Über die Einseitigkeit der Berichterstattung in den deutschen Massenmedien am Beispiel Venezuelas

Ein Kommentar.

Venezuela war in den letzten Wochen ein Dauerthema in den deutschen Medien. Die Berichte und Fotos der verschiedenen Medienakteure gleichen sich: Demonstrationen, vermummte Polizisten mit Schlagstöcken, Rauchgranaten, brennende Objekte, offene Gewalt auf der Straße – ob in der Tagesschau, der FAZ, Die Zeit, oder in den Kieler Nachrichten. Damit wird bildgewaltig ein Szenario in den Köpfen erzeugt: Die Bevölkerung Venezuelas wehrt sich gegen ein finsteres Militär-Regime. Friedliche Proteste der Opposition eskalieren aufgrund von brutalen Polizeieinsätzen. Großer Antagonist ist Staatschef Maduro, der autoritär über die Köpfe der Bevölkerung hinweg regiert. Eine klare Kiste also für das Ruhe und Ordnung liebende zentraleuropäische Publikum.

Und damit das auch so bleibt, tauchen bestimmte Nachrichten und Bilder gar nicht erst auf: zum Beispiel Massendemonstrationen von Befürworter/innen der Regierungs-Politik oder Gewalttaten der rechten Opposition. Berichte dazu finden sich nicht oder allenfalls als Randnotizen bei den großen deutschen Medienakteuren – ebenso bei anderen westlichen Massenmedien (wie zum Beispiel bei BBC oder CNN). Wer diese Informationen erhalten will, der/die muss sie sich aktiv beschaffen. Möglichkeiten dazu bieten alternative Nachrichtenseiten wie amerika21.de, linke Zeitungen wie die Junge Welt oder nicht-westliche Massenmedien wie Russia Today.

Eckdaten der gesellschaftlichen Entwicklung vor und nach Regierungsantritt der PSUV // Quelle: teleSUR
Eckdaten der gesellschaftlichen Entwicklung vor und nach Regierungsantritt der PSUV // Quelle: teleSUR

Die Einseitigkeit in der Darstellung der Situation Venezuelas wirft Fragen auf: Wie steht es um die Objektivität der deutschen Massenmedien? Verträgt sich ein derart selektiver Journalismus mit dem Pressekodex, der die „wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit“ fordert? Und bleibt dieses Phänomen allein auf Venezuela beschränkt? Diese Frage lässt sich verneinen. In den vergangenen Jahren mehrten sich die Beschwerden über tendenziöse Berichterstattung in den deutschen Medien. Vor allem hinsichtlich des Ukrainekonflikts, des Bürgerkriegs in Syrien und der Politik Russlands im Allgemeinen gab es zahlreiche Proteste über Einseitigkeit und Voreingenommenheit der Nachrichten zum Beispiel bei ARD und ZDF.

Die politische Relevanz einer gefilterten Berichterstattung sollte nicht unterschätzt werden. Nachrichtensendungen, wie die Tagesschau um 20 Uhr mit einem durchschnittlichen Zuschauervolumen von 5,3 Millionen Zuschauer*innen täglich (Stand 2016), und andere Massenmedien haben erheblichen Einfluss auf die politische Bildung ihrer Konsument*innen. Sie sind Quellen für Informationen über das politische Geschehen. Sind diese Informationen allerdings einseitig, werden die Massenmedien zu Instrumenten politischer Beeinflussung und Meinungsmache.

Ein Blick auf die Massenmedienlandschaft in Deutschland zeigt, dass hier längst Konzentrationsprozesse stattgefunden haben. Neben dem deutschen Staat (in Form des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks) gehört der Großteil des Medienmarktes vor allem zwei großen Medienkonzernen: Bertelsmann und Axel Springer. Beide bündeln jeweils ein ganzes Netzwerk an einzelnen Medienakteuren. Beide sind ihrerseits wieder gut eingebunden in einen Cluster großer Konzerne. Da stellt sich die Frage nach den Ursachen für tendenziöse Berichterstattung in einem anderen Licht. Sie muss ergänzt werden mit der Frage: Cui bono – wem nützt es?

Im Falle Venezuelas fällt auf, wie stark die Berichterstattungen darauf abzielen, die Regierung zu diskreditieren und die Proteste der Opposition zu einer mächtigen Bewegung zu stilisieren. Selbstverständlich müssen gewalttätige Zusammenstöße jeglicher Art kritisch hinterfragt werden. Wo die Polizei mit Gewalt gegen Demonstrant*innen vorgeht, da liegen grundlegende gesellschaftliche Probleme vor – ob in Venezuela, in den USA, oder in Deutschland (siehe Stuttgart21 oder G20 in Hamburg). Polizeigewalt ist zu kritisieren. Und auch die wirtschaftlichen Probleme in denen Venezuela steckt, müssen thematisiert werden: die Abhängigkeit von der Erdölindustrie, die Inflation und die Versorgungsschwierigkeiten. Die Regierung steht vor schwierigen Aufgaben und ihre Glaubwürdigkeit muss daran bemessen werden, ob sie diese Aufgaben lösen kann. Das gilt wiederum für alle Regierungen – ob in Venezuela, in den USA oder in Deutschland.

Es müssen aber auch die immensen Entwicklungen betrachtet werden, die in Venezuela bewerkstelligt wurden seit dem Amtsantritt der regierenden PSUV (dt. Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas) mit Hugo Chávez und seit dessen Tod 2012 mit Nicolás Maduro an der Spitze. Speziell auf sozialer Ebene hat sich vieles verändert. Durch die Einführung der neuen Verfassung 1999 wurden unter anderem die Rechte der Frauen verbessert und die Gleichberechtigung der indigenen Völker verankert. Kostenlose Bildung und medizinische Versorgung wurden garantiert. Als Sofortmaßnahme zur Behebung medizinischer Notstände wurden 15 000 kubanische Ärzte ins Land geholt. Außenpolitisch ist vor allem die Gründung der ALBA (dt. Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika) zu nennen – ein Zusammenschluss lateinamerikanischer Nationen, die über die Ländergrenzen hinaus gemeinsam wirtschaftliche, politische und soziale Probleme angehen. In diesem Zusammenhang wurde auch eine gemeinschaftliche Bank gegründet, eine ‚Bank des Südens‘, die nicht dem Internationalen Währungsfonds untersteht, Ländern des globalen Südens mittels Krediten Aufbauhilfe ermöglicht und diese im Kampf gegen Imperialismus und Neo-Kolonialismus unterstützt.

Das Bertelsmann-Imperium // Quelle: Marc Michels Medienwatch
Das Bertelsmann-Imperium // Quelle: Marc Michels Medienwatch

In der Berichterstattung der deutschen Massenmedien spielen Demonstrationen von Regierungs-Befürworter*innen keine Rolle; auch nicht die Maßnahmen, welche die Regierung unternimmt, um die wirtschaftlichen Probleme unter Kontrolle zu bekommen. Genauso wenig werden unschöne Seiten der oppositionellen Gruppen thematisiert: Rechte Paramilitärs, die Jagd machen auf Regierungsangestellte und Menschen auf offener Straße ermorden, Oppositionsführer die offen zu einem Militärputsch und Bürgerkrieg aufrufen oder die Rolle der USA und deren Geheimdienst CIA beim Anheizen des Feuers. Und selbst ein Gewaltakt, wie die Entführung eines Helikopters und der Angriff mit Granaten auf das Gebäude des Obersten Gerichts in Caracas, wurde am 28. Juni dieses Jahres von der FAZ nicht als Terrorangriff bezeichnet, sondern als „obskurer Vorfall“ verniedlicht und dessen Ausführer als Held in Szene gesetzt.

Wird hinter den Kulissen der nächste ‚Regimechange‘ vorbereitet? Speziell der aktuellen US-Regierung unter Präsident Donald Trump ist eine verstärkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten lateinamerikanischer Staaten zuzutrauen. Und wird das ganze bereits medial so in Szene gesetzt, dass dem deutschen Publikum ein solcher ‚Regimechange‘ – ob als Militärputsch oder als Intervention von außen – als folgerichtig und alternativlos erscheint?

Fakt ist: Ohne umfassende Informationen lässt sich die politische Situation in Venezuela nicht beurteilen. Genau deswegen muss die Einseitigkeit der Darstellung in den deutschen Massenmedien kritisiert werden. Wo auf seriöse und scheinbar objektive Art und Weise ein Ausschnitt der Wahrheit dargestellt und mit Bildern und unzähligen Wiederholungen in diversen Medienträgern aufgebauscht wird, da bleibt der Rest der Wahrheit außen vor. Jede*r Studierende lernt, dass das eine unwissenschaftliche Herangehensweise ist. Sie widerspricht auch dem Pressekodex, dem alle Journalist*innen verpflichtet sind. Dadurch wird Berichterstattung zur politischen Meinungsmache und die Medien zum Werkzeug der Manipulation. Was wir aber brauchen, ist die ganze Wahrheit – in ihrer vielschichtigen und oft widersprüchlichen Form. Nur so können wir uns selbst ein Bild von der Lage machen – ob in Venezuela oder anderswo. Nicht weniger sollten wir von den Medien und dem Journalismus fordern.


Titelbild: Zehntausende Menschen demonstrierten am 1. Mai in Caracas ihre Zustimmung mit der Politik der Regierung
Quelle: flickr / Bernardo Londoy

 

 

Autor*in

Mark studiert Prähistorische und Historische Archäologie sowie Soziologie an der CAU. Seit dem Sommersemester 2017 gehört er zur ALBRECHT-Redaktion.

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