Hoch gesicherte Grenzen, Waffen und die ständige Gefahr der Eskalation: Wenn wir an Länder mit hoher Militarisierung denken, fallen uns schnell die USA, Israel, Russland oder Nordkorea ein. Werden die Militär- und Personalausgaben im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt, zur Bevölkerungsanzahl und zu zivilen Ausgaben betrachtet, so zeigt sich aber ein überraschendes Bild. Weit vorne im jährlich erscheinenden Globalen Militarisierungsindex des Internationalen Zentrums für Konversion (BICC) finden sich die Kaukasusstaaten Armenien (Platz 3) und Aserbaidschan (Platz 11). Zwei Staaten, die außerhalb des alljährlichen „Twelve points from Baku“ oder „Twelve points from Yerevan go to…“ beim Eurovision Song Contest selten in den Medien auftauchen. Der hohe Aufrüstungsgrad dieser Nachbarländer gründet sich dabei zu einem großen Teil auf den Konflikt um einen Landstrich, der nur ein Drittel so groß ist wie Schleswig-Holstein – Nagorno Karabakh, zu deutsch Bergkarabach.

Bergkarabach, das klingt nach Alpenromantik und Bergidylle. Tatsächlich stehen sich Armenier und Aserbaidschaner hier seit mehr als zwanzig Jahren unversöhnlich gegenüber. 142 000 Einwohner leben in der unwegsamen Bergregion im südlichen Kaukasus. Jeder sechste von ihnen hat in seinem Leben als Soldat gekämpft. In einem blutigen Krieg zwischen 1992 und 1994 starben mehr als 25 000 Menschen, eine Million wurde vertrieben. Beigelegt wurde der Streit nie. An der Frontlinie brechen immer wieder Gefechte aus, eine Besserung der Beziehungen oder ein Friedensabkommen sind auch 20 Jahre später nicht in Sicht. Um die Gründe für diese traurige Situation zu erfahren, müssen wir in die Vergangenheit blicken.

Bergakarabach liegt völkerrechtlich gesehen in Aserbaidschan, de facto wird das Gebiet (braun) aber von Armenien kontrolliert, das auch andere Gebiete Aserbaidschans besetzt hält (orange). Quelle: wikimedia commons Furfur
Bergakarabach liegt völkerrechtlich gesehen in Aserbaidschan, de facto wird das Gebiet (braun) aber von Armenien kontrolliert, das auch andere Gebiete Aserbaidschans besetzt hält (orange). Quelle: wikimedia commons Furfur

Der Name Nagorno Karabakh setzt sich aus einer Mischung verschiedener Sprachen zusammen: Nagorno, Russisch für „Hochland“, „kara“, Türkisch für schwarz, und dem persischen Wort für Garten „bagh“. Diese Kombination spiegelt die wechselvolle Geschichte des abgelegenen und schwer zugänglichen Landstrichs wider. Seit dem Mittelalter wurde die Region abwechselnd von muslimischen Herrschern aus Aserbaidschan und christlichen Armenier-Fürsten kontrolliert, zeitweise aber auch zu Persien und dem Osmanischen Reich gezählt.

1805 wurde Bergkarabach nach dem Russisch-Persischen-Krieg an das Russische Kaiserreich angegliedert. Die zwei Bevölkerungsgruppen, etwa 80 Prozent muslimische Aserbaidschaner und 20 Prozent armenische Christen, lebten zu dieser Zeit zwar nicht immer einträchtig, aber weitgehend problemlos nebeneinander her. Das christlich-orthodoxe Russland unterstützte die Einwanderung der ebenfalls christlichen Armenier nach Bergkarabach, die in Persien Repressionen und im Osmanischen Reich in den Jahren 1915/16 sogar Genozid ausgesetzt waren, sodass sich die Bevölkerungsverhältnisse immer mehr umkehrten. Trotzdem wurde Bergkarabach nach der Oktoberrevolution als autonome Region der Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik in die Sowjetunion eingegliedert – zur Unzufriedenheit der Armenier, die 1923 bereits 94 Prozent der Bevölkerung ausmachten.

Wandel seit der Zeit der Sowjetunion

Trotz des Autonomiestatus gab es in der Sowjetunion immer wieder Bestrebungen für einen Anschluss Bergkarabachs an die Armenische Sowjetrepublik oder eine Unabhängigkeit innerhalb der UdSSR. In der Endphase der Sowjetunion ergaben sich daraus in der Region immer größere Spannungen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern. Immer wieder kam es zu Diskriminierung, Pogromen und Verfolgung auf beiden Seiten. Nach einem von der armenischen Regierung initiierten Unabhängigkeitsreferendum eskalierte der Konflikt 1992 zu einem offenen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Zugehörigkeit der Bergregion. Im Laufe des Krieges eroberte die armenische Armee nicht nur Bergkarabach, sondern auch den Streifen Aserbaidschans, der die Region bis dahin von Armenien trennte. Die Opfer: über 25 000 Tote und eine Million Geflüchtete in beiden Ländern. Infolge des Krieges flohen nahezu alle Aserbaidschaner, die bis dahin in Armenien und Bergkarabach gelebt hatten, nach Aserbaidschan; gleichzeitig Armenier aus Aserbaidschan nach Armenien. Durch Kriegsverbrechen und Massaker an der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten wuchs der Hass zwischen den beiden Volksgruppen immer weiter, sodass es seit dem Waffenstillstand von 1994 nicht zu einem Friedensvertrag gekommen ist.

International anerkannt ist Bergkarabach seitdem weiterhin als Teil Aserbaidschans, tatsächlich existiert aber eine von Armenien unterstützte Regierung, die die Republik Artsakh ausgerufen hat, ein Name eines armenischen Fürstentums, das im Mittelalter auf diesem Gebiet existierte. Laut einer Volkszählung von 2005 leben in der ganzen Region noch sechs Aserbaidschaner, mehr als 99 Prozent der Bevölkerung sind Armenier. Tatsächlich hat aber weder Armenien noch irgendein anderes Land der Welt Artsakh anerkannt, auch wenn es in einigen Ländern inoffizielle diplomatische Vertretungen gibt. Gerade in den USA gibt es allerdings eine große armenische Lobby, die bereits in vier US-Staaten den Wunsch nach Anerkennung der Region im Parlament durchsetzen konnte. Dabei sind die USA zusammen mit Armenien die einzigen Nationen, die der abgelegenen und armen Bergregion Entwicklungshilfegelder schicken. 2009 wurde mit Geldern aus Armenien der im Krieg zerstörte Flughafen der Hauptstadt Stepanakert wieder instand gesetzt – ein Flugzeug ist dort aber seitdem nicht gelandet, da Aserbaidschan postwendend gedroht hat, jedes Gefährt, das sich dem Flughafen nähert oder ihn verlässt, vom Himmel zu holen. So beeinträchtigt nicht nur die Isolation, sondern auch die permanente Gefahr der Eskalation das Leben der Bewohner der Gebirgsregion.

Bergkarabach bietet wunderschöne Natur - wegen des Krieges wird sie nur selten von Touristen bestaunt. Quelle: wikimedia commons
Bergkarabach bietet wunderschöne Natur – wegen des Krieges wird sie nur selten von Touristen bestaunt. Quelle: wikimedia commons

Erst 2016 flammte der Schwelbrand erneut auf: Im April 2016 gab es vier Tage lang Gefechte an der Frontlinie, 92 Menschen starben, im Sommer 2017 griff eine aserbaidschanische Drohne armenische Stellungen an. Eine Entspannung ist nicht in Sicht, die Soldaten an der Frontlinie sind im Dauereinsatz. Armenien gibt derzeit 4,1 Prozent des BIP für sein Militär aus, Aserbaidschan liegt mit 3,6 Prozent leicht dahinter, in absoluten Zahlen als Ölstaat weit vorne. Trotz des fallenden Ölpreises stehen der autokratischen Regierung Aserbaidschans weitaus mehr Mittel zur Verfügung, als dem vergleichsweise armen Staat Armenien. Dessen Regierung wird wiederum von Russland unterstützt, während auf der Seite Aserbaidschans die türkische Regierung steht. Das ist auch der Grund dafür, warum die Lösung des Konflikts immer weiter verschleppt wird. Ein offener Krieg im Kaukasus könnte nur der Funke für ein weitaus größeres Pulverfass sein.

Autor*in

Eva ist seit November 2015 in der Redaktion. Sie studiert Biochemie und Molekularbiologie an der CAU. Als Ressortleiterin hat sie sich bis Anfang 2019 um den Hochschulteil der Zeitung gekümmert, mittlerweile schlägt ihr Herz für Online.

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