Wer heute mit dem Begriff ‚neue Musik‘ konfrontiert wird, verzerrt nicht selten das Gesicht. Grund dafür ist die oft zitierte Entfremdung zwischen zeitgenössischem Publikum und Komponisten, die sich in der klassischen Musiktradition ab Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend eingestellt hat. Der Hörer bevorzugte seither oft das Altbekannte vor dem Unbekannten, denn moderne Musik hatte den äußerst unpopulären Hang zum Abstrakten. So brachen die Zwölftontechnik oder die serielle Musik zur Mitte des Jahrhunderts besonders hart mit den Hörgewohnheiten, da ihre Stücke rein nach sehr formelhaften Regeln konzipiert waren, die praktisch nichts mehr mit traditioneller musikalischer Intuition gemein hatten. Es stellte sich dann die etwas paradoxe Frage, ob Schönheit in der Musik durch das unmittelbare Hören oder das nachträgliche Analysieren festgestellt wird. Dass die ‚neue Musik‘ dieses Jahrtausends ganz anders sein kann, bewies das Konzert des Ensembles adapter im Kulturforum, welches vom Kieler Projekt für zeitgenössische Musik chiffren veranstaltet wurde. In einer außergewöhnlichen Besetzung mit Harfe, Violoncello, Klarinette, Schlagwerk und Elektronik entführten die Musiker in gleichsam geheimnisvolle wie aufregende Klangwelten.

Den Auftakt machte das Stück Stillstehen des dänischen Komponisten Enjar Kanding. Sehr eindringlich wurde klar, wie diese Art der Musik die Affekte der Zuhörer unmittelbar ansprechen kann. Ruhe und Bewegung wechselten sich rasch ab. Lang gehaltene sanfte Töne von Bassklarinette und Cello, mysteriöse repetitive Figuren der Harfe, sacht eingeworfene Geräusche der Perkussion sowie vielseitige Echoeffekte der Elektronik sorgten für eine Atmosphäre wie im subtilen Kinothriller, dessen Luft vor Spannung zu zerreißen droht. Im Kontrast dazu standen sehr dynamische Abschnitte. Beeindruckend wirkte zum Beispiel die Überlagerung verschiedener Rhythmen von Trommeln, Xylophon sowie kurzen Instrumentaleinwürfen, die in ihrer Unabhängigkeit ekstatisch auseinanderzutreiben schienen. Aesthetica, ein Werk des ebenfalls aus Dänemark stammenden Carsten Bo Eriksen, entwarf dem Hörer eine eher ausgeglichene und meditative Szene. Entgegen den Erwartungen an ‚neuer Musik‘ wechselten sich hier vor allem Klarinette und Cello mit der Entfaltung lyrischer Melodien ab, deren thematischer Zusammenhang schon beim spontanen Hören zugänglich war.

Sehr vielseitig präsentierte sich Das Festzurren von Ketan Bhatti, der unter anderem mit Projekten an der Neuköllner Oper, dem Thalia Theater Hamburg sowie Produktionen elektronischer Musik bekannt geworden ist. Seine Fähigkeit zwischen verschiedenen Genres zu kommunizieren, zeigte sich sehr eindrucksvoll. So boten Schlagwerk und analoge Elektronik dumpfe Beats und scheppernde Snares, die an vergangenen Hip-Hop oder Electro- Sound erinnerten. Es erklangen kurze Jazz-Passagen mit walking-bass im Cello und fetzigen Solo- Einwürfen der Klarinette. Später dann steigerten sich alle Stimmen mit Hilfe elektronischer Echo- Effekte zum fulminanten Klangchaos; ähnlich wie ein durchgetretenes Klavierpedal, das alle Töne ineinander verschwimmen lässt. Sein plötzlicher Abbruch wirkte auf die Ohren wie die ersehnte Befreiung; ein Hören mit dem ganzen Körper.

Zur Besonderheit dieses Abends gehörte, dass außer den vier Musikern auf der Bühne stets ein Fünfter hinter der letzten Publikumsreihe agierte. Sein Instrument war der Computer. Es waren die Komponisten Kanding und Bhatti selbst, die diese Aufgabe übernahmen und mit Hilfe der Elektronik vorbereitete Klangsamples einspielten sowie das sogenannte ‚Real-Time-Processing‘ steuerten. Letzteres bezeichnet eine Technik, die das Gespielte live aufnehmen und dann vielfältig bearbeiten, verfremden und wieder abspielen kann. So war es auch für das Auge eine interessante Erfahrung, Instrumente eine Figur einspielen zu sehen, die danach originalgetreu durch die Elektronik wiedergegeben werden konnte, ohne dass sich ein Finger rührte. Auf diese Weise wurden häufig Patterns in den Hintergrund gelegt, die stetig wiederholt werden konnten, um so die klangliche Basis eines Abschnitts zu bilden. Die musikalische Konzeption solcher Stücke entstehe trotz allem vor jeglichem Computereinsatz, kommentiert Kanding die Arbeitsweise mit dieser Technik.

Nach dem Konzert entstand eine kleine Diskussion im Foyer. Die Publikumsstimmen zeigten sich positiv überrascht von Zugänglichkeit und Reichtum dieser Musik, lobten den „Mut zum Wohlklang“. Von Seiten der Musiker betonte Cellist Andreas Voss ihre Erfahrung, dass ‚neue Musik‘ heute vielfältiger und mehr akzeptiert sei. So stand dieser Ausklang auch sinnbildlich für eine neue Kommunikationsbereitschaft, die Komponisten, Musiker und Publikum wieder stärker verbindet. Vielleicht sind die Zeiten der Entfremdung vorüber. Es ist der ‚neuen Musik‘ sehr zu wünschen.

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