Glastonbury Festival 2019. Als die britische (Post-)Punkband IDLES ihren Song Danny Nedelko spielt – ein kraftvolles Plädoyer für Toleranz, Weltoffenheit und Immigrant:innen – stimmt das Publikum aus vollem Halse mit ein. Frontmann Joe Talbot verschlägt es die Sprache. Er lässt seinen Emotionen freien Lauf und fängt vor Rührung auf der Bühne an zu weinen. Getröstet wird er schließlich von seiner Ehefrau, die mit dem gemeinsamen Kind zu ihm läuft, begleitet von den Jubelrufen des Publikums. Es sind Momente wie diese, die zeigen, warum die IDLES als eine der momentan wichtigsten Punkbands gehandelt werden. Denn dass Punk für Offenheit und Toleranz steht, ist definitiv nichts Neues – die ehrliche Darstellung von emotionaler Verwundbarkeit hingegen ist für das Genre jedoch eher ungewöhnlich. Die beschriebene Szene kann als ein Sinnbild für die Mentalität der IDLES gesehen werden, die mit ihrer Musik einen Raum schaffen wollen, in dem (auch) Männer ihre Gefühle offen zeigen können.  

Die IDLES gründeten sich 2009 in Bristol, der große Durchbruch gelang ihnen jedoch erst 2018 mit ihrem zweiten Album. Joy as an Act of Resistance landete am Ende des Jahres nicht nur auf den Bestenlisten etlicher Musikkritiker:innen, sondern verkaufte sich auch über 60.000-mal im Vereinten Königreich. Die Früchte dieses Erfolges erntete nun ihr drittes Album Ultra Mono, das im September 2020 erschien und sogar bis an die Spitze der britischen Albumcharts klettern konnte. Wesentliche klangliche Unterschiede lassen sich über die drei Alben hinweg zwar weniger feststellen, doch die Gruppe hat ihren Stil mit jeder Veröffentlichung weiter konkretisiert und verfeinert. Die IDLES klingen ebenso kompromisslos wie brachial – schräge Gitarrenriffs, knarzende Bassläufe, krachende Drums. Alles wird zusammengehalten von der kräftigen, teilweise gurgelnden Stimme Talbots, der in seinen Texten gegen Rassismus, Sexismus und den Brexit singt, aber auch mit konservativen Traditionen und besonders mit toxischer Maskulinität abrechnet. 

Bereits mit dem Musikvideo für den Song Mother aus ihrem Debütalbum setzte die Band ein Zeichen für ein vielfältigeres Verständnis von Männlichkeit. Dort präsentieren sich die Punks in ausschließlich rosa Kleidung. Eine Farbsymbolik, die auch von dem Coverbild des neuen Albums aufgegriffen wird, auf dem ein großer pinker Ball einen Mann mit voller Wucht ins Gesicht trifft. Es ist eine durchaus treffende Metapher für die Intentionen der Band, die ihre Wut auf das System in positive Botschaften umzuwandeln versucht und so eine Umwälzung der Gesellschaft erreichen will. Gerade der Song Samaritans entblößt ein gesellschaftliches Rollendenken, das es Männern nicht erlaubt, ihre Gefühle offen zu zeigen (This is why you never see your father cry) und ihnen letztlich nicht nur ihre Freiheit raubt, sondern zugleich auch eine fremde Identität aufzwingt (The mask of masculinity is a mask thats wearing me). Die frustrierten Briten verleihen dem Lied aber durch die Umkehrung eines Kurt-Cobain-Zitates (I hate myself and I want to die) in sein Gegenteil (love myself and I want to try) doch noch eine positive Botschaft. Es ist ein entschiedener Aufruf zur Selbstakzeptanz, zu emotionaler Offenheit und Empathie sowie zu einer entschiedenen Abkehr von verstaubten Rollenbildern.  

Bild: Tom Ham

The mask of masculinity is a mask thats wearing me.“

Samaritans (Joy as an Act of Resistance)

Die IDLES müssen nicht als Vorreiter oder Urheber dieser Bewegung in der Musik angesehen werden. Viele moderne und erfolgreiche Künstler:innen setzen sich mit dem Verständnis von Männlichkeit auseinander und fordern durch ihre Musik und ihr öffentliches Auftreten die alten Gendernormen heraus. Genannt seien hier beispielsweise der queere Rapper TylerThe Creator oder der Popstar Harry Styles, der zumindest mit seiner öffentlichen Inszenierung und extravaganten Selbstdarstellungen in die Fußstapfen eines David Bowie tritt. So sind die IDLES eher als Produkt einer sich wandelnden Gesellschaft zu bezeichnen statt als Speerspitze des Fortschrittes. Dennoch ist es bemerkenswert, wie nahtlos es der Gruppe gelingt, diese Debatte mit der Ästhetik des Punks zu verbinden. In einem Genre, das traditionell gesehen wütend, kompromisslos und radikal ist und das sich häufig mehr in seiner Gegenposition zu etwas konstituiert sieht als in seiner eigenen Zielsetzung, bringt die positive Energie der IDLES einen frischen Wind. So wird Freude tatsächlich zum Widerstand, so wird schon die Umkehrung von traditionellen Stereotypen zu einem politischen Akt. Die lyrische und musikalische Einfachheit stellt sich dabei eher als ein Vorteil heraus und nicht als eine Schwäche. Die IDLES setzen kaum auf kontroverse Schockmomente oder Provokation – wie es in der Geschichte des Punks häufig der Fall war (Sex PistolsDead Kennedys) und wie es auch viele ihrer musikalischen Zeitgenoss:innen (beispielsweise Fat White Family) noch immer tun. Stattdessen sind sie erfrischend ehrlich und tragen das Herz auf der Zunge. 

Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als würde die Band in ihrer Musik zwei Kontraste vereinen – die kompromisslose Härte des Punks und die emotionale Ehrlichkeit einer den traditionellen Rollenbildern entwachsenen Männlichkeit. In Wahrheit liegt die bemerkenswerte Leistung der IDLES jedoch nicht darin, ein Paradox aufzulösen. Vielmehr zeigen sie auf, dass es das Paradox überhaupt nicht gibt, beziehungsweise nicht geben müsste. Die IDLES haben keine harte Schale und weichen Kern – denn sie tragen beides offen zur Schau. Und genau daran sollte Mann sich ein Beispiel nehmen. 

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