Über Sinn und Unsinn einer Ringvorlesung

Ein Kommentar.

Wer dem einseitigen Alltag seines Studiums, Berufs- oder Rentendaseins entfliehen möchte, hat an der CAU die Möglichkeit, Ringvorlesungen zu besuchen, in denen sich Dozenten und Dozentinnen aus unterschiedlichen Fachbereichen wöchentlich zu einem gewählten Thema äußern. Eines lautet Phantastische Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart und handelt von Venusfrauen, Vampiren und Frankenstein.

Unweigerlich muss gesagt werden, dass man es mit sehr belesenen Vortragenden zu tun hat, die tiefgehend analysieren und in Frage stellen. Es ist zu loben, dass sie sich die Zeit nehmen, ihre Forschungsergebnisse an die Besuchenden der Ringvorlesung weiterzugeben. Doch leider trifft ‚Vorlesung‘ im wörtlichen Sinn auch den bisherigen Stil der Reihe: Frau Prof. Dr. Marianne Wünsch schien mit ihren Augen am Skript festzukleben, da gab es weder viel Struktur, noch Erbarmen. Es schien, als hätte jemand Play gedrückt und eine CD laufen lassen, dann das Dankeschön und Aus. Herr Dr. Ole Petras ordnete sich zwar genauso in die Reihe der Vorlesenden ein, suchte aber deutlich mehr Kontakt zum Publikum. Er erlaubte sich hier und da einen frei gesprochenen Scherz oder Ironie und erntete am Ende seines Vortrages über Vampirmythen verdienten Applaus.

Eigentlich spannend: Eine Ringvorlesung über Horror und Phantastik.
Eigentlich spannend: Eine Ringvorlesung über Horror und Phantastik.

Doch auch Herr Dr. Petras konnte nicht umhin, seinen Vortrag mit ausschweifenden Ausdrücken aus der feinen Welt der Fremdworte zu speisen. Wir sind hier an einer Universität, mögen einige sagen, was ist also das Problem? Die Frage ist wohl die nach der Zielgruppe: Man nehme Student Albrecht. Er ist fachfremd, studiert Biologie und freut sich deshalb in der Ringvorlesung seinem Interesse an Literatur nachzukommen. Erwartungsvoll betritt er den Saal. Zwanzig Minuten später befindet er sich in literarischer Trance. Seine biologischen Synapsen konnten die übermäßig gebrauchten fachspezifischen Worte von Rednerin Wünsch nicht verarbeiten. Während er noch über Korrelation und Ambiguität nachdenkt, macht sie schon einmal mit intrapsychischer Realität und Quasiprojektion weiter. Rentnerin Albrechtine geht es übrigens ähnlich wie Student Albrecht. Sie wollte sich eigentlich nur im Bereich Literatur fortbilden und etwas Gehirnjogging betreiben, doch ihre grauen Zellen hecheln bei diesem Tempo leider nur hinterher.

Diese zwei zugegeben überspitzten Beispiele lassen sich natürlich nicht auf die gesamte Hörerschaft anwenden. Die halbe Riege des Instituts für neuere deutsche Literatur und Medien ist anwesend. Doch sollte es bei einer solchen Ringvorlesung nicht gerade darum gehen, auch Fachfremden die Möglichkeit zu geben, Neues über Literatur zu erfahren und ihre Horizonte zu erweitern? Es bleibt stark zu bezweifeln, dass sie sich hier dauerhaft wohlfühlen, denn die meisten, die eine Ringvorlesung besuchen, tun dies freiwillig und aus persönlichem Interesse. Es wäre also zu erwarten, dass der Fokus auch darauf läge, etwas mehr Elan in die Sache zu bringen. Das Publikum besteht aus interessierten Menschen, keinen Jurymitgliedern des Pulitzer-Preises. Was soll also dieser übermäßige Fremdwortgebrauch? Man sollte doch meinen, dass der reine Akt, die Dozentinnen und Dozenten zum Sprechen einzuladen, schon zur Genüge zeigt, dass sie über ausreichend Fachwissen verfügen.

Wer jetzt die Wortkunstkeule schwingt und fragt, warum man denn das Niveau senken solle, der sollte sich fragen, weshalb nicht mehr als 100 Leute bei den Vorlesungen anwesend sind. Niveau zeigt sich nämlich nicht unbedingt durch den möglichst häufigen Gebrauch von Wörtern wie ‚anthropogen‘, ‚Hybris‘ und ‚Involution‘, sondern vielmehr in der Fähigkeit seine Zuhörerschaft dort abzuholen, wo sie steht, und wissenschaftliche Themen für fachfremde Interessenten zugänglich zu machen. Sollte es also Voraussetzung sein, zum Verständnis dieser Vorlesung unumstößlicher Literaturwissenschaftsfanatiker zu sein, so wurde sie in ihrem Sinn weit gefehlt.

 

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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