Wir Studierende sind ganz gut in Selbstbeweihräucherung. Ob nun die Arbeit mit niedlichen Koalababys während unserer lebensverändernden drei Monate im Outback, dem freiwilligen Deutschunterricht mit Geflüchteten oder die vierteljährliche Greenpeace-Spende: Tolerant und aktiv zu sein ist eben in der heutigen Welt ein Muss. Was jedoch stört, ist die Kleingeistigkeit und Doppelmoral vieler Kommiliton*innen. Es stört dich nicht, Fleisch ungeachtet seiner Herkunft zu essen? Das ist okay und dein gutes Recht. Hast du trotzdem ein schlechtes Gewissen, hilft es aber mit Sicherheit nicht, zur Biogurke zu greifen. Schlimmer jedoch als der Fleischkonsum ist die Doppelmoral zur Ausgrenzung von Minderheiten. Und ich möchte zur Abwechslung nicht auf Religion, Sexualität oder Hautfarbe eingehen.

Auslöser meiner Wut sind anonym gepostete Kommentare auf der Social-Media-Plattform Jodel. Sie richten sich – man mag es sich kaum vorstellen – gegen Eltern. Kommentare, die mit „Ich hab generell nichts gegen Kinder…“ starten, ernten rege Zustimmung und schreien geradezu nach einem „Ich bin kein Nazi, aber…“-Vergleich. Anonyme Studierende wettern gegen störendes Giggeln oder Weinen in Vorlesungen, Bevorzugung der Eltern in der Seminarvergabe oder andere ‚Extrawürste‘.

Es passt nicht in das Bild eines toleranten Menschen, „Refugees welcome“ auf seinen Uniordner zu kleben, dann aber gegen Familien zu wettern.

Es gibt Situationen, da muss ein Kind mitgebracht werden. Punkt. Da hat weder die KiTa geöffnet, noch kann die Oma einspringen. Also heißt es: Uni verpassen oder Kind mitbringen. Dass dies manche Mitstudierende nervt, ist verständlich. Aber Aussagen wie „Das ist hier kein Kindergarten!“ oder „Dann muss die Mutter eben zu Hause bleiben“ sind absolut unangebracht.

Eltern sind auch nur Studierende, die das gleiche Recht auf Lehre haben, dieses Recht aber mit einem Vollzeitjob der Elternschaft managen müssen. Sie werden in der Seminarvergabe bevorzugt? Frag‘ dich, wie du es als Kind gefunden hättest, hätte deine Mama blöderweise im Windhundverfahren nur noch das 18-Uhr-Seminar ergattern können. „Kinder gehören nicht in die Vorlesung“, meinen manche und fühlen sich zu Recht gestört. Ich frage mich nur, warum über diese Art Ruhestörung viel öfter Beschwerden zu lesen sind als über laute Gespräche zum letzten Cheap Cheap oder den pene-tranten Knoblauchgeruch, weil in der letzten Reihe Döner gegessen wird. Komischerweise habe ich in meinen drei Jahren Studium noch nie eine Lärmbelästigung durch Kinder erlebt. Zwei Mal musste eine Mutter ihr Kind mit in die Vorlesung nehmen, weil die KiTa geschlossen hatte. Oh ja, das war schon denkwürdig. Was fällt diesen sich vermehrenden Minderheiten ein, uns jungen Akademikern mit ihren Sprösslingen auf die Nerven zu gehen? Die Zukunft des Landes liegt schließlich nicht in den Kindern, sondern in alleinstehenden Akademikern, die Eltern aus Universitäten vergraulen.


Quelle Titelbild: Leona Sedlaczek

Autor*in

Johanna schreibt seit Anfang 2015 vornehmlich für das Ressort Gesellschaft. Seit Februar 2017 ist sie Chefredakteurin des ALBRECHT. Sie studiert seit dem Wintersemester 2014 Deutsch und Soziologie an der CAU.

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