Sie sind geruch- und farblos, schnell wirkend und dafür da, Menschen auf eine grausame Weise zu töten: Chemiewaffen mit Kampfgasen wie Senfgas oder Chlorgas. Seit dem Ersten Weltkrieg wurden diese massenhaft eingesetzt. Heute liegen 1,6 Millionen Tonnen davon allein in der Nord- und Ostsee.

Im Zweiten Weltkrieg wurden Fabriken gebaut, die an einem Tag mehr von dem tödlichen Senfgas produzierten als im ganzen ersten Weltkrieg. Auf der Potsdamer Konferenz beschlossen die Alliierten, dass es die verträglichste Lösung sei, die übrig gebliebenen Giftgasbomben in von ihnen als geeignet erachteten Stellen im Meer zu versenken. So landeten als „einfachste und sicherste“ Lösung allein im Skagerrak vor Norwegen 170.000 übrig gebliebene Chemiewaffen, ebenso im Japanischen Meer, im Indischen Ozean, in der Ostsee, der Nordsee, dem Nordatlantik und in den Küstengewässern der Côte d’Azur in Frankreich, die größten Mengen dabei im Mittelmeer vor Italien. Nachdem sich schon zu Kriegszeiten einige unabsichtliche Chemiekatastrophen ereignet hatten, die das Ökosystem und die Menschen zum Beispiel im italienischen Molfetta noch heute belasten, wird das Problem aus der Vergangenheit langsam aber sicher präsent: Die Fässer der Munition rosten und Chemikalien treten aus, die auserwählten Versenkungsgebiete sind von Tiefe und Strömung doch nicht abgelegen genug, um Kriegsüberbleibsel für immer verschwinden zu lassen, wie 1945 gedacht. Überhaupt ist die Lokalisation der Munitionsversenkungsgebiete weltweit nicht zufriedenstellend erfasst. Schon allein die Aufklärung des Problems ist ein weiteres Problem.

Die Alliierten haben zu den Versenkungen ein Schweigeabkommen bis 2017 abgeschlossen. Die Lokalisation von risikoreichen Versenkungsgebieten ist nur mühsam aus den Archiviunterlagen des Militärs rekonstruierbar und die Tourismusbranche fürchtet einen schlechten Ruf der Umgebung. Die Kieler Nachrichten berichteten bereits 2008 über die Verwechslungsgefahr von giftigen Phosphorklumpen mit Bernstein. Das ganze Thema ist emotional sehr aufgeladen und belastet die Verantwortlichen mit hohem Druck. Zudem wird jedes Bauprojekt im Meer zu einem großen Umweltrisiko. Das Schweigeabkommen wurde ausnahmsweise schon einmal wegen eines Infrastrukturprojekts in der Ostsee, einer Gaspipeline von Russland nach Europa, gebrochen.

Als die Ostsee im Zweiten Weltkrieg Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen deutschen und sowjetischen Flottenverbänden war, wurden mindestens 60.000 Mienen gelegt. Nach dem Krieg wurde sie dann auch noch bevorzugtes Gebiet für die Entsorgung nicht explodierter Munition. Heute gilt die Ostsee dadurch sogar als das verschmutzteste Meer der Welt.

Die „Problemgebiete“ sind von uns aus auch nicht unweit entfernt. Alte Dokumente ergaben, dass bei der Versenkung Dumping stattfand, also schon auf dem Weg zu der für sicher gehaltenen Versenkungsstelle, zum Beispiel vom Flensburger Hafen aus, unterwegs Munition abgeworfen wurde.

Betroffen ist somit auch die regionale Fischerei. Dänische Fischer haben stets ein Notfall-Set mit Soforthilfemaßnahmen für Verletzungen durch Chemikalien mit an Bord. In ihren Netzen holen sie oftmals Munition statt Fische ein, sodass es in Dänemark schon eine gesetzliche Regelung für solche Vorfälle gibt. Ihr Ziel ist, die Fischer zu schützen und zu erfassen, wo die Munitionsversenkungsgebiete genau liegen.

Der Biologe Stefan Nehring berichtete in einem TV-Interview „versenktes Gift“ des Senders arte: „Früher war man immer davon ausgegangen chemische Kampfstoffe wurden weit, weit weg im Meer versenkt bei Bornholm oder im Skagerrak, das ist sehr weit entfernt von den Stränden, da wird nie mehr ein Mensch mit in direkte Berührung kommen. Wir wissen es jetzt besser: Es liegt auch hier. Es ist kein Sperrgebiet, jeder könnte diese Munition nehmen und mit nach Hause nehmen“. Stefan Nehring, promovierter Diplom-Biologe mit Hauptausrichtung in mariner und limnischer Ökologie ist unter anderem auch Betriebsbeauftragter für Abfall und Gewässerschutz sowie staatlich geprüfter Forschungstaucher. In diesem Interview erzählt er auch über die Situation direkt vor unserer Haustür in der Kieler Förde.

Aktuell gab es so viele Funde, sodass ein Sperrgebiet eingerichtet wurde. Die „Kolberger Heide“ in der Kieler Außenförde ist ein großes Munitionsversenkungsgebiet. Dort liegen aber nicht nur Chemiewaffen, sondern auch Sprengstoffe, Schwermetalle oder Kampfstoffe im Wasser und durchmischen sich mit dem Fördewasser, was die Konzentrierung der Substanzen in der gesamten Förde glücklicherweise verdünnt.

Die Aufforderung an die Bürger ist: Fordert die Politik und insbesondere die Strandgemeinden auf, mehr gegen die Unfallgefahr zu tun! Das Risiko an Nord- und Ostsee auf Kampfmittelanschwemmungen zu treffen, ist relativ hoch. Eine Bergung aller gefährlichen Munitionskörper insbesondere vor Stränden wäre eine gute mittelfristige Lösung. Der Forschung fällt die wichtige Aufgabe zu, mehr über die Wirkungen von Munitionsinhaltsstoffen in der Umwelt zu erarbeiten und neue Techniken zu entwickeln, um insbesondere Großkampfmittel zukünftig bergen zu können. Bisher werden sie liegen gelassen oder gesprengt, was allen Bemühungen zum Trotz erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat.

Außerdem erwähnt der Biologe auch, dass es für Strandbesucher gefährlich sei „angespülte Objekte (außer Muschelschalen, Pflanzen und Plastik) anzufassen und erst recht mitzunehmen. Dazu gehört auch Bernstein wegen der Verwechslungsgefahr mit Weißem Phosphor.“

Auch auf dem Teller ist das Problem präsent: Fische stehen am Ende der Nahrungskette und enthalten daher auch Anteile der Substanzen in den Meeren. Die Ausmaße der Schadstoffe in ihnen sind aber noch stark verdünnt und für den Verzehr unbedenklich.

„Nachdem der öffentliche Druck zu groß geworden ist, bemühen sich die Behörden seit einigen Jahren Licht ins Dunkel zu bringen und ihre Erkenntnisse öffentlich zugänglich zu machen. Eine kritische Begleitung des gesamten Prozesses durch unabhängige Experten ist aber weiterhin notwendig, um bei speziellen Themen (unter anderem Schadstoffbelastung, Risikostrände, Kampfstoffe, Bergungstechniken) eine vielfältige Diskussion zu ermöglichen.“

Foto: S. Nehring, Koblenz (erschienen in Waterkant 1/2012)

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