DER ALBRECHT: Marcel, vorab um dich vorzustellen: Du bist in der Hochschulgruppe „LinksAlternative Liste Kiel“ (LAL) vertreten und Mitglied des Studierendenparlaments der CAU (StuPa). Wie beschreibst du dieses Engagement?

Marcel Mansouri: Wir haben als LinksAlternative Liste ein ganz eigenes Verhältnis zu den studentischen Gremien. Wir sehen darin eine Plattform, die es engagierten Studierenden ermöglicht, sich zusammen zu setzen, um bestehende Strukturen und Probleme aufzugreifen und gemeinsam zu diskutieren. Insbesondere geht es uns darum, Studierende, die selbst aktiv werden, aber nicht in Gremien sind, mit der Infrastruktur zu unterstützen, die die studentische Selbstverwaltung zur Verfügung stellt.

Welchen Effekt hat dein Engagement auf deinen Alltag?

Einen ziemlich miesen und frustrierenden. Die gesamte konzeptionelle Arbeit erfordert viel Eigenarbeit und beinhaltet einen regen Austausch mit allen Beteiligten (aus den Hochschulgruppen und Gremien: Anm. d. R.). Anschließend folgt die gemeinsame Organisation zum „Öffentlich-Machen“ der ausgearbeiteten Projekte. 70-80 Stundenwochen sind bei uns daher z.T. durch Mehrfachbelastung üblich. Mir ist ein Rätsel, wie sich einige Studierende bei uns über die Einberufung der zwei Vollversammlungen beschwert und behauptet haben, dass wir dadurch deren Studium sabotiert hätten. Wir studieren doch selbst und sind davon mindestens genauso betroffen. Dass wir einen bestimmten Zweck mit den Aktionen verbinden, wird oft mit voreingenommener Haltung ausgeschlossen und trifft mich persönlich auch nachhaltig.

Wie steht es mit dem Nachwuchs beim AstA?

Insgesamt gibt es ein gravierendes Nachwuchsproblem. Das liegt nicht nur an mangelnder Bereitschaft, denn dieses Problem kann nicht getrennt von der Struktur der Bachelor- und Masterstudiengänge betrachtet werden. Die sehr straffen Studienverlaufspläne schaffen widrige Bedingungen: Ich nenne es einen strukturellen Maulkorb für ehrenamtliches Engagement und auch für jegliches andere Engagement außerhalb des Curriculums. Die mangelnde Bereitschaft vieler Institute, Bedingungen für mehr Flexibilität und Selbstbestimmung der Studierenden zu schaffen, ist ebenfalls ein Gräuel. Wenn sich diese Umstände nicht bald ändern, dann können wir den Laden künftig nur mehr schlecht als recht aufrecht erhalten. Es werden Wahlen durchgeführt werden, wo weniger Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt werden, als es Sitze in den Gremien gibt und die Wahl erübrigt sich dann.

Du hast die strukturellen Bedingungen an dieser Stelle sehr stark hervorgehoben. Inwieweit nimmst du die Studierenden in die Pflicht?

Natürlich ist die persönliche Einstellung des Großteils der Studierenden auch ein großes Problem. Man darf aber den gesellschaftlichen Kontext nicht vergessen. Wir leben in einer Gesellschaft, die sich als postideologisch wähnt, aber in Wirklichkeit ist in nahezu jedem kleinen Winkel Ideologie erkennbar. In unserer Gesellschaft herrscht ein Pseudo-Individualismus, dessen Auslebung die Gefahr birgt, den Bezug zu einem wirklich vorhanden Kollektiv zu verlieren. Das Individuum konstituiert sich immer in Bezug auf ein Kollektiv. Dieses Kollektivbewusstsein fehlt zur Zeit auf dem Campus. Die Gesellschaft, gesellschaftliches Handeln als kollektives Handeln, wird zunehmend privatisiert und atomisierten Einzelnen überantwortet. Was willst du dann noch von den Leuten erwarten, die an die Uni kommen? Die sind doch 18-20 Jahre dem herrschenden Schwachsinn der Gesellschaft ausgesetzt gewesen. Das soll aber keine Rechtfertigung sein, es geht vielmehr darum, Zusammenhänge zu erkennen und aufzuzeigen. Wir sollten die Pathologie einer politisch scheinbar desinteressierten, mindestens jedoch politisch inaktiven Studierendenschaft im gesellschaftlichen Kontext betrachten, anstatt die Probleme ständig auf das persönliche Unvermögen der Individuen zurückzuführen. Wenn 23 000 Studierende zu nichts eine Meinung haben oder ihre Meinung nicht öffentlich kundtun, dann können es nicht 23 000 Deppen sein. Ich will mich davor hüten, vorschnell zu urteilen.

Wird soziales Engagement an der Hochschule zur Genüge gewürdigt?

Wenn man eine 70-80 Stundenwoche hat und sich bis ans Limit aufreibt, dann ist man erschöpft und gegebenfalls auch noch krank. Fehlt man krankheitsbedingt in einem Seminar dreimal, kann man sich dann darauf verlassen, zur Prüfung zugelassen zu werden, wenn der/die Dozent/in über das Engagement in Kenntnis gesetzt wurde? Das ist die zentrale Frage. An dieser Stelle muss Engagement gewürdigt werden. Ob ich so eine dumme Auszeichnung bekomme, etwa einen Tischwimpel, ist mir völlig egal. Ich will nur nicht benachteiligt sein, wenn ich mich engagiere. Dass engagierte Studierende von ihren Mitstudenten abschätzig als „Rettet-die-Wale-Fraktion“, als Freaks oder die Lisa Simpsons des Campus‘ dargestellt werden, damit kann ich leben. Aber wenn ich reihenweise aus den Kursen fliege, weil ich gegen Ende des Semesters nochmal zwei Wochen krank bin und ich hab vorher schon in dem einen oder anderen Kurs gefehlt, dann kann ich nicht mehr damit leben, weil das BAföG ausläuft.

Des Öfteren hörte ich schon Studierende sagen: „Der Mansouri macht das alles doch nur für seine Karriere!“ – Was sagst du jemandem, der diese Behauptung dir gegenüber äußert?

(Lacht) Ich hätte wirklich gern eine Karriere. Also ernsthaft, bisher habe ich mir doch eher Möglichkeiten verbaut, als dass ich mir damit Optionen frei geschaufelt hätte. Ich wüsste ganz gern, was man für eine Karriere als Bachelor-Langzeit-Student machen kann, der lange Zeit weder parteipolitisch organisiert noch in einer Gewerkschaft war. Wo sollte ich mich denn hochschlafen? Ich war als loser Student, der mit anderen Gleichgesinnten, die auch größtenteils parteipolitisch nicht aktiv waren, in einer parteiunabhängigen Hochschulgruppe organisiert und habe Proteste mitangezettelt. Durch den ganze Aufwand, den ich betrieben habe, ergaben sich viele Nachteile während des Studiums. Ich wüsste ganz gern, was für eine Karriere ich gemacht hätte, denn dann könnte ich mich freuen und ein Bier darauf trinken.

Woher rührt dein Einsatzwille und deine Gemeinwohlorientierung?

Erstmal muss ich ehrlich infrage stellen, ob mein Engagement Gemeinwohl orientiert ist. Das muss man sich selbst kritisch und provokant hinterfragen. Es ließe sich mit „rational-choice“-Modellen jegliche Gemeinwohlorientierung auf den Eigennutz des jeweiligen Individuums zurückführen, aber das klammere ich an dieser Stelle aus. Ich selbst halte es für Gemeinwohlorientierung, aber das sage ich natürlich nur für meine Karriere (grinst). Der Einsatzwille drängt sich bei mir auf, wenn ich mich im Alltag in Situationen mit Anforderungen wiederfinde, die nicht praktikabel sind und meinem eigenen Verständnis von Studium zuwider laufen.

Wie reagiert die Lehrkörperschaft auf deine Tätigkeiten?

Wie all das bei der Lehrkörperschaft ankommt ist vielleicht unterschiedlich. Das Engagement kommt nicht für alle Menschen gelegen. Es gibt Lehrkörper, die eine demokratische Gesinnung haben, aber auf die strikte und kompromisslose Durchführung der Lehre pochen und durch Widerstreben von Studierenden entstehen Reibungen. Wenn Konflikte dann mit Niveau ausgetragen werden, dann haben Lehrkörper lieber niveauvolle Querulanten an ihren Instituten, als desinteressierte Studierende, die nur ihrer Karriere wegen studieren. Ich möchte nicht ausschließen, dass es Fälle gibt, in denen Engagement nicht wohlwollend aufgenommen und ggf. sanktioniert wird. An der Universität Kiel ist mir so ein Fall allerdings bisher nicht bekannt geworden, wobei ich allerdings nicht ausschließen kann, dass es auch hier so etwas gibt.

Hast du das Gefühl, dass dich Studierende als nervenden Querulanten wahrnehmen?

Dauernd, allerdings liegt mir viel daran, dass sich Menschen inhaltlich mit mir auseinander setzen. Dabei ist es irrelevant, ob sie anderer Meinung sind und mir massiv widersprechen. Wenn man mir wenigsten zuspricht, dass ich mir Gedanken gemacht habe und meine Position nicht aus der Luft gegriffen, sondern fundiert ist, dann wären wir schon einen großen Schritt weiter.

Du wirst im Bezug auf deine Reden oft als Polemiker oder Populist bezeichnet, der ein Weltverständnis hätte, das komplexe politische Zusammenhänge auf simple Entscheidungszusammenhänge reduziert. Was denkst du über derartige Kritik?

Also meine Reden sind keine wissenschaftlichen Vorträge. Selbstverständlich muss man in so kurzen Reden komplexe Zusammenhänge runterbrechen und das passiert natürlich auch nicht emotionslos, so als würde man aus einem Telefonbuch vorlesen. Wenn sich Zuhörer zu meinen Reden parallel meine Schriften oder die Wahlprogramme der LAL heranziehen, dann werden sie feststellen, dass meine Reden lediglich eine vereinfachte Form komplexer Gedankengänge sind. Wie viele Studenten kennst du, die an der Uni Reden halten und wie viele Studenten kennst du, die sich wirklich darum bemühen, verstanden zu werden? Ich weiß, dass ich nicht immer alles richtig mache. Als Beispiel fällt mir meine Rede vor dem Landtag bei der Großdemo gegen die Schließung der Uni Lübeck sowie der Wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge an der Uni Flensburg ein, als mir spontan das Wort „Hackfressen“ – gerichtet an die anwesenden Landespolitiker, die die Proteste in den Medien für substanzlos erklärten – über die Lippen kam. Meine gesamte Rede wurde auf dieses Wort reduziert. Dafür bin ich zwar selber verantwortlich, aber man muss doch auch mal auf dem Campus die Möglichkeit haben, zu scheitern und Fehler zu machen ohne dafür gleich geköpft zu werden. Zu dem Sprichwort „aus Fehlern lernt man“ denke ich manchmal, dass der Lerneffekt sich daraus ergibt, dass wenn du mal einen Fehler machst, sich deine Gegner wie die Geier auf dich stürzen .

Ich habe nebst den Vorwürfen, die gegen dich erhoben wurden, auch sehr häufig positive Resonanz im Hinblick auf dein Auftreten und deine Tätigkeiten wahrgenommen. So wirst du als geschickter Rhetoriker, als jemand, der sich aufzubegehren traut, bezeichnet. Wie viel von dieser positiven Resonanz kommt bei dir und deinen Mitstreitern an?

Es kommt sehr viel erfreulicher und ermunternder Zuspruch an. Hätte es das in den letzten drei Jahren nicht gegeben, dann wäre ich in vielen Situationen verzweifelt genug gewesen und hätte mein Engagement komplett aufgegeben. Unser Engagement raubt uns Zeit, Geld und Nerven, es ist daher schön, dass es Menschen gibt, die das zu würdigen wissen und das gibt uns wiederum Kraft.

Wie sind formal/informell die Erfolgsaussichten auf Durchsetzung studentischer Interessen im hochschulpolitischen Bereich?

Zwei Faktoren arbeiten gegen uns, die sehr gravierend sind und zu Pessimismus Anlass geben. Der Erste ist die begrenzte Reichweite des StuPas und die mangelnde Resonanz auf dem Campus. Der Zweite ist die Durchgangsrolle des „Student-seins“, d.h. wenn Studierende sich im Zuge eines Reifeprozesses politisch emanzipiert haben, sind sie auch schon wieder fertig mit dem Studium und es kommen wieder neue Leute. Wenn man aber eine Masse an Studierenden für eine Idee mobilisieren würde, und das ist möglich, dann kann sich das Blatt auch schnell wieder wenden. Die Frage, die dann zu klären bleibt, lautet: wie können wir erreichen, dass es nicht eine aktionistische Hochphase und darauffolgend allgemeinen Rückzug und Desinteresse gibt?

Ist durch die numerische Überlegenheit der Professoren bei entscheidenden Abstimmungen im Akademischen Senat nicht eh alles Zwecklos?

Ich habe schon mehrmals dafür plädiert, den Akademischen Senat durch einen Esel zu ersetzen. Lass mich dir das anhand eines Beispiels erklären. Es gibt massiv Beschwerden zu der Menge an Prüfungsleistungen, die im Vergleich zu den alten Studiengängen im Schnitt um 180 Prozent gestiegen sind. Die neuen Prüfungsordnungen sind nicht einfach so aus dem Hut gezaubert, sondern durch eine Reihe von Ausschüssen und Gremien gegangen, denen sogar Studierende beiwohnten und am Ende vom Akademischen Senat kommentarlos durchgewunken worden. Wenn die „checks and balances“-Funktionen nicht vorhanden sind, dann kann man anstelle des Senats einen Esel platzieren, ist immerhin billiger.

Die Studierendenmentalität verändert sich systemgebunden. War bei den „Diplomern“ und „Magistern“ denn soviel besser in Sachen Engagement?

Früher waren die politisch und insbesondere hochschulpolitisch interessierten Studierenden eher dazu geneigt, aktiv zu werden, weil sie nicht so schnell in Turbulenzen mit der Studienordnung gekommen sind. Diese aber waren und sind eine Minderheit innerhalb der Studierendenschaft. Was also die dominanten Einstellungsmuster angeht, so glaube ich nicht, dass es bei den „Diplomern“ und „Magistern“ so viel besser war. Aber das sind alles nur Spekulationen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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4 Kommentare

  1. Na herzlichen Dank.

    Ich heiße auch Marcel Mansouri und sie versauen mir mit so etwas unter Umständen meinen zukünftigen Berufsweg.

    Was glauben sie was mein zukünftiger Arbeitgeber finden wir wenn er nach meinem Namen googelt?

    Ja genau, Bildungsprotest.

    Ich denke das kommt nicht gut an…

  2. Lieber Marcel,
    dein zukünftiger Arbeitgeber wird eher über deine zahlreichen Rechtschreibfehler fallen, statt sich an politischem Engagement zu stören. Sollte er es dennoch tun – zumal du die genannte Person ohnehin nicht bist – kannst du froh sein, dass er nicht dein Chef geworden ist. Politischer Einsatz ist schließlich eine sehr lobenswerte Angelegenheit.

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