Nerds, das waren früher die Streber aus der ersten Reihe, mit Glasbaufenstersteinen vor den Augen und einem immer etwas zu eifrigen Gesichtsausdruck, die lieber in ihren Zimmern geblieben sind und am Computer gespielt haben, die ihre Nasen in dicken Wälzern vergraben haben und genervt waren, wenn sie kurz vor Ende des Kapitels ihr Buch zur Seite legen mussten. Etwas sonderliche Außenseiter eben. Innerhalb der Popkultur sind die wohl nerdigsten Vertreter die Jungs aus der Serie The Big Bang Theory. Verschroben, hochintelligent, sozial inkompetent und Riesenfans von Comics sowie allem, was auch nur im Entferntesten mit Fantasy zu tun hat. Da wird sich beim Mehrebenenschach gerne auch mal auf Klingonisch unterhalten. Für diese Szenen bekommen die Schauspieler Gagen in Millionenhöhe. Jim Parsons erhielt für seine Darstellung des Doktor Sheldon Cooper nicht nur vier Emmys, sondern auch einen Golden Globe.

Der Ausdruck „Nerd“ bezeichnet vor allem ein Klischee, das seine Wurzeln in US-amerikanischen Highschools hat. Dort ist er das Gegenstück zum allseits beliebten, sportlichen, aber geistig nicht gerade beschlagenen Quarterback. Am anderen Ende des Spektrums finden sich dann die Nerds, die Partys meiden und lieber Rollenspiele aufsuchen. Deshalb bekommen sie wohl auch nie ein Mädchen ab. Witzfiguren, über die sich vor allem lustig gemacht wird, weil sie durch ihre Andersartigkeit eine ideale Zielscheibe bieten. Dieses Unverständnis schlägt auch Sheldon entgegen, der mit seiner merkwürdig anmutenden Ausdrucksweise und seiner ausgeprägten Sozialphobie öfters selbst an seine geliebten Computer erinnert.

Heutzutage sind Nerds diejenigen, die große Konzerne gründen und auch in der Politik ein ziemlich großes Wörtchen mitzureden haben – und das nicht erst seit Bill Gates. Aktuelle Beispiele sind Julian Assange sowie Edward Snowden. Gerade die Leute aus der IT-Branche bestimmen und konzipieren die digitale Welt, in der wir uns tagtäglich ganz selbstverständlich bewegen. Nerdtum ist salonfähig, die Subkultur besteht längst nicht mehr nur aus vermeintlichen Witzfiguren. Es ist längst nicht mehr verpönt, zu seiner großen Leidenschaft für IT, Fantasy und Co. zu stehen und sie mit allen Mitteln zu verteidigen. Eine Diskussion über die Epicness von Herr der Ringe und Harry Potter und was denn nun besser ist (Always, nuff said), ist da noch die gesittete Form. Fandoms nehmen immer größere Ausmaße an. Wer mit elf Jahren sehnsüchtig auf seinen Hogwarts-Brief gewartet hat, kommt jetzt im zum Haus passenden T-Shirt in die Uni. Bei vielen sind die Glasbausteine mittlerweile zur stylischen Hornbrille geworden, welche die Grenze zum Hipster verwischt. Auch die Wirtschaft hat Nerds als Markt erkannt. Mittlerweile gibt es ganze Internetseiten speziell für diese Gruppe, wie den Nerd Moviepilot.

Wer sich jetzt wundert, dass bisher nur männliche Namen gefallen sind, dem gebührt ein „Hut ab!“. Mit dem Nerd-Image sind nämlich meistens nur Männer verbunden. Frauen und Computer? Sind die dafür überhaupt kompetent genug? Zumindest dem Klischee nach können die Nerds in Sachen Feminismus noch ziemlich viel lernen. Deswegen gibt es bei Beauty & The Nerd wohl auch immer nur eine durchgestylte Frau, die einem verschüchterten, nicht übermäßig attraktiven Mann zeigt, was er so aus sich machen kann, wenn er sich mal vom PC wegbegibt. Anders herum ließe sich das Schema wahrscheinlich nicht so gut verkaufen. Weibliche Nerds werden schlichtweg ausgeblendet, weil sie nicht dem Stereotyp entsprechen. Dabei werden Vorreiterinnen der Wissenschaft wie Emmy Noether und Marie Curie schlichtweg vergessen.

Trotz aller Kritikpunkte und Klischeeverbreitung: So langsam ist es cool, zumindest ein bisschen nerdy zu sein, zu seiner abgedrehten Leidenschaft zu stehen und sie auch nach außen zu tragen. Wurde man in der Grundschule vielleicht noch für sein extensives Wissen über Herr der Ringe belächelt, so finden sich mehr und mehr Menschen, die dasselbe Interesse teilen. Das kann zum einen dem Effekt zugeschrieben werden, dass Nerds in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind; eben durch die bereits erwähnte Popularisierung sowie den gesellschaftlichen Status, den einige Nerds erreichen. Dadurch werden Bill Gates und Co. zu Vorbildern. Allerdings kann es noch einen ganz anderen Grund haben. Wir alle werden älter und etwas erwachsener, auch wenn wir es vielleicht nicht wahrhaben wollen. Wir merken, dass Dinge, über die wir uns früher Gedanken gemacht haben, gar nicht so wichtig sind. Und wir verstehen, dass es wunderbar ist, für etwas zu brennen – egal, wie vermeintlich uncool unser Steckenpferd ist. Weil es uns eventuell ermöglicht, voran zu kommen und mit ganz viel Glück auch noch gerade auf diesem Gebiet erfolgreich zu sein. Deswegen ist es uns möglich, unseren inneren Nerd öfter rauszulassen als früher. Und das ist genau betrachtet ganz schön cool.

Titelbildquelle: popcultureblog.dallasnewsblogs.com

Autor*in

Maline ist 25 und studiert Deutsch und Politikwissenschaft im Master an der CAU. Sie ist seit Mai 2015 Mitglied beim Albrecht.

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