von Eric Grabis

Große Probleme faszinieren uns. Ob Freuds Psychoanalyse, die Evolutionstheorie oder die Europäische Union: Mit ihren schillernden Bergen von Theorie und spezialisiertem Sachverstand vermitteln sie uns ein Gefühl von Sicherheit, die es nicht gibt. Auf der anderen Seite lassen derartige Gebilde dem Individuum kaum Handlungsmöglichkeiten. Spezialisierungen und die resultierende Bildung von Eliten und Autoritäten wirken erdrückend und lähmend.

Ganz ähnlich verhält es sich mit unserem Bündel ökologischer Desaster. Häufig verlagern wir unsere Verantwortung für diese Entwicklungen an Autoritäten oder andere Abstrakta: „Die Politik soll sich um die Schadstoffausstöße kümmern.“ „Was kann ich dafür, wenn das Gemüse im Supermarkt doppelt und dreifach eingepackt ist?“ Nicht selten enden Lähmung und Selbsttäuschungen in Zynismus und Resignation: „Ich kann ja eh nichts ändern“. Dabei wird übersehen, dass es um nichts anderes als unseren Lebensraum und den unserer Kinder geht. Und dass es tatsächlich Handlungsalternativen gibt. Eine solche konstruktive Alternative, die dem Individuum Raum gibt, ist die Permakultur.

Das Wort Permakultur setzt sich zusammen aus permanent und agriculture und ist ein Konzept zur Gestaltung naturnaher und sich selbst erhaltender Kreisläufe in Landwirtschaft und Gesellschaft. Sie wurde um 1970 in Australien von Bill Mollison und David Holmgren in Anlehnung an die naturverbundene und stabile Lebensweise der Aborigines entwickelt. Ein Hauptmerkmal der Permakultur ist ihre Ethik mit den Grundsätzen: sorge für die Erde, sorge für den Menschen, verteile Ressourcen und Überschüsse gerecht. Permakultur zielt auf die Lösung globaler Probleme durch lokale Ansätze ab.

Permakulturelles Denken steht konträr zu unserem Alltagsdenken. Ihre wichtigste Technik ist das Innehalten und Beobachten, um Abstand von vorgefassten Mustern zu gewinnen. Wenn wir einmal aus dem Rad unseres alltäglichen Aktivismus aussteigen, merken wir, dass der Großteil unserer Handlungen nutzlos ist. Diese aufzugeben kann viel Zeit verschaffen. Zeit, um natürliche Kreisläufe zu beobachten. Dabei kommen schnell interessante Einsichten: Die Natur kennt weder Müll noch Entsorgung, weder Wirtschaftswachstum noch Arbeitslosenraten, weder Katastrophen noch Zerstörung, weder Schädlinge noch Unkraut. Aber die Natur kennt Ursache und Wirkung.

Die Permakultur ersetzt gedankenlose Arbeit durch präzises Beobachten. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse ist es das Ziel, mit der Natur zu arbeiten und nicht gegen sie. Unser herkömmliches und entfremdetes Verhältnis zur Natur ist geprägt von Aggression, etwa in der industriellen Landwirtschaft: ‚Schädlinge‘ werden ‚bekämpft‘, ‚Unkraut‘ wird ‚vernichtet‘ und auch die Fuhrparks moderner Agrarunternehmen erinnern eher an militärische Aufrüstung, als an den Anbau von Nahrung – unserer Lebensgrundlage. Dieser ständige Kampf reibt auf und macht beide Seiten mürbe und krank.

Ein anderes Beispiel ist unser Nahrungskreislauf. Angefangen bei der Produktion durch den Bauern über den Verkauf im Supermarkt bis zum Verbrauch im Privathaushalt oder Restaurant, werden Unmengen an Nahrungsmitteln täglich weggeworfen. Lebensmittel, die dann tatsächlich auf dem Teller landen, sind meist belastet mit Pestiziden. Und nicht nur das: Auch die Überreste davon spülen wir in Form von Urin und Fäzes bedenkenlos mit vielen Litern Wasser in eine Kanalisation, wo sich durch Mischung, lange Leitungen und unhygienische Bedingungen Krankheitserreger bilden können. Dieser Kreislauf könnte permakulturell gestaltet werden, indem jeder einzelne für seine Nahrung (etwa durch eine Mitgliedschaft in einer solidarischen Landwirtschaft, Lebensmittelrettung, Selbstversorgung) und seine Ausscheidungen (etwa in Form von Komposttoiletten) selbst Verantwortung übernimmt.

Auch die natürlichen Nahrungsnetze aus ‚Schädlingen‘ und räuberischen Arten stabilisieren sich ohne gedankenlose menschliche Eingriffe mit geringen Ertragsausfällen selbst. Wird aber an nur einer Stelle, etwa durch Pestizide in der industriellen Landwirtschaft, in dieses Netz eingegriffen, bricht es zusammen. Folgemaßnahmen scheinen nötig, um das Problem zu ‚lösen‘, verschärfen es aber nur. Das Ergebnis sind unsere derzeitige Abhängigkeit von zu Dünger aufbereitetem Phosphor und immer mehr Pestizide. Die Natur hat für all das in jahrtausendelanger Entwicklung Lösungen geschaffen. Organische Restmaterialien werden von Destruenten zu Dünger zersetzt. Marienkäfer ernähren sich von Blattläusen, Greifvögel von Wühlmäusen. Die Beispiele sind unendlich.

Niemand kann und muss diese Probleme allein lösen. Auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse über natürliche Zusammenhänge und der Erfahrungen der industriellen Landwirtschaft, können Kreisläufe mittels permakultureller Prinzipien naturnah nachgeahmt werden. Das Ziel ist, einen physischen Ertrag und eine Steigerung der Lebensqualität aller Beteiligten zu erreichen und den Kreislauf langfristig zu erhalten. Jeder kann seinen Beitrag dazu leisten, ganz gleich wie groß. Permakultur beginnt mit den Kräutern auf der Fensterbank und hört auch beim Selbstversorgerhof nicht auf. Dazwischen gibt es viel zu entdecken: Der Geschmack selbst angebauter Tomaten, giftfreies Essen auf dem Teller, der Ausstieg aus absurden Problemlösungsschleifen. Das Permakulturzentrum Kiel gärtnert seit mittlerweile drei Jahren nach permakulturellen Prinzipien an der Alten Mu in Kiel und bietet dort seit dem 11. Januar 2019 jeden Freitag um 17.30 Uhr Theorieabende zu Themen rund ums Gärtnern an.

Um Anmeldung wird gebeten unter permakultur@altemu.de.

 

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Hier veröffentlicht DER ALBRECHT seine Gastartikel – eingesandt von Studierenden, Professor*innen und Leser*innen der Zeitung.

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