Atombomben, bärtige Männer und verschleierte Frauen – Schlagwörter, die vielen in den Sinn kommen, wenn sie an die Islamische Republik Iran denken. Journalist Stephan Orth machte sich im März 2014 auf, das abgeschottete Land zwei Monate lang von fremden Sofas beziehungsweise Perserteppichen aus kennenzulernen und berichtet in Couchsurfing im Iran – Meine Reise hinter verschlossenen Türen von seinen Erlebnissen. Couchsurfing erfreut sich seit den frühen 2000ern großer Beliebtheit. Auf verschiedenen Internetseiten, die sich selbst als Gastfreundschaftsnetzwerke bezeichnen, kann man sein Sofa Fremden zur Verfügung stellen oder nach solch einer kostenlosen Übernachtung suchen. Die Möglichkeit, ein paar Euros für die Unterkunft einzusparen, klingt verlockend, beim Couchsurfing steht aber eigentlich der kulturelle Austausch im Vordergrund.

Dass der Autor auf seiner Reise in eine fremde Welt eintaucht, zeigt sich schon zu Anfang des Buches. Der iranische Kalender schickt ihn über 600 Jahre in die Vergangenheit zurück, in das Jahr 1393. Der historisch gebildete Leser denkt sogleich ans dunkle Mittelalter, aus europäischer Sicht entstammen die iranischen Gesetze auf jeden Fall dieser Zeit. Dass die Normen und Werte im Iran tatsächlich so anders sind als in der Heimat, bemerkt der Leser schon bei Orths Ankunft am Flughafen. Schilder weisen die „respected Ladies“ daraufhin, sich zu verschleiern und Marzipan (enthält Alkohol) oder Cabanossi (bestehen aus Schweinefleisch) können einen vor Gericht bringen.

Den verschiedenen Orten, die Orth im Laufe der zwei Monate bereist, sind jeweils eigene Kapitel gewidmet. Angefangen bei der Hauptstadt Teheran, besucht er insgesamt 23 Städte im ganzen Land – am Persischen Golf und Kaspischen Meer, an der Grenze zu Irak und Turkmenistan sowie die Wüstenprovinz Kerman.

Was er dort erlebt, lässt einen das eigene Bild vom Iran ganz schnell überdenken. Orths erste Gastgeberin, Softwareingenieurin Yasmin, ist Mitglied eines geheimen SM-Clubs in Teheran. Ehsan, angeblich persischer Prinz, stellt den „besten Wein im Westen des Iran“ her und Zahnärztin Elaheh organisiert im streng religiösen Mashad gerne Poolpartys. Vater Staat hat zwar immer ein wachsames Auge auf seine Bürger, trotzdem, so der Autor, seien „die Iraner Weltmeister darin, den Mullahs ein Schnippchen zu schlagen“.

Die vielen Gespräche, die Orth mit seinen Gastgebern führt, drehen sich zwangsläufig um die Themen Politik, Religion, Wünsche und Sehnsüchte der Iraner. Schnell lernt der Leser zwischen der offiziellen Darstellung des Landes durch die Regierung und der teilweise stark abweichenden Meinung der Bevölkerung zu unterscheiden. Anti-amerikanische Bilder und Sprüche wie „Down with USA!“ lassen sich im Teheraner Stadtbild angeblich häufiger finden, Gastgeberin Yasmin spricht aber auch davon, dass die USA ein Sehnsuchtsland für viele junge Leute sei.

Die zahlreichen Fotos im Buch und der angenehme Schreibstil des Autors sorgen für ein kurzweiliges, dennoch nachhaltiges Lesevergnügen. Er schildert die verschiedenen Facetten des Alltagslebens, aber auch die manchmal überraschende Schönheit der Landschaft und erzeugt damit ein komplett anderes Bild als es die Medien gerne suggerieren.

Zum Schluss weist Orth explizit daraufhin, dass seine Erlebnisse nicht als repräsentativ eingestuft werden können sondern als „Begegnung mit einer ausgesuchten Gruppe, die Englisch spricht, sich für Reisen und für das Leben im Westen interessiert“. Auch wenn der Leser dies immer im Hinterkopf behalten sollte, bleibt ein großer Wermutstropfen. Um das Leben zu leben, was manche Leute sich wünschen, müssen sie ständige Heimlichkeiten in Kauf nehmen und „drakonische Strafen“ fürchten. Menschenrechte werden mit Füßen getreten, Frauen sind in der Öffentlichkeit immer nur „schmückendes Beiwerk“ und ein Großteil des Lebens findet hinter geschlossenen Wohnzimmervorhängen statt. Das Buch ist aufgrund der vielen Begegnungen nicht nur als reiner Reisebericht zu verstehen, sondern auch als Anregung, sich mit den Zuständen im Iran gedanklich auseinanderzusetzen, gleichzeitig macht es einen sehr dankbar, in Europa zu leben.

Autor*in

Rebecca war von 2014 bis 2019 teil der ALBRECHT-Redaktion. In der Zeit hat sie für ein Jahr das Lektorat geleitet und war ein weiteres Jahr die stellvertretende Chefredakteurin.

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