Es ist Freitagvormittag, ich betrete den Plattenladen Blitz Records in der Kieler Hopfenstraße, schaue mich um und entdecke den Chef: Jeans, Pulli, einen Stapel CDs in der Hand – Stefan könnte auch als Kunde durchgehen. Kurzer Smalltalk und ich stehe schon hinter dem Ladentresen, über den ich selbst von der anderen Seite bereits einige Scheine geschoben habe. Mitarbeiter Lars kocht mir Kaffee. Auch er war jahrelang selbst Kunde, bevor er neben seinem Studium den Job hier ergatterte. Mittlerweile betrachtet er ersteres eher als den Nebenjob. „Willst du CDs einräumen?“, fragt er mich, und gemeinsam packen wir die silbernen Scheiben in Sicherungen und dann in die Regale. Freitag ist Release-Tag: „Davon werden heute einige weggehen“, sagt Lars und deutet auf das neue Pink Floyd Album. CD, Vinyl, DVD, Blu-Ray, es kommt mit allem, was das mediale Herz begehrt. Ich bezweifle, dass es Leute gibt, die sich das Komplettpaket zulegen – ein paar Stunden später werde ich eines Besseren belehrt. Auf meine Frage hin, ob die neue Platte denn wenigstens gut sei, verzieht Lars nur das Gesicht.

Vier Freunde waren es, die Blitz in den 80ern gründeten. Sie suchten nach einem Weg, günstiger an neue Musik zu kommen und so entstand Kiels beliebter Plattenumschlagspunkt. Nach einem Jahr lief das Geschäft so gut, dass sie an den Europaplatz umzogen, seit 2008 befindet sich der Laden in der Hopfenstraße. 25-jähriges Jubiläum wurde letztes Jahr gefeiert. Ähnlich wie Lars, war Stefan zunächst Stammkunde, fing dann neben seinem Informatikstudium an, im Laden zu jobben und die Nächte als DJ in der Bergstraße zu zechen, bis er ’98 die Informatik sausen ließ und den Chefposten übernahm. „Musik war der Schwerpunkt“, begründet er seine Entscheidung, „das einzige, was mich wirklich interessiert hat“. Umso verwunderter ist man, wenn Stefan beichtet, dass er all seine Platten verkauft hat, doch damals habe niemand nur an die Möglichkeit der Vinylrückkehr gedacht, erklärt er mir. Dieser Aufschwung des Vinyls ist tatsächlich ein Lebensretter für viele, von den steigenden Downloadzahlen beeinträchtigte, Independent Plattenläden. Auch Stefan hofft, dass die großen Scheiben kein vergängliches Hipsterphänomen bleiben. Musik wieder anfassbar gemacht: Statt Dateien auf dem PC gibt es Platten in der Hand und das Knistern im Ohr, wenn die Nadel das Vinyl berührt.

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Mehr als nur Arbeitskollegen: Lars und Stefan bilden die eine Hälfte des Blitz Teams. Foto: lse

Im Laden befindet sich von Pop über Indie bis Metal eigentlich alles, was das Fanherz begehrt – nur Schlager, die gibt es hier nicht. Auch lokale Bands bekommen auf Anfrage die Möglichkeit, ihre Musik in den Laden zu stellen. Ab und zu verwandelt sich Blitz sogar in eine Bühne, auf der nach Feierabend kleine Konzerte gespielt werden. Zusätzlich kurbeln Second Hand DVDs und CDs das Geschäft an: Neben Weihnachtssamplern entdecke ich Justin Timberlake und Nirvana. Ist eine gewünschte Platte mal nicht da, wird sie kurzerhand bestellt, das schätzen viele der Musikliebhaber im Laden. „Bei Media Markt oder Saturn zu kaufen finde ich irgendwie genauso gefühllos wie bei Amazon – support your local record store“, beteuert mir Sebastian, der gerade einen Stapel Platten kauft und die andere Hälfte bestellt. Auch Luzie macht sich auf den Weg in den Laden, wenn sie neue Musik will: „Man bestellt eben auch keine Bücher bei Amazon, da geht man auch in den Buchladen und macht es dort“. Diese Aussage trifft wahrscheinlich bei weitem nicht auf den Durchschnitt der Leute zu, aber es ist auch nicht nur der Durchschnitt, der bei Blitz einkauft: Ein Typ mit Campino Frisur, eine Oma mit ihrer Enkelin, Rollstuhlfahrer, ein KVG-Angestellter, junge Eltern mit Kinderwagen, ältere Herren, Studierende, Hipsterbärte – sehr verschiedene Menschen betreten den Laden. Viele erzählen mir, sie mögen das Erlebnis, selbst herzukommen, zu stöbern. Einige setzen sich mit einem Stapel an die CD Player, hören einfach mal rein, und kaufen dann, was ihnen gefällt. Andere fragen, ob es was Neues gibt, das sie interessieren könnte, oder wollen wissen, was da gerade durch die Boxen im Laden schallt. Jeder ist hier per Du. Die Atmosphäre ist entspannt. „Ist hier einfach gemütlich“, sagt Sebastian.

Der Alltag für die Jungs hinter dem Ladentresen bedeutet meist Lieferungen auspacken und in die Regale räumen, Kunden bedienen, Bestellungen aufnehmen. Langweilig wird Lars allerdings nicht. „Es gibt immer was zu tun“, grinst er. Bestellt wird anhand von Stefans gutem Geschmack und dem, was er in Musikmagazinen und Blogs liest und da kommt meist einiges zusammen: „Früher gab’s bei weitem nicht so viele Veröffentlichungen wie heute“, erklärt Stefan. „Um 100 CDs zu verkaufen, musste man nur zehn Bands da haben, jetzt sind das 80 oder 90.“ Deswegen gibt es auch nur ein kleines Vorratslager an Musik, alles andere würde sich nicht rentieren. Was fehlt, wird nachbestellt.

Ich genieße meine Zeit im Laden. Die Jungs erklären mir viel und ich merke, dass ihr Job eben nicht nur Arbeit, sondern Passion ist. Lars bestätigt das: „Was ich an dem Laden hier eigentlich am meisten liebe, sind meine Kollegen, wir sind Buddys, wir teilen alle eine Leidenschaft.“ Dass die Jungs echt Bock auf Musik haben, bekommt jeder mit, der den Laden betritt und das ist es, was das Erlebnis Plattenladen so besonders macht. Kundin Luzie erzählt mir, dass sie keine allzu gute Zeit in Kiel erlebt hätte, aber immer wenn sie hier sei, die Dinge tun würde, die ihr damals gut getan hätten. Und dazu gehöre ein Besuch bei Blitz. Schöner kann man eine Reportage doch kaum enden.

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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