Am Tag, an dem ich von dir erfuhr, hätte ich eigentlich meine Tage bekommen sollen. Ich wachte morgens auf und mir war so übel, dass dein Papa mir erst einmal einen Eimer mit den Worten „Du bist eh schwanger“ brachte. Und dessen war er sich hundertprozentig sicher. Dein Papa ging zur Arbeit und ich schlief noch eine Weile weiter. Als ich wieder aufwachte und immer noch nicht blutete, beschloss ich den Schwangerschaftstest, den ich am Tag zuvor gekauft hatte, schon heute zu machen. „Ach, das ist doch viel zu früh“, schalt ich mich meiner Ungeduld und pinkelte in den Wacken-Becher von 2017. Kaum berührte der Test den Urin, zeigte er auch schon ‚positiv‘ an. Gut, das ging schnell. Da ich aber ein eher misstrauischer Mensch bin, zog ich mich an, ging zu Rossmann und holte mir einen weiteren Test. Auch dieser war positiv. Ich schickte deinem Papa ein Foto von den beiden Tests und bekam fünf Minuten später einen freudentränenreichen Anruf. So langsam machte sich auch bei mir die Gewissheit breit, dass es dich tatsächlich gab. Die ersten vier Schwangerschaftswochen waren wenig ereignisreich: Die werdenden Omas und Opas und die enge Freundin freuten sich sehr mit uns und ich war von einer ständigen Übelkeit geplagt, sodass ich mit meinem Eimer ging und er mit mir. Denn oben leuchteten die Sterne und unten kotzte ich.  

Passend zur Wiederaufnahme des Semesters nach den Weihnachtsferien wurde meine Übelkeit etwas besser. Dafür machten die anderen Schwangerschaftsbeschwerden mir umso mehr zu schaffen. Ich wurde unglaublich müde und kaputt, war kurzatmig, verlor jeglichen Appetit und mein Kreislauf war praktisch nicht existent. Besonders die fünfte bis siebte Schwangerschaftswoche verbrachte ich wie im Delirium. Ich lag den ganzen Tag nur im Bett, schlief zehn bis zwölf Stunden pro Tag und verließ mein Reich nur, wenn ich aufs Klo musste oder mir eine Kleinigkeit zu essen machte. Zu letzterem musste ich mich tagtäglich zwingen. Alles, was ich in dieser Zeit aß, waren Obst, Salat und ab und an eine 5-Minuten-Terrine. Dies ging so weit, dass ich mir eine Diät-App zum Kalorienzählen herunterladen musste, um wenigstens auf das Mindestmaß an Kalorien pro Tag zu kommen. Aber auch mein schlechter Kreislauf hatte keinen guten Einfluss auf mein Essverhalten zu dieser Zeit: Nicht selten kippte ich beim Karottensalatmachen in der Küche fast um. Schnell entwickelte ich Angst vor dem Aufstehen und Zu-viel-Machen. Ohnmachtsanfälle und Umkippen nach dem Aufstehen sind für mich schon lange keine Besonderheit mehr, aber in der Schwangerschaft ist dies nicht ungefährlich. So verbrachte ich meine Tage liegend im Bett, mit Andreas Fröhlich, der mir die Eragon-Reihe vorlas und deinem Papa, der mir ab und an einen Kuss und Trost vorbeibrachte.  
Uni-technisch lief nicht viel in dieser Zeit. Ich nahm an meinen drei Live-Veranstaltungen liegend im Bett teil und verschob alles andere auf später. Aber wirklich etwas mitnehmen konnte ich nicht. Mich 90 Minuten lang zu konzentrieren und auf einen Bildschirm zu starren war überraschend anstrengend. Andererseits konnte ich in dieser Zeit noch nicht einmal mehr Fernsehen gucken, meine Handyspiele spielen oder lesen, da ich davon Kopfschmerzen und Schwindel bekam. Alles in allem erinnerte mich diese Zeit sehr daran, als ich vor ein paar Jahren meine Antidepressiva absetzte und danach unter starken Entzugserscheinungen litt. Nur dass ich dieses Mal ‚nur‘ schwanger war. Die Legitimität meines Schlechtfühlens erschloss ich mir durch andere negative Schwangerschaftserfahrungsberichte. Nie zuvor hatte ich so negative Berichte gelesen oder gehört, denn bei den meisten scheint der Tenor zu sein: „Meine Schwangerschaft war so schön“ oder „Ich habe meine Schwangerschaft so genossen“. Doch wer tief gräbt, der findet. Und das nicht nur im Internet. Plötzlich hörte ich von allen Seiten von Müttern, wie schlecht es ihnen während dieser Zeit ergangen war. Eine bittersüße Erkenntnis, die ich gerne schon vorher gehabt hätte.  

Und dann kam in der achten Woche der erste, langersehnte Ultraschalltermin bei der Frauenärztin. Und plötzlich wurde alles noch ein bisschen realer. Denn da war ganz ohne Zweifel und nun eindeutig bewiesen ein kleiner Mensch in meinem Bauch. Noch konnten wir nicht viel erkennen. Deinen Kopf, deine Arme und deinen Schwanz (das evolutionäre Überbleibsel, welches zum Steißbein wird) konnte man erahnen, aber eins war ganz klar: Du bist unser Baby und wir liebten dich schon, bevor wir dich zum ersten Mal sahen. Nach diesem unbeschreiblichen Moment, sein Baby zum ersten Mal zu sehen, gerade so ein Menschlein, wurde ich richtig euphorisch und mir ging es langsam etwas besser. Ich konnte wieder etwas länger sitzen, ganze zwei Stunden hielt ich durch, und auch Spazierengehen, Fernsehen gucken und duschen waren wieder weniger anstrengend. Doch es war trotz allem weit entfernt von gut. Meinen Aufgaben und Verpflichtungen konnte ich nur bedingt nachgehen und da in den ersten zwölf Wochen die Wahrscheinlichkeit auf einen Abort hoch ist, erzählten wir nur unseren engsten Freunden und der Familie von dir. Dies führte immer wieder zu Gute-Besserungs-Wünschen, die merkwürdig zu empfangen waren. Es fühlte sich fast schon blasphemisch an, diese dankend entgegenzunehmen.

Passend zum Vorlesungsende und dem Start der Prüfungszeit begann die zwölfte Woche. Die Woche, mit der sich alles ändern sollte. Sie begann so schön wie nur irgend möglich: mit dem zweiten Ultraschalltermin. Und bist du gewachsen in den vier Wochen! Von einem daumennagelgroßen Menschlein zu einem richtigen kleinen, 5,1 cm großen Menschen. Du bewegtest dich so viel, hast gewunken und am Daumen genuckelt. Diese zwei Minuten Ultraschall waren eine der schönsten zwei Minuten, die ich je erleben durfte. Und sie leiteten das zweite Trimester, das sogenannte Wohlfühltrimester, ein. Zwar begann dies bei mir erst in der dreizehnten Woche, aber dafür nutzte ich dies gleich richtig aus: Ich ging nicht nur das erste Mal seit Beginn der Schwangerschaft wieder joggen, nein, mir ging es auch endlich gut genug, um alles, was ich in den letzten zwei Monaten an der Uni verpasst hatte, noch vor den Prüfungen nachzuholen. Perfektes Timing!  

Am Anfang der Schwangerschaft hätte ich nicht erwartet, dass diese mich körperlich so stark mitnehmen würde, dass es mein Leben für zwei Monate lahmlegen würde. Doch egal wie schlecht es mir auch ging, eins war immer präsent und überschattete alles andere: Die Angst, dass du, mein geliebter, kleiner Parasit, abgehen könntest. Jedes kleine Ziehen im Bauch versetzte mich in Schrecken. Jede Treppe, jede Straße, jeden steilen Hügel beging ich mit Achtung. Von dem Moment des positiven Schwangerschaftstest bis an unser Lebensende habe ich und werde ich mir Sorgen um dich machen. 
Für dich nehme ich gerne all die Strapazen auf mich, auch wenn ich zugeben muss, dass die neun Monate periodenfrei ein ziemliches Plus sind.  

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