In den Regalen von Aldi, Sky und Co. finden sich schon seit Mitte September, gefühlt seit 2 Tagen nach Ostern, Zimtsterne, Marzipankartoffeln und Schoko-Weihnachtsmänner. Das Wetter wird zunehmend kälter und die Oma im Nebenhaus entstaubt schon ihre Lichterketten. Immer mehr deutet darauf hin, dass es bald schon wieder weihnachtet.

Auch das Theater Kiel lässt sich auf das verfrühte Weihnachtsfeeling ein und bringt schon im Oktober das Ballett „Der Nussknacker“ auf die Bühne. Ähnlich wie „Das Weihnachtsmärchen“ von Charles Dickens oder „Die Weihnachtsgans Auguste“ von Friedrich Wolf eigentlich untrennbar mit dem Fest der Liebe verbunden.

Doch der neue Chefchoreograf Yaroslav Ivanenko verlegt die Rahmenhandlung des Balletts kurzer Hand aus dem heimischen Wohnzimmer, wo Klärchens Familie den heiligen Abend feiert, in eine Schule, wo Klärchen nicht mehr Klärchen, sondern Clara heißt.

Auf dem Lehrplan stehen jedoch nicht Mathematik oder Biologie, sondern die Geschichte des Mäusekönigs. Während Lehrer Drosselmaier (Bjarte Emil Wedervang Bruland) aus dem Schmöker vorliest, verwandelt sich die Bühne in ein Reich der Phantasie: hinter der Tafel kommen König und Königin hervor, aus dem Untergrund erhebt sich die Welt der Mäuse. Klärchen und die anderen Schülerinnen werden immer mehr von der Geschichte verschlungen. Während der erste Akt mit allerhand Raffinessen aufwartet, kommt der zweite Akt gestalterisch jedoch etwas zu kurz. Mit Zuschlagen des Buches durch Drosselmaier ist die Inszenierung nur noch etwas für Theaterkenner und Musikliebhaber: Für diejenigen, die jeden Schritt der Tänzer verfolgen, oder für die anderen, die ihre Augen schließen um Tschaikowskis Kompositionen zu lauschen. Beide kommen durchaus auf ihre Kosten: Yvanenkos Choreografie ist so angelegt, dass sein Ensemble zeigen kann, was in ihren Spitzenschühchen steckt und Georg Fritzsch dirigiert wie immer, als hätte er nie etwas anderes gemacht.

Der Kampf um die goldene Nuss. Foto: Olaf Struck.

Für Kinder und Ballett-Neulinge dürfte die Inszenierung aber ziemlich langwierig sein. Dem Nussknacker wird es beim Kampf um die Nuss gegen die Mäuse etwas zu einfach gemacht. Und mit dem Sieg verschwinden auch die Mäuse mit ihren beeinduckenden, von Anna Ipatieva designten, Kostümen und damit auch das Irreale, was in einem Märchen nicht fehlen darf.

Das Erscheinen phantastischer Elemente in Form von vermenschlichten Tieren und Bühnenbild- Zaubereien bleibt nach der Pause spärlich gesäht. Dabei geht Claras Reise mit dem Nussknacker in dessen Reich Konfitürenburg doch jetzt erst los. In Erinnerung bleibt lediglich ein Himmel aus schwebenden, leuchtenden Kleidern, unter denen der Nussknacker, der mittlerweile wieder zum Prinzen Pirlipat entzaubert wurde und seine Clara nach Konfitürenburg wandeln.

Die Eltern des Prinzen veranstalten dort zur Begrüßung ein rauschendes Fest mit internationalen Gästen. Diese haben als Geschenk einen Tanz aus der Heimat dabei und stehlen mit diesen den Hauptfiguren die Show. So entlocken Alexander Abdukarimov und Tomoaki Nakanome großen Teilen des Publikums schon während ihres russischen Tanzes ein „Bravo“. Mit an Breakdance erinnernden Elementen bringen sie Schwung in die bis dato recht langsame Choreografie. Zuvor hatte schon Hiroko Asami mit dem spanischen Tanz das Publikum wieder aus ihren Träumen gerissen. Doch wie als hätte Yvanenko es geahnt, können auch Victoria Lane Green und Eldar Sarsembayev in den Hauptpartien am Ende noch einmal zeigen, was sie können. Ein wenig zu spät, die Plätze für die Publikumslieblinge sind leider schon vergeben. „Bravi“ bekommen sie aber trotzdem. Und die haben sie sich auch verdient, genau wie alle anderen.

Autor*in
Share.
Leave A Reply