Es gibt viele Dinge, denen ich mir erst mit steigendem Alter bewusst wurde und für die ich eine Sensibilität entwickeln musste. Dazu gehört das Verständnis, dass #blacklivesmatter gerade der springende Punkt und #alllivesmatter einfach unangebracht ist, aber auch die Tatsache, dass es so einige Fragen gibt, die nicht leichtfertig gestellt werden sollten. Eine davon ist die Frage nach dem Kinderbekommen. 

Ich gebe zu, dass auch ich lange Zeit nicht das Feingefühl für diese Frage hatte und es mir vorkam, als würde ich mich nur nach dem Befinden erkundigen. Letztes Jahr habe ich dann Was perfekt war von Colleen Hoover aus dem dtv bold Verlag von dtv gelesen und seitdem hat sich mein Denken bezüglich dieser Frage geändert. 

Ungewollte Kinderlosigkeit 

Quinn und Graham, die beiden Protagonisten aus Colleen Hoovers Roman, führen seit acht Jahren eine mehr oder weniger glückliche Beziehung. Das einzige, was ihnen Quinns Ansicht nach zum Glück fehlt, ist ein Kind. Aber egal, wie sehr die beiden es versuchen, Quinn wird nicht schwanger. Je mehr Zeit vergeht, desto verkrampfter wird sie. Sex sieht sie nur noch als Möglichkeit an, schwanger zu werden und allgemein kann nur ein Kind die Beziehung aufrechterhalten, so Quinns Gedanken. Um sie herum werden Freundinnen bereits nach wenigen Versuchen schwanger und der Druck auf Quinns Psyche steigt. Bei jedem Treffen mit Freunden oder Familie schwebt die Frage über dem Esstisch, wann Quinn und Graham Eltern würden. Dass diese Frage Quinn nur noch weiter in ihre Verzweiflung treibt, merkt außer Graham niemand. 

Das war der Punkt, an dem mir das erste Mal richtig bewusst geworden ist, wie persönlich und intim die Frage nach eigenen Kindern eigentlich ist. Dass ein Paar noch kein eigenes Kind hat, kann vielerlei Gründe haben, die über ein „Wir fühlen uns noch nicht so weit“ oder „Die finanzielle Absicherung ist noch nicht gegeben“ hinausgehen. Laut des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist fast jedes zehnte deutsche Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Das impliziert Unfruchtbarkeit sowie Zeugungsunfähigkeit und kann für viele Personen sehr belastend sein. Sollte dann die Frage gestellt werden, wann denn eine Schwangerschaft zu erwarten sei, kann das die Betroffenen sehr verletzen, auch wenn dies nicht beabsichtigt ist. 

„Ich möchte keine Kinder“ 

Aber natürlich gibt es auch die andere Seite der Medaille: Die Paare, die sich bewusst gegen ein eigenes Kind entscheiden und lieber für sich bleiben. Im 21. Jahrhundert sollte es anerkannt sein, dass dies eine Entscheidung sein kann. Aber die Realität sieht anders aus: Viele Paare und vor allem Frauen müssen sich mit Diskussionen rumschlagen, wie sie denn auf die Idee kämen, kinderlos bleiben zu wollen. Als wäre die reine Möglichkeit, schwanger zu werden, eine direkte Verpflichtung. Auch hier wird auf Familienfeiern immer wieder darauf rumgeritten, wann es denn endlich soweit sei. Und auf die Antwort, dass vielleicht niemals ein Kind kommen würde, folgt nur ein Lächeln mit einem „Jaja, jetzt natürlich. Aber später“.  

Die Entwicklung einer Sensibilität 

Mit Mitte zwanzig habe ich noch einige Zeit, schwanger zu werden. Immerhin liegt das Durchschnittsalter für eine Erstschwangerschaft bei deutschen Frauen bei 31 Jahren, so das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Aber dennoch begann auch bei mir vor ungefähr eineinhalb Jahren die Phase, in der ich immer wieder darauf angesprochen wurde, wann ich denn schwanger werden würde. Und ich kann sagen: Diese Frage nervt nach einer gewissen Zeit einfach ungemein. Ich weiß nicht, ob oder wann ich schwanger werde. Vielleicht werde ich irgendwann ein eigenes Kind haben – vielleicht aber auch nicht. Ich halte mir das offen. Denn es ist letztendlich doch meine, beziehungsweise die gemeinsame, Entscheidung von mir und meinem Partner. Niemand hat da ein Wort mitzureden und selbst wenn ein Paar gewollt kinderlos bleibt, macht es sie doch nicht zu schlechten Menschen. 

Ich erwarte im 21. Jahrhundert sowohl Akzeptanz als auch Sensibilität gegenüber diesem heiklen Thema. In meinem Fall nervt die Frage nur, aber in anderen Fällen kann sie die Menschen sehr verletzen oder in Depressionen stürzen. Allgemein sollte der Menschheit bewusst werden, dass es sich hierbei um eine so intime Frage handelt, wie die Frage nach der Häufigkeit des Sex‘ in der Beziehung – das geht schließlich auch niemanden etwas an.  

Autor*in

Rebecca ist 27 Jahre alt, studiert Deutsch und Philosophie im Profil Fachergänzung und ist seit Oktober 2018 beim ALBRECHT. Sie schreibt Artikel für alle Ressorts, vorzugsweise welche, in denen sie sich aufregen kann. Von Januar 2019 bis Januar 2022 leitete sie das Lektorat.

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