Zeig allen mein Herz, das du entflammt hast. Schließ mich ein in das Licht, das du auf der Straße sahst. Ich verlasse an einem regnerischen Morgen das Haus. Die letzte Woche noch in den Knochen, das letzte Jahr im Kopf, gehe ich zur Bushaltestelle, sehe den roten Mercedes mit der Nummer 81 zweihundert Meter weiter nordwärts von mir wegfahren. Ich greife in meine Jackeninnentasche und nehme eine Verlegenheitszigarette aus der Packung, ziehe meinen Rucksack höher und gehe mit glimmendem Stengel langsam Richtung Uni. Vorbei an Schulen, Kiosken und dem Copyshop, dann links, den Berg runter schreite ich gen Seminar. Kleine Grüppchen stehen vor den Gebäuden, stellen sich unter und plaudern mir nichts dir nichts vor sich hin.

Ich versuche, wenn ich ohne Musik gehe, immer die Zahl 32 in ihre Bestandteile zu zerlegen. In meinem Kopf schwirren also Zweien, Dreien, Vieren und Achten, während meine Leinenschuhe sich stetig mehr einem tropischen Klima nähern. Es ist in letzter Zeit so schwül hier, nie heiß oder kühl sondern feucht und warm. Ginge es nicht um die Reinlichkeit, ich würde nicht duschen, zu schnell bildet sich an meinem unteren Rücken direkt auf der Haut oberhalb der Wirbelsäule wieder wärmer Schweiß, der sich schnell kühl im Hemd fängt und mich wie ein Liebhaber, der treuherzig meine Hand hält, den Tag über begleitet. Der Rasen zwischen Fußweg und Fahrbahn ist durchtränkt und es bilden sich schmale matschige Wege, wo Studentinnen und Studenten, um ein paar Meter Weg zu sparen, ihn schräg queren.

Vor dem Fakultätsgebäude angekommen, drücke ich meine Zigarette aus und nehme drinnen den Fahrstuhl in den vierten Stock. Ich betrete den Seminarraum; niemand hier hat meine roten Haare und meine Art mich zu kleiden vermisst. Die Sitzung plätschert wie ein undichter Wasserhahn vor sich hin, Fragen werden spät oder garnicht beantwortet und eine Diskussion bleibt Wunschtraum des Dozenten. Da ich die Lektüre nicht gelesen habe und somit unvorbereitet bin, lese ich auf meinem Handy einige Zeitungsartikel und esse einen Schokoriegel, werde nicht ermahnt und starre zum Ende hin auf den Kirchturm der Osterkirche in der Wik.

Der Bus nach Hause rauscht wieder, die Linie hat mich auf dem Kieker, an mir vorbei und so beschließe ich, Anna bei der Arbeit zu besuchen. Ich steige also in die 62, fahre bis zum Bootshafen und schlendere noch kurz durch TK-Maxx, sehe eine Bekannte mit ihrer Familie, spreche sie aber nicht an, suche stattdessen nach Polohemden, finde nichts und gehe also wieder.

Ich halte einen kühlen Becher Erdbeerejakulat in der Hand und schwätze ein wenig mit Anna, erzähle ihr von den letzten Tagen, wir haben uns seit einer Woche nicht gesehen, und erfahre, dass sie ihren unfreiwilligen Zölibat ins Gegenteil verkehrt hat und Sonntag schon wieder ausgehen wird. Universitätskurse hat sie schon seit einem Jahr kaum noch, weniger noch als ich. Sie ist etwas älter als ich und färbt sich ihre Haare alle paar Wochen in einer neuen bunten Farbe, spricht Englisch mit einem deutlichen irischen Akzent.

Der Schweiß an meinem Rücken trocknet langsam, der Regen hat aufgehört und so gehe ich die Holstenstraße entlang, schaue hier und da in eine Schaufenster, summe einen Ohrwurm vor mich hin und plane per SMS den Abend in der Kneipe. Heute ist wieder Party in der Innenstadt und Anna und ich werden kurz vortrinken, um dann nach besten Wissen und Gewissen so viel zu tanzen, wie wir können. So ein Abend kann nicht viel, dafür aber immerhin kurz. Gespräche führen wir meistens draußen, vor der Tür, während ich Kippe nach Ziese rauche. Im Club später kenne ich keinen, aber immerhin sind keine Heimaturlauber hier, die ich zu meiden suche. Vor der Tür wieder rauchen, Gespräche belauschen und mir wünsche, ich tränke noch Alkohol – nüchtern verpasst man mehr und erträgt weniger.

Immer wieder rein, man könnte sich ja etwas entgehen lassen, dann wieder raus, sobald Marsimoto kommt, kurz wieder rein, denn kein DJ kann sich den Gag nehmen lassen, direkt nach einem Lied von ihm Ahnma zu spielen, der Erwähnung wegen. Stehe also inmitten der angetrunkenen Tänzer und blöke den Dachbalken meine beste Jonas-Klauß-Impression entgegen. Der Vorteil an Nüchternheit ist, den gleichen Schwachsinn zu machen, für den es vorher Füllhörner voll Gerstensaft brauchte und sich nicht auf faule Ausreden zu verlassen – volles Bewusstsein, volle Schuldfähigkeit. Endlich ergreift jemand, der seines Verstandes mächtig ist, die Plattenspieler und es kommt Munich von den Editors, dann noch ein bisschen Arctic Monkeys und ich kann beruhigt gehen. Bringe Anna noch zur Haustür, umarme sie und bedanke mich für einen gelungenen Abend, gerne wieder, bitte bald. Auf den letzten Metern die letzte Fluppe für die nächsten acht Stunden, die leere Packung landet in einem unschuldigen Fahrradkorb und die Vögel zwitschern halblaute Begrüßungsarien, während ich den Haustürschlüssel ins Schloss stecken – ich bin wieder hier, in meinem Revier …

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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