Einen Auslandsaufenthalt einlegen, mit einem Klick einen Flug in ein fernes Land buchen oder Dinge bestellen, die der Laden um die Ecke nicht führt, und immer wieder diese allgegenwärtige Globalisierung. Die Welt steht uns offen, verlangt geradezu danach, von uns bereist, und für alle sichtbar auf einem der vielen Fotoaccounts oder Blogs gepostet zu werden. Längst sind wir nicht mehr an unseren Wohnort gebunden, sondern haben die – teils vermeintliche – Möglichkeit, zu Weltbürgern zu werden. Was bedeutet unsere Herkunft in dieser Zeit überhaupt noch? Und sind unsere Wurzeln immer mit dem Begriff ‚Heimat‘ gleichzusetzen?

Strebten die Menschen in den vergangenen Jahren vor allem danach, möglichst schnell von zu Hause wegzukommen und die weite Welt zu bereisen, erlebt Heimat einen Aufwärtstrend. Laut einer Umfrage von infratest dimap dieses Jahres halten rund 91 Prozent der 1001 Befragten Heimat für sehr wichtig bis wichtig. Denn Globalisierung bietet nicht nur Möglichkeiten, sondern kann auch verunsichern und einen dazu bringen, die eigene Person zu hinterfragen. Was genau macht mich aus, was kann ich bieten im Vergleich zu all den anderen Leuten auf diesem Planeten, die häufig gefühlt nur einen Katzensprung entfernt sind? Diese Fragen lassen uns zurückkehren zu dem, woher wir kommen, zu den Erfahrungen, die uns geprägt haben. Nicht umsonst liegt Tradition wieder im Trend. Man denke nur an Volksmusik und -feste, die ganz klassisch-kitschig in Dirndl und Lederhosen besucht werden. Regionale Lebensmittel, die Unterstützung ansässiger Läden, all das zeigt Ortsverbundenheit. Aber ist das wirklich schon Heimat?

Nein, denn diese ist für viele mehr als nur ein Ort. Stell Dir vor, Du fährst über die Semesterferien nach Hause in Deine sogenannte Heimatstadt und alles hat sich komplett verändert. In Deinem Zimmer sind die Möbel umgestellt, Dein Elternhaus riecht anders, Deine Freunde sind alle in verschiedenen Städten und nicht einmal Deine Familie ist da. Wahrscheinlich ist dieser Ort dann nicht mehr Deine Heimat. Denn diese besteht aus der Summe ihrer Teile und kann genauso gut eine Person als auch dieser besondere Geschmack sein, den der Braten Deiner Oma hat und den Du beim Nachkochen partout nicht hinbekommst. Auch in der ALBRECHT-Redaktion werden verschiedene Stimmen zu dem Thema laut. So sagt Rune, Heimat sei für ihn sein Herkunftsland beziehungsweise seine -stadt und auch der Ort, an dem er sich heimisch, willkommen und wohl fühle. Gleichzeitig seien seine kulturellen Wurzeln seine Heimat, was er dadurch begründet, sich sowohl in Deutschland als auch in Dänemark heimisch fühlen zu können. Rebecca wiederum bezeichnet Heimat als ein Gefühl. Für sie sind es Momente, in denen sie nirgendwo sonst lieber sei und sich schlicht und einfach wohlfühle. Wichtig seien für sie dann beispielsweise die Menschen, die sie umgeben, aber auch die Atmosphäre oder Tätigkeit, die die Situation prägten. Beide Sichtweisen zeigen, dass ‚Heimat‘ von unserer persönlichen, individuellen Geschichte geprägt wird. Das bedeutet gleichzeitig, dass wir Heimat immer selbst definieren. Diese Definition kann eng mit Kindheit verbunden sein, weil der Wunsch besteht, die damalige Einfachheit zu wiederholen. Dies lässt sich neurobiologisch begründen, denn Ereignisse aus dieser Zeit prägen sich in einem noch in der Entwicklung befindlichen Gehirn stärker ein.

Heimat muss nicht einmal etwas Konkretes sein, sondern kann auch einfach ein Gefühl beschreiben, ein diffuses emotionales Konstrukt in unserem Inneren, das wir selbst gestalten. Somit ist sie frei wählbar, kann beliebig erweitert und verändert werden. Für einige ist es der Blick auf das Meer oder ein bestimmter Dialekt, für andere dort, wo sie am meisten sie selbst sein können. Und es ist möglich, mehr als nur eine Heimat zu haben. Erinnere Dich an Deinen Trip nach Frankreich, auf dem Du so viele neue Leute kennengelernt, Geschichten erlebt und eine andere Kultur lieben gelernt hast. Oft ist dann die Rede von der „zweiten Heimat“. Und das lässt sich beliebig ausdehnen, bis zur dritten, vierten und fünften.

Gleichzeitig kann der Begriff ideologisch missbraucht werden. Bereits im Dritten Reich wurde durch die Verwendung von ‚Heimat‘ alles ausgeschlossen, das nicht Deutsch war. Auch PEGIDA wirbt für ‚Heimatschutz‘: ‚Angriffe‘ durch Geflüchtete müssten abgewehrt werden, damit Deutschland nicht zerstört würde. Natürlich, wenn Deutschland für Dich Heimat ist und in Deinem Ort auf einmal 500 neue Menschen aus einem anderen Land leben, verändert sich diese Heimat. Aber das ist ein normaler Prozess, der in Deinem Inneren meist unbemerkt ohnehin abläuft und darf deshalb nicht per se verteufelt werden. Vielmehr sollten wir im Hinterkopf behalten, wieviele Leute ihre Heimat verlieren und sie sich komplett neu aufbauen müssen an einem Ort, der so gar nichts mit dem bekannten Zuhause zu tun hat. Und das auch noch unter Umständen, die wir uns kaum ausmalen können. Schließlich lässt niemand seine Heimat aus Spaß hinter sich.

In einer Welt, die immer unüberschaubarer und schnelllebiger wird, kann Heimat ein Anker sein. Statt Spießertum und Einschränkungen werden Wohlfühlen und Ankommen mit „Heimat“ verbunden. Manchmal nehmen wir sie erst so richtig wahr, wenn sie gar nicht mehr da ist. Aus der Sehnsucht, die die Entfernung oder der völlige Verlust mit sich bringen, entsteht dann Heimweh. Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewskij schrieb einmal „ohne Heimat sein, heißt leiden“. Deswegen ist es wichtig, sich auf seinen ganz persönlichen Begriff von Heimat zu besinnen und so Halt und Orientierung zu finden.

Autor*in

Maline ist 25 und studiert Deutsch und Politikwissenschaft im Master an der CAU. Sie ist seit Mai 2015 Mitglied beim Albrecht.

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