentlich im Studienverlaufsplan vorgeschrieben. Auch ist in einigen Fällen die Definition von Scheinstudent schwer: So der Fall eines Studenten, der sein Studium mit Interesse und Erfolgsabsichten begann, in den darauffolgenden Semestern aber nicht oder nur kaum aktiv studieren konnte, da seine Eltern erkrankten und er sie pflegen musste. Eingeschrieben blieb er aus Hoffnung darauf, das Studium doch wieder aufnehmen zu können. Es kann auch vorkommen, dass ein Studium mit Interesse begonnen wird, im Laufe dessen aber Zweifel daran aufkommen. Geisteswissenschaftler sind in ständigem Zugzwang, die Relevanz des eigenen Faches zu beweisen. Besonders schwer haben es denjenigen, die eine Sprache studieren und damit kein Lehramt anstreben. Nach hunderten Witzen und solch gut gemeinten Ratschlägen wie mit dem Master in Neuerer Deutscher Literatur (NDL) doch eine Karriere als Taxifahrer anzustreben, kann die Motivation durchaus auf der Strecke bleiben.

Ein Student der Kunstgeschichte, Philosophie und NDL suchte sich nach einigen Semestern tatsächlich einen ‚richtigen‘ Job – blieb aber trotzdem eingeschrieben. Nicht nur das praktische Semesterticket, auch die drohende BAföG-Rückzahlung, die nach offizieller Beendigung des Studiums zu leisten ist, führte zu dieser Entscheidung. Finanzielle Knappheit und auch die unterschiedlichen finanziellen Vorteile, die nur eingeschriebenen Studenten gewährt werden, sind weitere Gründe für ein Scheinstudium. Das Kindergeld, eine günstigere Versicherung und auch steuerliche Vorteile bekommt nur, wer eine gültige Studienbescheinigung vorzeigen kann. Nach Leistungsnachweisen wird oft nicht gefragt. Die Mehrheit der Scheinstudenten schreibt sich allerdings nicht mit der Intention ein, Scheinstudent zu werden, sondern beginnt ein Studium und erlebt im Laufe dessen entweder eine Phase der Orientierungslosigkeit oder will Zeit überbrücken. Nicht nur Geisteswissenschaftler, sondern auch Absolventen anderer Disziplinen haben Schwierigkeiten, nach dem Studium einen Arbeitsplatz oder eine anderweitige Beschäftigung zu finden. Auch die Zeit zwischen Bachelor und Master wird oft mit Neben- oder Gelegenheitsjobs und Praktika überbrückt, auf die Studenten höhere Chancen haben oder die sogar ausschließlich an Studenten vergeben werden.

Trotz all dieser offensichtlichen Vorteile, Student zu sein, zu werden oder zu bleiben – wenn auch nur zum Schein – stellt sich letztendlich dennoch die Frage, ob es legal und moralisch vertretbar ist. Ob und wem Schaden entsteht, wurde schon häufig diskutiert. Dass dieser Schaden vermutlich nicht allzu schwerwiegend sein kann, lässt sich daran erkennen, dass es von der Hochschule, Verkehrsgesellschaft oder anderen möglichen Leidtragenden keinerlei Gegenmaßnahmen gibt. Wo kein Kläger, da kein Richter. Rechtlich gesehen gibt es zwar widersprüchliche Meinungen über die Strafbarkeit von Scheinstudenten, de facto wurde aber noch nie jemand angeklagt. Die Vorteile des Studentenlebens zu nutzen ohne die erwarteten Leistungen zu erbringen, mag bedenklich sein. Doch nur die Wenigsten immatrikulieren sich gleich mit der Absicht, Scheinstudent zu werden. Vielfach führen die Umstände dazu und jeder Fall sollte individuell bewertet werden.

 

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