Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln sind für Deutschland ein Schock gewesen. Eine solche Welle von Massenbelästigung an Frauen gab es so noch nie. Viele gaben Geflüchteten und Migranten pauschal die Schuld. Doch Fakt ist: Sexuelle Belästigung und Gewalt sowie Stalking gibt es nicht erst seit der Silvesternacht in Köln. Diese Probleme existieren seit Jahrzehnten und entsprechende Vorfälle ereignen sich überall: auf der Straße, im Fahrstuhl, am Arbeitsplatz und auch in der Universität, bzw. auf dem Campus.

Eines der jüngeren Beispiele sind die Fälle von Exhibitionismus, die auf und um den Campus der CAU stattfanden. Seit Monaten trieb bzw. treibt sich ein nackter Mann herum, der Studentinnen belästigt, indem er sie verfolgt und dabei masturbiert. Der Täter wurde mit Fahndungsplakaten gesucht, trotzdem wurde der Fall erst durch Berichte des ZDF, der Kieler Nachrichten und der SHZ der breiten Öffentlichkeit bekannt. Mindestens zwölf Anzeigen sind seit dem Auftreten der Fälle bei der Polizei eingegangen. Auch der Fall eines Mannes, der sich als Rollstuhlfahrer ausgab und auf Toiletten Studentinnen zu sexuellen Handlungen nötigte, machte vor ein paar Jahren an der CAU die Runde. Die Uni-Leitung rief dazu auf, Fälle von sexueller Belästigung oder Gewalt zu melden.

Doch es bleibt nicht bei Einzelfällen. Die Dunkelziffer sexueller Übergriffe gegenüber Frauen scheint höher als erwartet. In der von der Europäischen Union ausgerichteten Studie Genderbased Violence, Stalking and Fear of Crime wurde zwischen den Jahren 2009 und 2011 untersucht, wie oft und in welcher Form Studentinnen an Universitäten sexuelle Belästigung und Gewalt sowie Stalking erlebt haben. Außerdem wurde untersucht, wie dies das Studium beeinträchtigt. Dafür wurden in ganz Deutschland 16 Hochschulen untersucht, auch die Christian-Albrechts-Universität. An der CAU haben nur weniger als zehn Prozent der Studentinnen Fragebögen ausgefüllt. Dennoch sind die Zahlen erschreckend: 64 Prozent der befragten Studentinnen an der CAU haben sexuelle Belästigung während des Studiums erlebt. Dies trat in verschiedenen Formen auf. Entweder durch Nachpfeifen, unnötiges Nahekommen, Kommentare, Berührungen, Küsse, oder Kontaktaufnahme per Telefon oder E-Mail. 97 Prozent der Belästigungen gingen von Männern aus, ein Drittel davon Kommilitonen. Auf dem Campus wurde Belästigung vor allem auf Parkplätzen, in Hörsälen und Seminarräumen, den Mensen und Treppenhäusern, bzw. Aufzügen erlebt. Elf Prozent der Betroffenen gaben an, dass sie dadurch in ihrem Studium Leistungsabfälle erlebten oder gar das Fach oder die Uni wechselten.

Sexuelle Belästigung Zahlen

Auch Stalking ist ein Problem, das viele Studentinnen kennen. 60 Prozent gaben an, dass sie gestalkt wurden, 50 Prozent während ihres Studiums an der CAU. 95 Prozent der Stalker waren Männer. 29 Prozent der Fälle verübten Kommilitonen. Ein Viertel der Befragten gab an, dass Stalking dazu führte, dass ihre Leistungen herabsanken, sie Orte mieden oder sogar Studienfach oder -ort wechselten. Häufig geschah das Stalking in Form von Telefonanrufen, Mails oder Briefen, Auflauern, Ausspionieren oder dem Schicken unerwünschter Dinge. Auch sexuelle Gewalt ist unter Studierenden keine Kleinigkeit. 31 Prozent der Studentinnen gaben an, dass sie während ihres Studiums sexuelle Gewalt erlebt haben. Eine schockierende Zahl. Es gab laut Studie 58 Fälle während des Studiums an der CAU, 16 davon waren Vergewaltigungen und 34 davon waren Fälle von sexuellem Missbrauch. Zehn dieser Taten gin
gen von Mitstudierenden aus, eine davon durch Hochschulpersonal. Durch die Angriffe fühlten sich rund zwei Drittel ernsthaft bedroht und 35 Prozent beschrieben Leistungsabfall, Meidung oder Wechsel an andere Unis.

Durch diese Studie wird deutlich, dass sexuelle Belästigung, Stalking und sexuelle Gewalt an deutschen Hochschulen – auch an der Kieler Uni – ein ernstes Problem sind, auch wenn die meisten Fälle im privaten oder öffentlichen Raum stattfanden. Trotzdem entstehen bei Studentinnen durch solche Fälle Angsträume, wie etwa Parkplätze, Treppenhäuser, Außenanlagen oder Toiletten. Diese werden dann gemieden – besonders bei Dunkelheit. Dennoch sind diese gefühlten Angsträume nicht die Orte, an denen die meisten Taten geschehen, wie aus den Untersuchungsergebnissen hervorgeht. Erstaunlich ist auch, dass die meisten Betroffenen nur ihre engsten Freunde einweihen. Viele kennen zwar die Gleichstellungsbeauftragte der CAU sowie den psycho-sozialen Dienst, allerdings werden diese nur von ein bis zwei Prozent der Betroffenen genutzt. Laut Studie wussten 12 bis 35 Prozent  nicht, mit wem sie sprechen sollten. Bedrückend ist auch, dass die Dunkelziffer höchstwahrscheinlich viel höher liegt.

Wer sexuelle Gewalt, sexuelle Belästigung oder Stalking erlebt oder erlebt hat, kann sich an verschiedene Beratungsangebote, beispielsweise der Universität, des AStAs oder des Studentenwerks wenden. Wer akut Hilfe auf dem Campus benötigt, kann außerdem die Notfallnummer der CAU wählen, die rund um die Uhr besetzt ist: 0431 2222. Der Wachdienst ruft dann die Polizei und kann innerhalb von drei Minuten vor Ort sein.

 

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