Micky Maltese: Eine Mäuseballade

Autor: Bruno Enna (Skript) & Giorgio Cavazzano (Zeichnungen)

Verlag: Egmont Comic Collection. 176 Seiten, Hardcover (farbig). 50 Euro.

© 2019 Disney

Obwohl die CSU die Grenzen Bayerns lieber heute als morgen dichtmachen würde, ist die Hauptstadt des Bundeslandes mitunter doch einer der wenigen Orte, an denen das vereinte Europa noch in schönster Form gelebt wird. Alle zwei Jahre findet hier im Sommer das Comicfestival München statt, das neben der einheimischen Szene besonders Zeichner aus Dänemark, Frankreich, Belgien, Spanien und Italien gleich scharenweise anlockt.

Letztere wurden 2019 von dem renommierten Disney-Künstler Giorgio Cavazzano angeführt, der im allgemeinen Festivaltrubel die Zeit fand, mit dem Albrecht über sein aktuelles Werk Micky Maltese – Eine Mäuseballade zu plaudern. Aus Cavazzanos Ausführungen, spricht dabei seine ungebrochene Liebe für den Comic – überhaupt konnte der Zahn der Zeit dem inzwischen 71jährigen (seit sagenhaften 58 Lenzen davon in Lohn und Brot bei Disney) wenig anhaben: Die Haarpracht des hochgewachsenen Venezianers ist noch mehr als ansehnlich (auch wenn sie sich längst von grau zu schneeweiß verfärbte), die Haut gesund gebräunt, die Körperhaltung kerzengerade.

Mit Micky Maltese zollt er nun einem Schlüsselwerk des italienischen Comics zu dessen fünfzigstem Geburtstag seinen Respekt: 1968 erdachte Hugo Pratt (1927-95), der wie Cavazzano aus Venedig stammt, die Südseeballade, einen wirkungsmächtigen Klassiker um den Seemann Corto Maltese, einen Kapitän ohne Schiff, der am Vorabend des ersten Weltkriegs im Pazifik zwischen die Fronten von Piraterie und Militär gerät. Obgleich Pratts transzendental-romantisch stilisierte Erzählung ebenso wenig dazu einlädt, sie mit Micky Maus, Goofy und Kater Karlo in denHauptrollen neu zu inszenieren, wie die zahlreichen Gewaltspitzen und sexuellen Konnotationen, gelingt es Cavazzano, die Stimmung seiner Vorlage treffend einzufangen und als jugendfreies, gleichsam nicht triviales Abenteuer neu zu erfinden.    

Entsprechend empfindlich reagiert er darauf, wenn schlecht informierte Zeitgenossen sein Werk als Parodie bezeichnen, nur weil Disney-Mäuse und -Enten darin vorkommen. Cavazzano selbst versteht seine Arbeiten als Hommagen, die weniger kommerziell sondern vielmehr primär von seiner Wertschätzung für andere Künstler motiviert sind. Auf die Adaption des finnischen Filmklassikers Der Mann ohne Vergangenheit angesprochen, zückt Cavazzano wie zum Beweis sein Smartphone und zeigt Fotos, auf denen er mit dessen Regisseur Aki Kaurismäki durch den Hafen von Helsinki flaniert, um ein Gespür für das Milieu der Vorlage zu erhalten.

Ursprünglich in zwei Ausgaben von Topolino, dem italienischen Pendant zum Lustigen Taschenbuch, erschienen, erfolgt die deutsche Erstveröffentlichung von Micky Maltese nun als auf 999 Exemplare limitierte und nummerierte, großformatige Sammlerausgabe. Darin wird Die Mäuseballade nicht nur um Bildvergleiche ergänzt, die zeigen, wie akribisch Pratts Originale mitunter adaptiert wurden, auch Cavazzanos komplette Bleistift-Vorzeichnungen sind enthalten. Selten hat ein Werk in seiner deutschen Publikation eine solche Aufwertung erfahren – selten hat ein Künstler sie so verdient wie Giorgio Cavazzano, dieser stille Gigant des italienischen Comics.

Doomsday Clock

Titel: Doomsday Clock Bd. 1-3

Autor: Geoff Johns (Skript) & Gary Frank (Zeichnungen)

Verlag: Panini. Je 108 Seiten, Softcover (farbig). 13,99 Euro.

© 2019 Panini Comics

Was die Südseeballade für den italienischen Comic ist, ist die Miniserie Watchmen (1986/87) für die amerikanischen Superheldenhefte: Eine Revolution des Erzählens, die nachfolgende Generationen von Autoren und Zeichner noch Dekaden später elektrisiert. Mehr noch: Ein heiliger Gral, den anzurühren einem Sakrileg gleichkommt. Trotzdem blieb die Kritik an der späten Fortsetzung Doomsday Clock, die in deutscher Übersetzung nun in einer vierbändigen Ausgabe veröffentlicht wird, sehr verhalten. Was war geschehen?

Man erinnert sich noch daran: In Watchmen gelang es dem ehemaligen Superhelden Ozymandias 1985 auf dem Höhepunkt des kalten Krieges einen drohenden nuklearen Winter abzuwenden, indem er eine außerirdische Invasion inszenierte und die verfeindeten Nationen gegen einen gemeinsamen Gegner vereinte, der nie existiert hatte. Allerdings musste er dafür nicht nur einen Anschlag inszenieren, der Millionen von Opfern forderte, sondern auch seinen ehemaligen Mitstreiter, den allmächtigen Dr. Manhattan, von der Erde vertreiben.

Doomsday Clock setzt nun im Jahr 1992 ein: Ozymandias Plan ist inzwischen aufgeflogen, der Ex-Superheld ist auf der Flucht, während sich die Spannungen zwischen Ost und West wieder dramatisch verschärfen. Einzig Dr. Manhattan könnte den Konflikt noch lösen und die Welt retten, weshalb sich Ozymandias auf die Suche nach seinem ehemaligen Weggefährten macht. Diese führt ihn in eine andere Dimension, die von seltsamen, ihm unbekannten Helden bevölkert wird, die Namen wie Superman oder Wonder Woman tragen.

In den ersten drei Bänden (das Finale steht noch aus) vollziehen Autor Geoff Johns und Zeichner Gary Frank (Batman: Erde Eins) diesen Brückenschlag, indem sie sich narrativ und formal eng an ihrer Vorlage orientieren und sie fast behutsam mit dem Superheldenkosmos der Gegenwart verknüpfen. Doomsday Clock gelingt es auf diese Weise, den Mythos Watchmen in die auslaufenden 2010er Jahre zu übertragen, ohne sich dabei an deren Konventionen anzubiedern. Das Visionäre von 1986 geht hier freilich verloren, dafür beschert die Serie den unzähligen eingefleischten Fans des Erstlings aber eine inspirierte Abfolge wohliger Déjà-Vus, die zumindest den Großteil erfolgreich davon abhält, die Fortsetzung in Grund und Boden zu bloggen.

Außerdem spielt der Zeitgeist Doomsday Clock in die Hände: Bei der titelgebenden Uhr handelt es sich bekanntlichum eine symbolische Zeitanzeige, an der sich ablesen lässt, wie weit die Menschheit von ihrer eigenen Auslöschung entfernt ist. Nach drei Dekaden der Entspannung wurden die Zeiger im Januar 2019 wieder dahin zurückgestellt, wo sie zuletzt vor 34 Jahren standen – auf zwei Minuten vor Mitternacht. Die nackte Angst von 1985 ist heute wieder erschreckend kleidsam geworden. (8/10) 

Hexe Total in Amsterdam

Autor: Simon Hanselmann

Verlag: Avant. 160 Seiten, Softcover (farbig). 25 Euro.

© 2019 Avant

Simon Hanselmann muss sich hingegen vornehmlich an sich selbst messen lassen – im Fall der von ihm erdachten Serie Hexe total ein echtes Problem: Die Geschichten um die ebenso depressive wie drogenabhängige Hexe Megg, ihren Junkie-Liebhaber Mogg (einen Kater!) und Mitbewohner Eule (einen mannsgroßen Uhu!!), der im Gegensatz zu seinen Freunden versucht, sein Leben auf die Reihe zu bekommen, gerieten bereits in den ersten beiden Sammelbänden derart drastisch, dass die Prime Time auf RTL2 dagegen wie ein Benimmkurs in sozialem Miteinander wirkte. Mit kindlich-naivem Stil inszenierte Hanselmann eine in mehrfacher Hinsicht toxische Beziehung, die die tiefsten Abgründe des Konzepts Freundschaft offenlegte.

Doch wohin soll es noch gehen, wenn man alle Extreme bereits ausgelotet hat? „Nach Amsterdam“, antwortet der Titel des dritten Bandes, der hier einen ebenso billigen wie effektiven Ausweg wählt, indem er seine Figuren einfach mal auf Reisen schickt. Megg und Mogg zieht es jedenfalls aus dem heimischen Australien nach Amsterdam, doch das erhoffte Drogenidyll finden sie dort nicht. Stattdessen schicken vertauschte Medikamente die Beiden auf einen Horrortrip, der auch belastbare Leser nachhaltig traumatisieren dürfte. Die Flucht in den Urlaub ist bei Hanselmann letztlich nicht mehr als ein Selbstbetrug, der bei der Heimkehr entsprechend mit einer niederschmetternden Erkenntnis quittiert wird: Zu Haus ist es am schlimmsten. Dieser Pessimismus ist nicht neu – sein Ausmaß hingegen schon. (7/10)

Infinity Wars

Titel: Infinity Wars Bd. 1: Die Hüter der Steine; Bd. 2: Die finale Entscheidung & Megaband: Infinity Warps.

Autor: Gerry Duggan (Autor) & Mike Deodato jr. (Zeichner) u.a.

Verlag: Panini. 148/172/356 Seiten, Softcover (farbig). 16,99/17,99/35 Euro.

© 2019 Panini Comics

Respekt verdient, wer mit offenen Karten spielt. Insofern gebührt Marvel Anerkennung dafür, dass der Verlag in seinem jüngsten jährlichen Großereignis Originalität nicht einmal mehr vorzutäuschen versucht: Bereits mit dem Titel plagiiert man sich selbst – eine Infinity War-Story gab es bereits 1992. Die erhält hier einfach ein Plural-S und fertig ist die Laube, programmatischer wurde selten aufgekocht. Die Handlung bedient sich derweil an anderer Stelle, nämlich bei den Amalgam Comics von 1996, dem zwischenzeitlichen Schulterschluss mit dem großen Konkurrenten DC, der populäre Helden wie Wolverine und Batman zu neuen Figuren wie „Darkclaw“ verschmolz.

Anno 2019 bleibt die Fusion verlagsintern, so werden etwa Iron Man und Thor zu „Iron Hammer“ oder Captain America und Dr. Strange zu „Soldier Supreme“. Als Hybride bevölkern sie die sogenannte „Warp-World“, in der sich niemand mehr an sein altes Leben erinnert – abgesehen von Loki, dem Halbbruder des Thor und nordischen Gott der Lügen. Entgegen seines Images setzt der nun alles daran, den Verantwortlichen für die Zwangsvereinigungen zur Rechenschaft zu ziehen und das Marvel-Universum wieder in seinen bekannten Zustand zu versetzen.

Infinity Wars gelingt dabei das seltene Kunststück einer Handlung, die den Leser verwirrt, obwohl sie eigentlich nur aus bekannten Motiven und Versatzstücken besteht. Dass es dennoch kurzweilig bleibt, ist dem Begleitband Infinity Warps geschuldet, der ergänzende Geschichten aus dem Leben der hybriden Helden erzählt. Zwar sind auch diese nicht allzu innovativ, sorgen aber zumindest für gute Laune: „Little Monster“ ist etwa eine Kreuzung aus Ant-Man und Hulk, die schrumpft je wütender sie wird und deren Körperkraft diametral zu ihrer Größe zunimmt. Infinity Wars – einfallslos und Spaß dabei. (5/10)

Batman Metal

Titel: Batman Metal Paperback & Batman Metal: Der Aufstieg der dunklen Ritter

Autor: Scott Snyder u.a. (Skript) & Greg Capullo/Jim Lee/John Romita jr. u.a. (Zeichnungen)

Verlag: Panini. 284/236 Seiten, Softcover (farbig). 28/24 Euro.

© 2019 Panini Comics

Wer damals im Physikunterricht gut aufgepasst hat, wird sich vielleicht noch erinnern: Jenseits unserer Wahrnehmung liegt das sogenannte „dunkle Multiversum“, eine Vielzahl alternativer Realitäten, die zum Untergang verdammt sind. Und auf jeder von ihnen gibt es einen Batman, der nicht bereit ist, dieses Schicksal zu akzeptieren. Also bricht er mit seinem Moralkodex, eignet sich brutal die Kräfte anderer Superhelden (oder -schurken) an und versucht, unsere Welt – die Überlebende – zu unterwerfen. Die steht aber bekanntlich unter dem Schutz des integren Original-Fledermausmannes, der nun eine ganze Schar bösen Doppelgänger in die Hölle zurückschicken muss, der sie just entstiegen sind.

Batman Metal ist folglich die Geschichte eines Mannes, der gegen Manifestationen seiner dunklen Seiten antritt. Das spricht auch den Psychologen an – eine Überdosis Feingeistigkeit muss man hier dennoch nicht befürchten. Stattdessen nimmt die Miniserie ihren Titel ernst: „Metal“ sind hier vor allem die Entstehungsgeschichten der sogenannten „Batmen aus der Hölle“, die der Begleitband Der Aufstieg der dunklen Ritter versammelt: Wenn die Fledermaus mit Flash zu„Red Death“ oder mit Cyborg zur „Murder Machine“ verschmilzt, regieren Pathos, rohe Kraft, markante Ikonografie und garstiger Humor. Die einzelnen Kapitel mit Songtiteln von Metallica oder Iron Maiden zu überschreiben, wäre da eigentlich schon gar nicht mehr nötig gewesen, um zu zeigen, wem hier die Glocke schlägt. Denn natürlich ist der dunkle Ritter ein echter Metal-Head: Er trägt schwarz, kuckt finster aus der Wäsche und geht nicht raus, solange die Sonne scheint – Beweisführung abgeschlossen. Eigentlich komisch, dass es so lange gedauert hat, bis diese Parallele malin den Fokus gerückt wird. Batman Metal ist schon jetzt die prädestinierte Urlaubslektüre für Wacken 2020: Hoch die Pommesgabel, Bruce Wayne! (8/10)

Wiederveröffentlichung des Monats: Blake & Mortimer

Titel: Die Blake-und-Mortimer-Bibliothek: Das Geheimnis der großen Pyramide

Autor: Edgar P. Jacobs

Verlag: Carlsen. 144 Seiten, Hardcover (farbig). 30 Euro.

© 2019 Carlsen

Der Schatten von Tim und Struppi war einfach zu groß: Nachdem Edgar Pierre Jacobs einige Jahre als Assistent an DEM großen Klassiker des europäischen Comics gearbeitet hatte, glaubte er sich 1946 bereit für ein eigenes Großwerk. Doch obgleich seine Serie Blake und Mortimer im Belgien der Folgejahre einhellig als Meisterwerk gefeiert wurde, erreichte sie nie eine vergleichbare Popularität – in Deutschland ist sie bis heute nur Eingeweihten ein Begriff.

Deren Kennerschaft wird gegenwärtig aber immerhin mit einer luxuriösen Neuauflage belohnt, die die originalen Alben mit allem erdenklichen Bonusmaterial noch einmal erheblich aufwertet. War das Debüt der Reihe, das zerfahrene Weltkriegsepos Der Kampf um die Welt,noch eine bessere Visitenkarte, zeigte Jacobs 1950 im Nachfolger Das Geheimnis der großen Pyramide erstmals das volle Ausmaß seines Könnens. Die Kombination ausladender ägyptischer Dekors, stilisierter, immer etwas distanziert wirkenden Figuren und gewaltiger Textblöcke etablierte eine ganz eigene Ästhetik des Abenteuercomics, die sich bis heute zu behaupten vermag. 

Für zusätzlichen Spaß sorgt zudem die Handlung, die die Konventionen der Serie schon ironisierte, bevor sich diese überhaupt erst richtig verfestigt hatten: Während der englische Professor Philip Mortimer in Ägypten nach dem Verbleib der legendären „Kammer des Horus“ sucht, für die sich auch eine Gruppe skrupelloser Verbrecher interessiert, glänzt die zweite nominelle Hauptfigur zunächst unentschuldigt durch Abwesenheit. Erst nach 43 Seiten tritt Captain Francis Blake, das Aushängeschild des britischen Geheimdienstes, doch noch in Erscheinung – nur um sich drei Seiten später niederschießen zu lassen und bis zum Ende wieder aus der Handlung zu verschwinden. Auch mit wenig Aufwand kann man ans Ziel gelangen. (8/10)

Short Cuts

Alejandro Jodorowsky & Franqois Boucq: Mondgesicht Gesamtausgabe 1: In einer apokalyptischen Zukunft ist die Erde von gewaltigen Tsunamis nahezu komplett verwüstet, einzig die kleine Insel Damanuestra hält aufgrund eines ausgefeilten Frühwarnsystems noch stand. Während religiöser Fanatismus, staatliche Unterdrückung und brutale Rebellengruppen die Gesellschaft von innen auszuhöhlen drohen, taucht unvermittelt der stumme Sonderling Borrado an der Küste auf, der scheinbar in der Lage ist, die Naturgewalten zu bändigen. Mondgesicht ist ein etwas in Vergessenheit geratener Klassiker franko-belgischer Science Fiction, eine Geschichte von Hoffnung und Dekadenz, die es sich nun in einer zweiteiligen Gesamtausgabe wiederzuentdecken lohnt. Der erste Band kompiliert die Alben Der mit der Welle tanzt (1993) und Die unsichtbare Kathedrale (1996) in einer mustergültigen Aufmachung, für deren Einband die Bezeichnung „bibliophil“ noch Understatement ist. (144 Seiten, Hardcover. 29,80 Euro)

Denis-Pierre Filippi & Fabrice Lebault: Spirou Spezial – Stiftung Z: Und noch ein Beitrag zum Thema „franko-belgische Klassiker und Science-Fiction“: Futuristische Elemente waren seit jeher ein Steckenpferd der Traditionsserie Spirou & Fantasio, mit Stiftung Z geht die Reihe den entscheidenden Schritt weiter und inszeniert eine alternative Ursprungsgeschichte der Figuren als Weltraumoper. Dass die Titelhelden dabei nicht mehr Page und Journalist, sondern Agenten sind, die in der Zukunft gegen eine übermächtige Geheimorganisation kämpfen, kann man als leidlich gelungene Anbiederung beim Star Wars-Publikum aburteilen – die Chuzpe mit der Autor Denis-Pierre Filippi (der schon die Micky Maus-Steampunk Episode Der verlorene Ozean verfasste) dabei zu Werke geht, verdient aber schon wieder Respekt. (77 Seiten, Softcover. 12 Euro)

Diverse: X-Men – Die Welt der Mutanten: Keine andere Superhelden-Saga verfügt über eine vergleichbare Fülle von Figuren wie die Abenteuer der X-Men, keine erzählt derart verschlungen in einem kaum überschaubaren Wust aus Haupt- und Nebenserien. Eine Anthologie, die gut 50 Jahre Publikationsgeschichte ordnet und nachvollziehbar macht, wäre daher zwar höchst willkommen, scheint gleichzeitig aber kaum möglich. Dem Sammelband Die Welt der Mutanten gelingt es zumindest recht überzeugend, die Publikationshistorie auf nur 11 Geschichten von 1963 bis 2013 herunter zu brechen. Dabei entsteht ein schlüssiger Streifzug durch die Welt von Wolverine, Storm und Co, der vor allem die Kunst des Wegsehens beherrscht: Die unsägliche Frühphase der Serie, in der Stan Lee und Jack Kirby nicht wussten, was sie mit den Figuren anfangen sollen, wird gnädiger Weise bereits nach 25 Seiten ad acta gelegt. (324 Seiten, Hardcover. 29 Euro.)

Chris Claremont/John Byrne: X-Men – Die Dark Phoenix Saga: Wer nun etwas tiefer eintauchen möchte, dem empfiehlt sich die wohl bekannteste Storyline der Serie aus dem Jahr 1980: Als Jean Grey, das damals mächtigste Mitglied der X-Men, von einem ihrer Gegner mental manipuliert wird, geraten ihre Kräfte außer Kontrolle, wodurch nicht nur die Erde, sondern eine gesamte Galaxie verwüstet werden. Während die Mutanten noch fieberhaft nach einer Möglichkeit suchen, die Naturgewalt, die einst ihre Freundin war, zu bändigen, ziehen kosmische Mächte Jean in die Verantwortung für ihre Taten. Dieses Jahr von der gleichnamigen Verfilmung trivialisiert, war Dark Phoenix vor knapp 40 Jahren DIE unerhörte Tragödie des Superheldencomics. Die opernhafte Inszenierung, der das ganz große Besteck der Emotionen gerade groß genug ist, hat seitdem nur wenig von ihrer Dramatik verloren. (220 Seiten, Softcover. 19,99 Euro)

Naoki Urasawa: 20th Century Boys Bd. 3+4: Wenn man futuristische Literatur rückblickend danach bewertet, ob die Ereignisse, von denen sie erzählt, tatsächlich eingetreten sind, ist 20th Century Boys (1999-2007) eine klare Niete. Denn natürlich hat am Silvester der Jahrtausendwende kein größenwahnsinniger Sektenführer einen riesigen Roboter tödliche Viren versprühend durch Japan stapfen lassen, um ihm selbst die Stirn bieten und sich zum Herrscher über das Land aufschwingen zu können. Und im Jahr 2014 hatte sich die Gesellschaft auch eher nicht in eine Mischung aus Polizeistaat und pervertiertem Freizeitpark verwandelt, in der nicht linientreue Jugendliche in virtuellen Realitäten ihre Loyalität auf Leben und Tod beweisen mussten. Fällt man sein Urteil allerdings basierend auf Dramaturgie und Spannungsaufbau, psychologischer Komplexität und Innovation, so kommt man nicht umhin, Naoki Urasawas Opus Magnum in die Reihe der großen Manga-Meisterwerke einzuordnen. Da trotz dutzender Figuren, die über einen Zeitraum von mehr als vier Dekaden agieren, eine sehr persönliche Geschichteüber den zivilen Widerstand gegen ein totalitäres Regime erzählt wird, hat die Vision von 20th Century Boys – obgleich zeitlich längst von der Gegenwart eingeholt – kein Korn Staub angesetzt. Mit Band 3 und 4 liegt aber erst die Hälfte der Serie in der selbst proklamierten „ultimativen Edition“ vor, es bleibt Urasawa folglich noch reichlich Zeit, sich in den ausstehenden Fortsetzungen auch als großer Prophet zu beweisen. (428/420 Seiten, Softcover. Je 19 Euro)

Scott Snyder/Trevor McCarthy & Jock: Batman – Die Pforten von Gotham & Der schwarze Spiegel: Das Jahr 2011 war eine interessante Zeit für den dunklen Ritter: Mit Bruce Wayne galt der ursprüngliche Batman (fälschlicherweise) als verstorben, das Kostüm übernahm nun dessen ehemaliger Sidekick Dick Grayson, der die Fledermaus weniger perfektionistisch aber umso emotionaler verkörperte. Gleichzeitig debütierte mit Scott Snyder ein Autor bei der Serie, der diese in der Folgezeit prägte, die kein anderer. Zwei seiner ersten Arbeiten werden nun wiederveröffentlicht: In Die Pforten von Gotham muss Batman eine Serie von Anschlägen auf prominente Bauwerke stoppen, indem er ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit seiner Heimatstadt aufdeckt, das ins Jahr 1881 zurückreicht. Der schwarze Spiegel ist hingegen eine Abfolge alptraumhafter Episoden, die Grayson psychisch und moralisch an seine Grenzen bringen und ihn in Abgründe führen, aus denen es kein Entrinnen zu geben scheint. (156/300 Seiten, Softcover. 15,99/29 Euro)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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