Das Ende der Dekade setzt eine Entwicklung fort, die schon während der letzten Award Seasons abzusehen war: Streaming-Dienste wie Netflix etablieren sich abseits ihrer Massentauglichkeit als preiswürdige Filmschmieden. Das Netflix-Original Auslöschung von Alex Garland (Ex Machina) ist der vielleicht erste aus einer Reihe erstklassiger Titel.

Großes Kino in den eigenen vier Wänden

Motivisch dreht sich Auslöschung um die Themenkomplexe Veränderung, Weiterentwicklung – und die titelgebende Selbstzerstörung. Als Gegenentwurf zu aktuellen Action-Spektakeln präsentiert der Science-Fiction-Film seinen Ursprungsstoff (Auslöschung ist eine lose Adaption der Southern-Reach-Romane Jeff VanderMeers) als philosophisch anspruchsvolle, langsame und nicht selten intime Erzählung. Er schließt damit an eine Genretradition an, die Stanley Kubricks Klassiker 2001 – Odyssee im Weltraum seinerzeit vorbereitete.

Der Film ist durchzogen von Grenzen, zwischen und innerhalb der Figuren und auch innerhalb der fiktionalen Welt. Nach einem wunderbar beiläufig erzählten Meteoriteneinschlag auf der Erde entdecken Forscher*innen eine transparente, vielfarbige und sich ausdehnende Kuppel innerhalb der Everglades. Sie droht nicht nur das Feuchtgebiet, sondern Amerika und schließlich die ganze Welt zu verschlucken. Protagonistin Lena (Natalie Portman) dringt mit einem Team aus Forscher*innen in den „Schimmer“ getauften Schild ein, um dem Verschwinden ihres Ex-Mannes auf die Spur zu kommen. Schnell wird klar – jedes der Teammitglieder trägt ihre eigene Bürde, ihren eigenen Hang zur Selbstauslöschung. Im Laufe ihrer Forschungsreise in die bizarre Gegenwelt entfernen die anfänglichen Partnerinnen sich immer weiter voneinander, bis es zur absoluten Entgrenzung der Figuren kommt.


Einzigartige Science-Fiction

Die Grenze des „Schimmers“ erscheint nicht nur als Mauer, sondern immer wieder auch als Spiegel. Figuren, Verhaltensweisen von außerhalb spiegeln sich im Inneren der Haube, die von den Forscher*innen bald als Prisma verstanden wird, „das alles bricht und verändert“. Innerhalb des „Schimmers“ werden die Spielregeln der Schöpfung neu gemischt. Dieses Science-Fiction typische Motiv präsentiert der Film jedoch aufs Wesentliche konzentriert und mit einem einzigartigen ästhetischen Programm: Das Licht der dschungelartigen Sumpflandschaft, Spiegelreflexe im Wasser, später auch Flora und Fauna reichen ins Bunte, beginnen zu schimmern. Anstatt eine vollständig surreale Welt zu entwerfen, bietet uns Auslöschung ein flimmerndes, mandalahaftes Florida dar, das gerade durch die dezenten Abweichungen fasziniert.

Zum Finale zeigt es sich nochmal, das große Andere. Der Film läuft schließlich auf eine Klimax zu, die die eigene Seherfahrung herausfordert und einem noch große Fragen über die eigene Menschlichkeit mit an die Hand reicht. Science-Fiction, wie sie sein sollte: intelligent, nachdenklich, einzigartig.

Autor*in

Frederik ist 25 Jahre alt und studiert an der CAU Gegenwartsliteratur und Medienwissenschaft im Master. Er ist seit April 2019 Teil der Redaktion des Albrechts.

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