Erst starb David Bowie, dann Alan Rickman, nun also Prince; die deutsche Öffentlichkeit hat außerdem um Roger Willemsen und Guido Westerwelle zu trauern. Die Liste lässt sich lange fortführen: Umberto Eco, Glenn Frey, Hans-Dietrich Genscher, Lothar Späth. Die Anzahl der prominenten Todesfälle scheint eine Häufung zu sein, auch die nackten Zahlen sprechen dafür. So veröffentlichte die BBC Ende April die Information, dass die Anzahl der dort veröffentlichten Nachrufe im ersten Jahresdrittel von fünf im Jahre 2012 auf 24 dieses Jahr angestiegen sei. Sterben auf einmal mehr Menschen?

Unterm Strich nicht, die Weltbevölkerung wächst weiterhin stetig. Die Auffälligkeit der aktuellen Todesfälle lässt sich jedoch auf zwei Faktoren reduzieren, die eine Aufklärung versprechen. Zuerst einmal sind viele der Toten Mitglieder der sogenannten Babyboom-Generation. Das Ende des Zweiten Weltkrieges führte in vielen Staaten zu einer Steigerung der Fertilitätsrate – der Anzahl der pro Frau geborenen Nachkommen. Zwischen 1946 und 1964 wurden überproportional viele Kinder geboren – der Trend startete zuerst in den Vereinigten Staaten und setzte sich im Laufe der 50er Jahre auch in Deutschland fort, sogar Südkorea weist nach Ende des Koreakrieges einen achtjährigen Babyboom auf. In den USA gehören 23 Prozent der Bevölkerung zu dieser Generation, die nun, im Alter von 52 bis 70 Jahren einen Lebensabschnitt beginnt, in dem die Todeszahlen generell steigen. David Bowie, Alan Rickman, Prince, Roger Willemsen, Guido Westerwelle und Glenn Frey gehören von den eben genannten dazu. Noch lebende Prominente wie Bruce Springsteen, Madonna, George Clooney, Arnold Schwarzenegger, Alec Baldwin oder Paul Auster gehören auch dazu. Um einen traditionell deutschen Vergleich zu ziehen: Die meisten Tatort-Ermittler sind Babyboomer.

Der Tatort als Fernsehserie wiederum ist Teil des zweiten Parts der Erklärung. Es gibt mehr Prominente als früher. Die Anzahl der Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, steigt stetig an. Besonders der Siegeszug des Fernsehens, der in den 60er Jahren begann, half vielen Menschen zum Prominentenstatus, die ohne Fernsehen wohl unbekannt geblieben wären. Kannte die Vorkriegsgeneration noch einen sehr exklusiven, kleinen Kreis an Prominenz, so wuchs dieser mit jedem neuen Massenmedium und der Globalisierung an. Bestimmte Funktionen und Posten brachten immer schon eine gewisse Prominenz mit sich. Auch ohne eine expandierende Medienindustrie wären Hans-Dietrich Genscher, Guido Westerwelle oder Lothar Späth bekannt geworden, da unsere Definition von Prominenz und die Anzahl der berühmten Menschen im Wandel begriffen ist beziehungsweise wächst, gibt es aber immer mehr Menschen, um die wir als Gesellschaft trauern wollen. Der Grenzwert zur Berühmtheit sinkt in Zeiten von YouTube, Twitter, Instagram und Snapchat immer stärker; viele Prominente haben sich scheinbar nur durch Geburt oder vergangene Liebschaften in die Weltöffentlichkeit gedrängt. Die bloße Anzahl der Berühmtheiten steigt, aber die Berühmtheiten an sich wachsen durch die moderne mediale Welt auch. Musik, Interviews und Bilder sind jederzeit online verfügbar, auch in Phnom Penh, Caracas oder Irkutsk kann ich, wenn ich will und meine Internetverbindung es zulässt, mir die besten Szenen mit Alan Rickman als Severus Snape ansehen, mich an einem David Bowie Interview ergötzen oder mir ein Eagles Konzert mit Glenn Frey an der Gitarre zu Gemüte führen. Das führt dazu, dass ich mit diesen Menschen etwas anfangen kann, sie mir ein Begriff sind, ohne dass ich sie je live gesehen haben muss. Durch Spotify, TIDAL und Apple Music muss ich nicht mal eine CD von David Bowie besitzen, ich habe alle seine Hits per Mausklick auf meinem Laptop. Dieser so ausgedehnten Strahlkraft eines Stars wirkte Prince zum Beispiel entgegen, indem er seine Musik vehement aus dem Internet fernhielt und selbst bei den Streamingdiensten ausschließlich auf TIDAL zu hören ist. Neben seinem traditionell zurückgezogenen, geheimnisumwobenen Privatleben schuf der Mann, der eine Zeit lang als Symbol galt, seinen eigenen Mythos – nach seinem Tod sprießen Anekdoten und Bootlegs wie Unkraut aus dem Boden.

Also sterben nicht mehr Menschen als früher, es gibt nur mehr berühmte Menschen als früher und ein großer Anteil von ihnen kommt gerade in das Alter, in dem Sterben wahrscheinlicher wird. Gespickt mit Eindrücken von tragisch frühen Todesfällen und alteingesessenen Prominenten, die das Alter dahinrafft, liegt hierin die Antwort auf die Frage, wieso auf einmal so vieler Promis gedacht werden muss.

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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