Ende des vergangenen Jahres sorgte die von der Landesregierung Schleswig-Holstein angekündigte Novelle im Hochschulgesetz (HSG) für Zündstoff: Nicht nur die Opposition, sondern auch Führungspersonen der schleswig-holsteinischen Hochschulen fühlten sich von der Kieler Koalition aus SPD, Grünen und SSW übergangen. Trotz aller Kritik trat das neue Hochschulgesetz am 29. Januar 2016 in Kraft und ändert die zukünftigen Studienbedingungen in Schleswig-Holstein somit grundlegend.

Das „bürokratiche Monstrum“ Hochschulnovelle

Der Präsident der Universität Flensburg und Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz Werner Reinhardt betitelt das neue Hochschulgesetz als „bürokratisches Monstrum“, das die Hochschulen „an die Grenze dessen führt, was sie ertragen können“. Besonderes Augenmerk liegt in dieser Debatte auf der geplanten Einführung eines Erweiterten Senats mit weiteren 48 Vertreterinnen und Vertretern. Dieser soll öffentlich tagen und laut Landesregierung für eine Öffnung der Hochschulen gegenüber der Gesellschaft, mehr Demokratie sowie Transparenz sorgen. Kritiker fürchten jedoch eine schwer zu bewältigende Bürokratisierung und somit unnötige Belastung universitärer Entscheidungsprozesse.

Die Anwesenheitspflicht wird abgeschafft

Eine nicht weniger umstrittene Änderung betrifft die Anwesenheitspflicht an schleswig-holsteinischen Hochschulen. Diese soll nun endgültig abgeschafft und den Studierenden der Besuch von Vorlesungen und Seminaren freigestellt werden. Ausgenommen davon sind laut HSG Laborpraktika, Exkursionen, Sprachkurse und vergleichbare Veranstaltungen. Die Reaktionen auf diese Novelle sind verschieden. Steffen Regis, damals AStA-Referent für Öffentlichkeitsarbeit, mahnte schon im vergangenen Dezember auf dem vom Projekt erfolgreiches Lehren und Lernen (PerLe) initiierten Blog Einfach gute Lehre an, dass die Anwesenheitspflicht aus Zeiten der ‚Sitzscheine‘ in Diplom- und Magisterstudiengängen stamme, jedoch „im Zeitalter der Bachelor-/Masterstudiengänge, in denen jedes Modul eine Prüfung enthält, weder notwendig noch als Leistungsanforderung sinnvoll“ sei. Der AStA der Uni Kiel sieht mit der Abschaffung der Anwesenheitspflicht die Chance auf ein positives Lernklima und – ganz im Gegenteil zur Befürchtung der Novellengegner – fruchtbaren Austausch, da die Anwesenheit nicht mehr auf Zwang, sondern tatsächlichem Interesse beruhe. Eigenständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und kritische Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Fragestellungen würden erst durch selbstbestimmtes Lernen ermöglicht. Auch weist der AStA darauf hin, dass die meisten der Kritiker selbst ohne Anwesenheitspflicht studiert hätten.
Auch würde hier – anders als bei der Entstehung eines Erweiterten Senats – bürokratische Entlastung Einzug in die Hochschulen halten: Anwesenheitslisten, vorzuzeigende Krankenscheine sowie Diskussionen über eine mögliche dritte Fehlzeit fallen weg. Hier nimmt der AStA auch ganz deutlich  Studierende mit weiteren Verpflichtungen in den Blick: Zu betreuende Kinder oder Angehörige, Schwangerschaft, ehrenamtliches Engagement, körperliche oder psychische Beeinträchtigungen sowie die oft unumgängliche Erwerbstätigkeit seien Faktoren, die es vielen Studierenden schwierig machen, Leben und Studium miteinander zu vereinbaren. Die neue Regelung bedeute für die Betroffenen aufatmen.

Mehr Freiheit und Verantwortung an den Hochschulen

Schleswig-Holstein ist nicht das erste Bundesland, das diesen Schritt wagt. In Nordrhein-Westfalen herrscht schon seit Oktober 2014 keine Anwesenheitspflicht mehr, allerdings ist auch hier die Debatte noch nicht abgeklungen. Der AStA der Universität zu Köln registrierte im Wintersemester 2015/16 ganze 110 Beschwerden über 90 Veranstaltungen, in denen Dozierende sich nicht an das neue Gesetz hielten und trotzdem Gebrauch von Anwesenheitslisten machten. Laut einer Studie des Hamburger Pädagogen Rolf Schulmeister von November 2015 stünden die Anwesenheit der Studierenden und ihr Studienerfolg in direktem Zusammenhang. Wer viermal und häufiger in einer Veranstaltung fehle, schneide deutlich schlechter ab. Von den für die Ergebnisse 298 ausgewerteten Studien stammt jedoch nur eine aus Deutschland. Schulmeister fürchtet dennoch, dass besonders jüngere Studierende noch nicht bereit seien, selbstbestimmt zu arbeiten. NRW-Ministerin Svenja Schulze hält dagegen: Studierende seien erwachsen und könnten selbst entscheiden, was gut für sie ist. Für Schulze bringt die Abschaffung der Anwesenheitspflicht Freiheit und Verantwortung an den Hochschulen endlich wieder ins Gleichgewicht.

Ab Februar 2017 gilt das neue Gesetz auch an der CAU Kiel

Ungeachtet der Diskussion wird auch in Schleswig-Holstein die Abschaffung der Anwesenheitspflicht kommen. Laut Übergangsvorschriften des Gesetzes müssen sich die Hochschulen innerhalb eines Jahres den neuen Bestimmungen des Hochschulgesetzes anpassen. Spätestens ab dem 1. Februar 2017 gelten demnach die neuen Regelungen und damit die abgeschaffte Anwesenheitspflicht auch an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Es ist nun an den Instituten, zu differenzieren, welche Lehrangebote laut §52, Abs. 12 HSG unter „einen Sprachkurs, eine praktische Übung oder eine vergleichbare Lehrveranstaltung“ fallen und somit Anwesenheitspflicht bedeuten. Während dieses Wintersemester also noch alles beim Alten bleibt, ist zu hoffen, dass sich zukünftig kein Beispiel an der Universität zu Köln genommen und nicht gemauschelt wird.

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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