Nahe des Hindenburgufers steht in einer Seitenstraße ein idyllisches Häuschen, das früher mal einem Gärtner gehörte und zeitweilig als Mensa fungierte. Inzwischen dient es nun schon seit zehn Jahren als Kieler Literaturhaus für Autorenlesungen und Literaturveranstaltungen. Hier treffen sich Schriftsteller mit Lesern und Hörern und arbeiten in Textwerkstätten mit Jugendlichen zusammen an ihrer Prosa. Unter diesen und anderen Angeboten zielt vor allem die „Leselounge“ auf Studenten ab. Es werden hierbei vorwiegend Debütromane von zwei noch unetablierten Autoren herausgegriffen und dem Publikum durch selbige in Auszügen vorgelesen. Dazwischengeschaltet ist ein musikalischer Live-Auftritt nach Prinz Willy-Manier, so wie Jazz und Oldschool vom Mischpult.

Zum letzten Oktobertag waren hierzu geladen die beiden Autoren Max Scharnigg (32), ein Münchner Journalist der Süddeutschen, und Sara Gmuer (32), die schon modelte, rappte und derzeit in Berlin schauspielert, so wie der Hamburger Musiker Wolfgang Müller. Alle haben sie sich in einem rot-gelblich ausgeleuchteten Raum eingefunden, dessen 14 Stuhlreihen auf ein kleines Podium mit Stuhl und Tisch ausgerichtet sind. Das fast ausschließlich junge Publikum bildet hier sitzend eine gesprächige Kulisse, die mit der Vorstellung des ersten Autoren verstummt. Mit dem Weinglas in der Hand hört man nun Scharnigg beim Vorlesen zweier Passagen aus seinem Roman „Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe“ zu.

Er erzeugt darin einen introvertierten Protagonisten, den nach der Rückkehr von der Arbeit zu seinem Mietshaus der Verdacht ereilt, seine Frau hätte einen anderen Mann bei sich im Raume. In seiner orientierungslosen Reaktion erkührt er eine Ecke unter einer Treppe des Gebäudes zu seinem vorübergehenden Zufluchtsort, wo er sich erst einmal in seine Arbeit vertieft. Im Verlaufe der Geschichte nimmt man die Geschäftigkeit der Anderen aus der witzig ehrlichen Beobachtung dieses Mannes wahr und hat Teil an seiner Wiederbelebung durch einen Freund, deren Höhepunkt sowohl unterhaltsam, als auch sinnstiftend auf den Titel wirkt.

Die Art der Geschichtsentfaltung als Vorlesung ähnelt derweil einem Kinofilm, bei dem man selbst zum Veranschaulichen angehalten ist. Und aufgrund der direkten Gebung durch den Autoren nimmt das Ganze ein Gefühl von Spontaneität an, von Erlebnisteilhabe.

Gleiches gilt für den Auftritt des Gitarristen, Songwriters und Sängers W. Müller. Sein deutsches Solo ist ein typisches, geprägt von festen Rhythmen, viel Textwiederholung und manchmal überspitzt anmutenden Alltagspoetiken. Dazu eine durchdringende Stimme, die zugleich aber sich bemüht, unbeeindruckt klingen zu wollen.

Dann nach einer kurzen Pause stellt schließlich die hochgewachsene Schweizerin Sara Gmuer ihr Erstlingswerk „Karizma“ vor, dessen Verfilmungsangebot sie wegen fehlender Beteiligungschancen abgelehnt hat. Hier findet zusammen die Berliner Rapszene mit der melancholischen Liebe einer haltlosen Protagonistin. Deren Hintergrundgeschichte mag zu gestellt erscheinen, mit einer Mutter, die durch einen Autounfall umkam, und einer anschließenden Trennung vom Vater. Sie fügt sich aber entsprechend in ihren ehrlichen Pessimismus ein. Der Erzählstil ist dem Handlungsmilieu angepasst; rudimentär bis anglizistisch – doch auch immer wieder mit metaphorischen Einschüben und der Kunst eine Szene, einen Moment emotional zu erfassen. Entsprechend urteilt die Autorin selbst: „Es lebt vom Inhalt, wie von der Sprache.“

Nach ihrer Lesung öffnet sich die Leselounge noch dem Abend. Unter bass-lastiger Musik treibt es die Besucher entweder zur Unterhaltung oder schon nach Hause. Das größere Stammpublikum lässt vermuten, dass einige wiederkommen werden und Einsteigern der Belletristik weiterhin die Möglichkeit geben werden, sich zu bewähren. Wollte man den Kinovergleich nochmal aufnehmen, ließe sich das ganze als eine literarische Variation der Sneak-Preview verstehen, bei der es nicht darum geht die Autoren bekannter Bücher zu treffen, sondern den Büchern meist ungekannter und doch verdienter Autoren zu begegnen.

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