Ein US-amerikanischer Häftling sitzt auf einem Stuhl. Ihm gegenüber hat ein Mann mit der Positur eines Fragezeichens Platz genommen. Der Häftling hat eine Bombe versteckt und beantwortet keine Fragen zu dem Ort des Verstecks – zumindest nicht verbal. Aber Cal Lightman, sein Gegenüber, bringt trotzdem alles Wichtige in Erfahrung, indem er das Gesicht des Bombenlegers liest. Diese Szene ist der Beginn der Serie Lie to me, die 2009 erstmals auf Fox ausgestrahlt wurde und aus drei Staffeln besteht. Die Fälle sind reine Fiktion. Mal geht es um Terrorismus, dann um Familiendramen, Mord oder Betrug in Spielotheken. Aber Lightmans (Tim Roth) Technik basiert trotz der fiktionalen Storyline auf echten wissenschaftlichen Ergebnissen: den Mikroexpressionen, gemeinhin als Mikromimik bezeichnet.

Mikroexpressionen sind Gesichtsausdrücke, die nur den Bruchteil einer Sekunde andauern. Besonders gut erforscht wurden sie durch Paul Ekman, der in seiner Theorie zu Grundemotionen sieben universelle Emotionen benannte. Sie lauten Verachtung, Freude, Überraschung, Angst, Ekel, Ärger und Trauer. Das Besondere: Die Ausdrücke lassen sich nicht bewusst steuern. Genau deswegen sind sie so geeignet, Lügner zu entlarven, wie es der sogenannte ‚Deceptionist‘ Lightman tut.  Um einen Lügner anhand der Ausdrücke auf frischer Tat zu ertappen, braucht es viel Zeit. Die wenigsten Menschen können Mikroexpressionen deuten. In dem 2006 durchgeführten Wizards-Projekt konnten von rund 20.000 Menschen nur 50 Probanden Mikroexpressionen lesen und sich dadurch Truth-Wizards nennen. Wer nun aber von einer Karriere als Deceptionist Abstand nehmen will, sollte sein Vorhaben vielleicht noch einmal überdenken, denn anhand von speziellen Trainings ist die Schulung im Lesen der Mikroexpressionen möglich. Hilfreich ist hier eine intensiv ausgeprägte Fähigkeit zu Empathie sowie zu Konzentration.

Bereits 1966 wurde die erste Studie zur Mikromimik geführt. Danach beschäftigten sich Forscher immer wieder mit dem Thema, so zum Beispiel der Psychologe John Gottmann. 1976 stellte dann Paul Ekmann gemeinsam mit seinem Kollegen Wallace Friesen ein Facial Action Coding System (dt. Gesichtsbewegungs-Kodiersystem), kurz FACS, auf. Ekmann und Friesen hatten sich Psychotherapiesitzungen in Zeitlupe angesehen, in denen depressive Patienten ihren Therapeuten weismachen wollten, es ginge ihnen gut – nur um am Ende doch Suizid zu begehen. In der Zeitlupe wurde sichtbar, dass der aufgesetzte positive Gesichtsausdruck immer wieder von negativen Ausdrücken durchbrochen wurde. Die Mikroexpressionen offenbarten also die wahren Gefühle der Patienten. Auf den Ergebnissen dieser Studie basiert auch die Arbeit in Lie to me.

FACS dient als Technik zur Emotionserkennung. Beispielsweise kann damit ein echtes von einem aufgesetzten Lächeln unterschieden werden. Bei einem echten Lächeln gehen nämlich nicht nur die Mundwinkel in die Höhe; es bilden sich auch kleine Fältchen um die Augen. Erst die Kombination der beiden Elemente macht ein Lachen von Herzen aus. Da Emotionen sich unserer bewussten Kontrolle entziehen, lässt sich die verräterische Mimik erst nach 40 bis 500 Millisekunden bewusst kontrollieren. In dieser Zeit verraten unsere Gesichter die wahren Gefühle – eben solange, bis wir uns und unsere Muskeln unter Kontrolle haben und unserem verhassten Gegenüber grinsend die Hand schütteln können.  Je stärker die Emotion und der Grad der persönlichen Eingebundenheit, desto stärker tritt dabei auch der Ausdruck zutage. Bei den FACS werden die Muskelbewegungen zu Einheiten zusammengefasst und innerhalb jener codiert. Damit lassen sich die Ausdrücke verschriftlichen. Insgesamt existieren 44 dieser Einheiten, die jeweils mit Zahlen versehen sind. So sind das ‚Heben der Augenbraue außen’ (2), das ‚Herabziehen der Mundwinkel’ (15) oder das ‚weite Öffnen des Mundes’ (27) vermerkt. Wie stark eine Bewegung ausgeführt wird, wird mit Rangwerten von A bis E beschrieben. Dabei steht A für eine nur angedeutete Bewegung, während E das Höchstmaß bedeutet. Prototypisch für die Emotion ‚Überraschung’ ist das Hochziehen der Augenbrauen, das Aufreißen der Augen sowie ein geöffneter, dabei aber entspannter Mund. Auf diese Weise lassen sich auch die restlichen sechs Grundemotionen codieren.

Eine weitere Besonderheit von Eckmans Theorie der sieben Grundemotionen und ihren dazugehörigen Gesichtsausdrücken ist ihre interkulturelle Universalität. Das heißt nichts anderes, als dass wir Gesichtsausdrücke deuten können und es dabei egal ist, ob die andere Person aus unserem eigenen Kulturkreis oder aus einer ganz anderen Ecke der Welt stammt. Damit beruht die Mimik auf bestimmten Mustern, die keinen kulturellen Konventionen unterliegen, sondern auf natürliche Art und Weise entstanden sein müssen. Wenn wir uns im Ausland also einmal weder mit Händen noch Füßen verständigen können, helfen uns vielleicht unsere Gesichter.

Autor*in

Maline ist 25 und studiert Deutsch und Politikwissenschaft im Master an der CAU. Sie ist seit Mai 2015 Mitglied beim Albrecht.

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