von Judith von Kalben und Mimke Lena Teichgräber

Am 29. Januar hat die Christian-Albrechts-Universität in einer Richtlinie ein Verbot von Gesichtsschleiern, den Niqābs, erlassen. Die Begründung dafür bezog sich jedoch nicht auf dessen religiöse Symbolik. Laut der Richtlinie beeinträchtige ein Gesichtsschleier die Kommunikation zwischen Dozierenden und Studierenden so stark, dass eine wissenschaftliche Bildung nicht möglich sei. Dennoch wurde kein allgemeines Gesichtsvermummungsverbot ausgesprochen, das zum Beispiel hygienischen Mundschutz einschließt, sondern speziell der Niqāb verboten. Es scheint, als wäre nicht dieses, vom Präsidium vorgebrachte Argument, Auslöser für das Verbot, sondern als würde es das Unbehagen aufgrund der religiösen Symbolik des Niqābs verschleiern. Ein Verdacht, den auch ++Katharina++ im Interview mit dem ALBRECHT äußerte.

Die Daseinsberechtigung religiöser Symbole auf dem Campus und in Lehrveranstaltungen kritisch zu hinterfragen und auch über diskriminierende Tendenzen organisierter Religionen zu diskutieren, wäre angemessen für eine Universität, die Diversität und Gleichstellung so unterstützen möchte, wie es sich die CAU auf die vielfarbigen Fahnen schreibt. Ein Verbot gegen eine Ausdrucksform nur einer Religion greift  jedoch einem reflektiven Diskurs voraus und terminiert diesen.

Reaktionen auf das Verbot

Mit diesem Unbehagen ist das Präsidium der CAU Kiel nicht allein. Trotz der großflächigen Verachtung von Pegida und AfD ist Kritik am Islam und die Forderung, ihn einzuschränken, immer noch salonfähig. Dass in der Berichterstattung zum Niqāb-Verbot kaum Kritik daran geäußert wurde, macht es umso nachvollziehbarer, dass die Kommentarspalten vor populistischen Pauschalisierungen strotzen. Dabei sind besonders vier Argumentationskategorien präsent, die nicht nur in diesem Diskurs, sondern in den meisten Diskussionen über den muslimischen Glauben präsent sind. Sie beinhalten pseudo-feministische Perspektiven, Angst vor Überfremdung und die angenommene Überlegenheit der “eigenen Werte” und geben Hinweise darauf, warum dieses Verbot wirklich erlassen wurde.

„Verschleierung ist ein Zeichen von Unterdrückung der Frauen“

In einem Tweet zum Niqāb-Verbot wurde geäußert, Niqāb oder Burka würden in Länder gehören, in denen Frauen nichts zu sagen haben. Hierzu muss gesagt werden: Unterdrückung von Frauen ist nicht nur und auch nicht immer Teil des Islams oder islamisch geprägter Länder. Zyniker*innen würden sagen, der Niqāb gehöre laut der Twitter-Argumentation definitiv auch zu Deutschland, denn auch hier erfahren viele Frauen weiterhin strukturellen Sexismus. Wenn also ein feministisches Argument gegen die Verschleierung genutzt wird, sollte dabei einerseits eine intersektionale Perspektive vorherrschen und auch berücksichtigt werden, dass der Niqāb Katharinas freie Entscheidung war. Sexistische Tendenzen, Strukturen oder Regeln in Religionen zu kritisieren ist wichtig. Doch der Ansatz einer einzelnen Frau durch dieses Verbot den Zugang zu einer wissenschaftlichen Bildung zu verwehren, verstärkt nur die ohnehin bestehende Marginalisierung und Diskriminierung muslimischer Frauen in Deutschland. Katharina äußerte hierzu dem ALBRECHT gegenüber, dass obwohl viele sagen, die Unterdrückung der Frau solle nicht gefördert werden, sie gleichzeitig durch genau dieses Verbot unterdrückt werde. Ein Verbot wird wahrscheinlich nicht dazu führen, dass weniger Frauen durch das Tragen eines Niqabs vermeintlich unterdrückt werden, sondern diese nur aus dem öffentlichen Blick verbannen. Deshalb wird es kaum eine Frau dazu bringen, den Niqab abzulegen, sondern eher Frauen, die studieren wollen, genau dieses Recht zu verwehren.

„Der Niqāb hat in Deutschland nichts verloren, in ihrem Heimatland kann sie den gerne tragen.“

Natürlich kann man bei der Aussage der KN über die „angeblich zum Islam konvertierte Deutsche” ihren Hintergrund aus den Augen verlieren, deshalb hier nochmal zur Erinnerung: Katharina ist konvertierte Deutsche. Stumpf „Ausländer raus!” zu pöbeln, ist in jeder Diskussion unangebracht und in dieser sogar absolut kontextlos. Sie ist da, wo sie herkommt. Der Vorschlag, dorthin zurück zu gehen, würde sie also direkt wieder nach Kiel führen.

„Diese Frau stellt ihre Religion über die Werte anderer Menschen und diskriminiert sie damit.”

Eine Kommentatorin setzte dieser Aussage hinterher: „Als Grundrechtträgerin möchte ich Menschen, denen ich begegne ins Gesicht schauen können, ihre Hände sehen können und ihre Körpersprache, der Umhang beschneidet mich aber in meinen Rechten.“ Ein Grundrecht, dass ihr Blick auf Körperteile ihres Gegenübers zuspricht, existiert so nicht und klingt zudem äußerst problematisch im Bezug auf sexualisiertes Verhalten. Auch Ralf Stegner sagte: „Religionsfreiheit ja – Provokation nein.” Als Provokation ist Katharinas Niqāb nur zu verstehen, wenn damit das diffuse Gefühl der Befremdung verbunden mit der Mehrheitsmeinung zum Islam gemeint ist. Diese Befremdung und Angst passiert in den Köpfen deutscher Zeitungsleser*innen automatisch, wenn Islam und Islamismus in den Medien praktisch gleichgesetzt wird und in Artikeln zu Gewaltverbrechen, die nicht von weißen, christlichen Kindern deutscher Eltern verbrochen werden, immer das Herkunftsland oder das vermeintliche Herkunftsland des/der Täter*In angegeben wird, solange es kein europäisches Land ist. Katharina versteht selbst, wenn Menschen das ungewohnt finden. „Sie haben Angst vor dem Unbekannten.” Angst vor etwas Unbekanntem muss aber nicht immer der Hinweis darauf sein, dass dieses Unbekannte wirklich eine Bedrohung ist. Zur Angstbewältigung wäre also der Dialog sinnvoller als die Verdrängung verschleierter Frauen.

„Wir haben hier unsere deutschen, christlichen Werte und die dürfen wir auch durchsetzen.“

In solchen Kommentaren offenbart sich, dass die (oft negative) Meinung zum Islam vieler über Gesetze zu Religion und Selbstbestimmung gestellt wird. Die Einstellung, dass die Werte christlicher, nicht-migrierter Deutscher die einzig schutzbedürftigen sind, wirkt priviligiert und anmaßend. Gleichzeitig ist der Kommentar wenigstens ehrlich und offen in ihrer Ablehnung.

Unterstützung und Gegenstimmen

Zum Glück gibt es auch Menschen, die sich nicht einfach abwenden, sondern ermutigen, verteidigen und nicht ihre Meinung zum Islam, sondern zur Freiheit der Selbstbestimmung vorschieben. Die Unterstützung reicht von juristischen Analysen des Falls, über die persönlichen, nicht eingeschränkten Erfahrungen eines Dozenten mit einer Studentin in Niqāb, dem Vorschlag, aus Solidarität Niqāb zu tragen, politischen Stellungnahmen. Mittlerweile wurde auch ein Beschwerdebrief formuliert, mit dem jede*r die Möglichkeit hat, sich an das Präsidium der CAU zu richten.

Die Ausgelassenheit in den Kommentarspalten deutet an, wie politisch das Niqāb-Verbot der CAU ist, und auf welchem Nährboden es gedeihen konnte. Der Aufwand, der betrieben wurde, um willkürlich eine einzige verschleierte Studentin davon abzuhalten, ihr Studium zu absolvieren, ist unverhältnismäßig und diskriminierend. Universitäten sollten Freiheit, Selbstbestimmung und vor allem wissenschaftliche Karrieren fördern und nicht verhindern.

Autor*in

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Autor*in

Judith studiert Anglistik und Deutsch und ist seit Mai 2018 beim Albrecht dabei.

Autor*in

Studiert seit 2013 Psychologie in Kiel, und frönt dem ALBRECHT seit dem Wintersemester 2014/15, von 2015 bis 2017 als Bildredakteurin und von Januar 2017 bis Januar 2018 als stellvertretende Chefredakteurin.

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