Wir leben in einer Zeit, in der die neue Lieblingsserie, der neue Lieblingsfilm und das neue Lieblingsbuch nur eine Handbreit entfernt sind. Wir brauchen nur noch zuzugreifen und uns in dem Gewimmel aus Unterhaltungsprodukten und Streaming-Diensten für das Richtige zu entscheiden. Wir leben in einer irren Zeit.

Wir leben allerdings auch in einer irren Zeit. Dieses unverhoffte Glück hat nämlich auch seine Schattenseiten. Im gleichen Atemzug, in dem unser Zugang zu Geschichten explodiert ist, ist die Angst vor Spoilern angeschwollen. Und zwar maßlos. Mittlerweile, so mein Eindruck, gilt ALLES als Spoiler. ‚Spoileritis‘, die neue Volkskrankheit? Ganz so abwegig finde ich diesen Gedanken nicht.

Die neue Volkskrankheit?

Wie jede erfolgreiche Krankheit begann die Spoiler-Hysterie langsam und schleichend. Ich zumindest kann mich nicht mehr daran erinnern, wo der Scheitelpunkt lag, an dem Menschen plötzlich damit anfingen, handlungsrelevantes Wissen zu hüten wie einen Schatz. Gleichzeitig kann ich mich noch lebhaft daran erinnern, wie ich mir in meiner Kindheit von meinem Bruder die Geschichte von Dragonball und die wahre Identität von dem großen behelmten Etwas namens Darth Vader (immerhin einer der größten Twists der Filmgeschichte) haarklein auserzählen ließ, lange bevor ich in den Genuss kam, Serie und Film einmal selbst sehen zu können (und zu dürfen). Ich wette, jede*r hat hier so seine bzw. ihre Erfahrungen gemacht.

Als dann das Gespür gegenüber dem neuen Konzept des ‚Spoilers‘ aufkam, war das zwar ungewohnt, aber irgendwie auch begrüßenswert. Gerade weil in den 90er-Jahren plötzlich Filme wie Fight Club und The Sixth Sense anliefen, die einen Großteil des Spaßes daraus zogen, dass gerade nicht gewusst wurde, wie wir eigentlich an der Nase herumgeführt wurden.

Wo selbst Trailer zu viel verraten

Aber in den letzten Jahren hat die Hetzjagd gegen den Spoiler jedes Maß verloren. Menschen in meinem Bekanntenkreis fangen an, konsequent Trailer zu meiden, um sich nichts von der Handlung eines Films vorwegnehmen zu lassen. Im Gespräch mit Kommiliton*innen wird mir verboten die Namen von Seriencharakteren in den Mund zu nehmen, weil ich aus Versehen zu viel über ihr Schicksal verraten könne (besonders schlimm bei Produktionen wie Game of Thrones, wo ja, so zumindest der Eindruck, potenziell alle Charaktere sterben könnten). Und vor gar nicht allzu langer Zeit musste ich mir von einem Freund tatsächlich anhören, dass ich ihn gespoilert hätte, einfach nur, weil ich ihm erzählt hatte, dass mir ein bestimmter Kinofilm gut gefallen hatte. Ich würde damit seine gesamte Erwartungshaltung manipulieren.

Die ‚Spoileritis‘ scheint auch ein soziales Phänomen zu sein. In dem Moment, als es okay wurde, anderen den Mund zu verbieten, um die eigene Seherfahrung zu schützen, war der Keim gelegt. Es hat schon fast etwas Narzisstisches, diese Pflege der eigenen mentalen Bibliothek. Kann es da reiner Zufall sein, dass wir gerade im Zeitalter der Sozialen Medien, im Zeitalter des Narzissmus leben?

Letztlich ist natürlich jeder und jedem selbst überlassen, wie er oder sie mit dem Thema umgeht. Mich stört einfach die Unverhältnismäßigkeit mancher Spoiler-Fanatiker*innen. In deren neuer Logik müssten allein die Genre-Labels verboten werden, weil sie zu viel über einen Film verraten. Mit diesen Leuten will ich nur folgende Weisheit teilen: Was genau erzählt wird, ist oft gar nicht so wichtig. Es geht darum, wie erzählt wird. Eine gute Serie bleibt gut, auch wenn schon gewusst wird, wie sie endet. Eine schlechte Serie bleibt auch dann schlecht, wenn ich sie mit Mühe und Not gegen den öffentlichen Diskurs verteidigt habe. Vielleicht ist es ganz gut, manchmal nicht so hysterisch zu sein und die Dinge zu nehmen, wie sie kommen.

Autor*in

Frederik ist 25 Jahre alt und studiert an der CAU Gegenwartsliteratur und Medienwissenschaft im Master. Er ist seit April 2019 Teil der Redaktion des Albrechts.

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