Wie ein ausgeborgter Raum mit Kunst, Kultur und Schabernack das Innenstadtleben aufpeppt und was das mit Stadtentwicklung zu tun hat

Fragt man in Kiel nach der Innenstadt erntet man weithin sarkastische Kommentare. Wer nicht gerade Shoppen als Lieblingsbeschäftigung in Freundebücher einträgt oder ein Faible für nachkriegsmoderne Pavillonbauten hat, wird zwischen Förde und kleinem Kiel nur wenig Alternativen finden. Zumindest fast. Kiels Innenstadt ist um ein Angebot reicher, denn in der Küterstraße ist vor Kurzem ein neuer Besucher aufgepoppt. Das Schaufenster vollständig mit kalligraphischem Graffiti gestaltet, bietet der Raum dahinter seit dem 30. April 2017 dem Popshop ein Zuhause. Popshop? Hat das was mit Neonschrift und Latex in den Auslagen zu tun? Nein, überhaupt nicht. Hinter dem Popshop stehen sechs Kieler*innen, die Innenstadtraum neu denken und Leerstand für begrenzte Zeiträume mit Kunst, Musik und Lesungen füllen. Bis zum 17. Juni noch wartet in dem ehemaligen Modegeschäft ein vielfältiges Kulturprogramm auf neugierige und (Pop-)Kultur hungrige Besucher*innen. Höchste Zeit, Nikola Noelle und Ramin Büttner vom Popshop ein paar Fragen zu stellen:

DER ALBRECHT: Die Küterstraße ist bereits das zweite Mal, dass der Popshop ein leeres Ladenlokal bezieht. Wie kam es zur Eröffnung des ersten Popshops in der Schuhmacherstraße?

Nikola: Vor etwa einem Jahr wollte ich eine Ausstellung mit einer befreundeten Künstler*innen-Gruppe machen und war auf der Suche nach einem geeigneten Raum. Am liebsten einem Leerstand. Durch einen Kontakt in der Alten Mu sind wir dann zufällig auf den leerstehenden Imbiss in der Schuhmacherstraße gestoßen. Der Laden stand acht Jahre leer und war deswegen schon ein bisschen weird und dirty, aber er hatte ein tolles Schaufenster und auch alle, denen ich den Laden gezeigt habe, waren begeistert. Mit dem Laden ist dann nach und nach, gemeinsam mit den Anderen, die Idee entstanden, dass man daraus eine Art Pop-Up für Kulturveranstaltungen machen könnte. Insgesamt war es eine sehr spontane und wenig durchkomponierte Idee, aber alle konnten sich darin sehen und hatten Lust sich einzubringen.

DER ALBRECHT: Wieso wurde der Laden dann auf den Namen Popshop getauft?

Ramin: Bei der Suche nach einem Namen haben wir nach Kombination mit „Pop“ gesucht, weil uns die Referenz zum Pop-Up-Konzept und auch zur Pop-Kultur im Allgemeinen wichtig war. Da es sich bei dem Laden um eine alten Imbiss handelt, waren dann erst solche Kombinationen wie Pop-Wurst im Gespräch (lacht). Ganz bestimmt eine Rolle gespielt hat aber auch der Verweis auf das Rotlichtviertel und die Sex Shops in direkter Umgebung. Mit Augenzwinkern natürlich.

DER ALBRECHT: Verfolgt ihr ein bestimmtes Ziel mit dem Popshop?

Nikola: Auf jeden Fall. Vordergründig geht es uns darum, ein partizipatives und niederschwelliges Kulturangebot zu schaffen. Aber auch darum, junge Kunst zu fördern, indem wir jungen Künstler*innen aus Kiel eine Bühne zum Experimentieren geben. Zum Konzept gehört aber auch, brachliegende Räume zu nutzen und ihnen ein neues Bild zu geben, wobei uns eine kritische Auseinandersetzung mit der Stadtentwicklung sehr wichtig ist. Wir wollen nicht für eine pauschale Nutzung des Leerstands in der Innenstadt stehen, sondern explizit eine Alternative zu Warenkonsum und Verramschung bieten. Wir sind der Meinung, dass es in der Innenstadt auch Alternativen geben soll und darf.

Ramin: Vielleicht geht es auch darum, etwas Eigenes zu machen. Damit meine ich einfach mal weitere Facetten zum Kunst und Kulturangebot, was in Kiel schon herrscht, hinzuzufügen und unsere eigene Vision in das Stadtbild zu integrieren. Es geht darum, Perspektiven zu haben, die in Kiel fehlen.

Der PopShop hat wieder geöffnet: Diesmal in der Küterstraße // Quelle: Anne-Lena Cordts
Der PopShop hat wieder geöffnet: Diesmal in der Küterstraße // Quelle: Anne-Lena Cordts

 

DER ALBRECHT: Welche Veranstaltungen sind für den nächsten Monat geplant?

Nikola: Wir versuchen immer relativ unterschiedliche Kulturveranstaltungen mit verschiedenen Aktuer*innen zu haben, um das Diverse an Kulturproduktion zu betonen. Für die nächste Zeit wird es unter anderem eine Kooperation mit dem Verein Prima Kunst geben, der den Kunst-Container der Kunsthalle betreibt. Außerdem gibt es eine Ausstellung, ein Comic-Battle in Kooperation mit dem gratis Comic Magazin Pure Fruit und eine Lesung. Die Ausstellung ist gleichzeitig das Preopening für das LaDIYfest in der Hansa. Zu diesem Anlass kommt die Künstlerin Lilli Loge aus Berlin zu Besuch, die queere Zines [Zines sind unabhängige, mehr oder weniger regelmäßig erscheinende Publikationen, die eher der ‚Underground‘-Kultur zuzuordnen sind (Anm. d. Redaktion)] publiziert. Bei der Lesung geht es dann um eine Sozialanalyse des Hipsters: Der Mitherausgeber Chris W. Wilpert liest aus dem gerade erschienenen Sammelband Destruktive Charaktere. Vorher gibt es aber noch eine ganz besondere Veranstaltung und zwar die Releaseparty von Ramins neuem Label.

DER ALBRECHT: Um was geht es da, Ramin?

Ramin: Das Plattenlabel wurde gerade neu gegründet und heißt Music of Color. Am 24. Mai ist dann die erste Veranstaltung, wo das Label präsentiert und zwei Tage später die erste Platte herausgebracht wird. Zur Releaseparty kommen dann auch der Künstler Duke Hugh aus den Niederlanden und der DJ Bradley Zero aus London. Die Musik hat jetzt schon recht internationale Reichweite und der DJ aus London ist auch, wenn man so will, weltberühmt. Es ist schon was Besonderes für Kiel.

DER ALBRECHT: Wodurch finanziert sich der Popshop eigentlich?

Nikola: Den ersten Laden haben wir komplett mit Eigenkapital finanziert, wobei einzelne Veranstaltungen auch durch die Rosa Luxemburg Stiftung und dem städtischen Kulturbüro Kiel gefördert wurden. Für den zweiten Laden haben wir eine Förderung von der Stadt bekommen, aus dem Fördertopf Gemeinsam Kiel gestalten für Projekte, die Stadtquartier bezogen arbeiten. Außerdem kann man jetzt auch für den Popshop spenden.

DER ALBRECHT: Müsst ihr Miete zahlen?

Nikola: Die Miete ist gerade auf jeden Fall ein Problem, weil die Vermieter in dem jetzigen Laden nicht aus Kiel und nicht so sehr daran interessiert sind, ob der Raum bespielt wird oder nicht. Wir zahlen sowas wie eine Nebenkostenpauschaule, die recht hoch ist. Wir hatten allerdings keine andere Wahl, weil wir keinen anderen passenden Raum gefunden haben.

DER ALBRECHT: Wie entgegenkommend ist die Stadt Kiel was die kulturelle Nutzung von Leerstand angeht?

Nikola: Momentan passiert was in Kiel. Gerade werden die Immobilienbesitzer*innen und Firmen ein bisschen darauf eingeschworen, vor allem von der Stadt und der KiWi (Kieler Wirtschaftsförderungs- und Strukturentwicklungs GmbH) aus, mal das Leerstandproblem anzugehen. So wie ich das verstanden habe, will die Stadt auch noch dieses Jahr einen Fond für Leerstandsbespielung zur Verfügung stellen. Außerdem soll es auch eine zentrale Leerstandverwaltungsstelle über Kiel-Marketing geben, wo sich Leute melden können, die eine gute Idee haben. Wir hoffen natürlich auf Nachahmer*innen, die auch in die Leerstände der Innenstadt gehen. Da ist einfach wirklich viel Potential. Ich bin seit dem letzten Jahr viel mehr in der Innenstadt und ich glaube, dass es wahrscheinlich vielen Leuten so geht, die jetzt zu uns kommen. Nach dem Motto: „Huch, es gibt ja eine Innenstadt“ (lacht).

DER ALBRECHT: Und wie sieht es mit den Reaktionen der Anwohner*innen und ansässigen Läden aus?

Ramin: Also, wir sind super froh, dass wir sehr große Unterstützung von allen umliegenden Läden erhalten. Ob das jetzt die Auslage von Werbemitteln ist oder ob sie einfach vorbeischauen und sich freuen, dass die Nachbarschaft belebt wird und was Neues passiert. In der Schuhmacherstraße hat uns sogar ein Anwohner kurzzeitig sein WLAN zur Verfügung gestellt.

DER ALBRECHT: Verändert der Popshop die Nachbarschaft?

Nikola: Ob es wirklich Langzeitfolgen gibt, kann ich nicht einschätzen. Wenn man das Ganze stetig vorantreiben würde vielleicht schon. Vielleicht wagen sich durch uns ja mehr Projekte an Leerstand heran. In diesem Zusammenhang kann man sich natürlich auch die Frage stellen, was eigentlich genau Aufwertung bedeutet. Auch wir haben uns damit beschäftigt und sehr viel diskutiert und sind in Bezug auf Gentrifizierung zum Schluss gekommen, dass wir als Popshop lieber in die Innenstadt gehen als zum Beispiel nach Gaarden oder zum Südriedhof, da hier die langfristigen Schäden durch Aufwertung vermutlich nicht so hoch ausfallen würden.

Ramin: Wir sind auch überzeugt, dass es gerade in der Kieler Innenstadt wichtig ist, dass sich die Leute beteiligen, die sich und ihre Handlungen reflektieren. Dass es nicht um reinen Warenkonsum geht, sondern dass wir ein kulturelles Angebot darstellen. Und uns vielleicht auch manchen Entwicklungen kritisch gegenüber stellen, uns positionieren und Meinungen kundgeben, die ein bisschen kritischer sind, als es sonst für gewöhnlich in der Innenstadt der Fall ist.

Nikola: Nach dem Prinzip ‚Stadt für alle‘. Dabei ist es uns ein Anliegen, die Schwelle durch die Gestaltung möglichst locker zu halten und dabei ein anders Modell von Innenstadt und Innenstadtleben zu bieten. Im alten Popshop ist uns das auf jeden Fall gelungen. Es gab schon oft Leute, die einfach aus Neugierde reingekommen sind, und die dann mitten in eine Veranstaltung oder in eine Ausstellung reingestolpert sind, die gerade lief.

DER ALBRECHT: Wenn ihr euch einen beliebigen Ort in Kiel für den nächsten Popshop aussuchen könntet. Welcher wäre das dann?

Nikola: Ich mag die Umgebung um den Alten Markt. Es ist einfach eine sehr sonderbare Stadtstruktur. Ich meine, man muss sich einfach mal geben, dass der neue Popshop in einer Straße ist, wo ‚normale‘ Läden sind. Wo Menschen shoppen und Kaffee trinken und alles seinen gewohnten Gang geht und dann läuft man über den alten Markt, muss ein paar Mal die Augen zukneifen, um diese Hässlichkeit zu ertragen, und dann steht man auf einmal im Rotlichtviertel, da wo wir vorher waren.

Ramin: Ich glaub nicht, dass es um den Laden an sich geht, sondern eher darum, was die Inhalte machen. Wir sind immer auf den Laden eingegangen und das, was wir vorgefunden haben und haben daran auch ein bisschen unser Angebot bestimmt. Wir könnten die kleinste Bühne der Welt bespielen, aber bestimmt auch einen sehr schönen großen Raum und auch den wieder anders darstellen.

DER ALBRECHT: Wird es denn einen weiteren Popshop in Kiel geben oder habt ihr schon ähnliche Projekte in Planung?

Nikola: Ob wir den Laden jetzt nochmal so bespielen werden in derselben Konstellation weiß ich nicht, wir sind alle berufstätig und es ist einfach ein bisschen schwierig, das zu wuppen mittlerweile. Das war vor einem halben Jahr auf jeden Fall noch eine andere Situation. Wir blicken in eine ungewisse Zukunft.

Ramin: Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verraten. Aber es sind schon ein zwei Sachen in Planung!

Vielen Dank für das Gespräch!


Bilder: Anne-Lena Cordts

 

Autor*in

Janina ist seit April 2017 Teil der Redaktion und studiert Psychologie an der CAU.

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