„Um die Informationen aufzunehmen, die in einer Zeitschriftenanzeige enthalten sind, müssten die Leser 35 bis 40 Sekunden aufwenden. Tatsächlich wenden sich die Leser einer Anzeige knapp zwei Sekunden zu“, schreibt Kroeber-Riel in seinem Buch zur Strategie und Technik der Werbung. Im Falle besagter Zeitschriftenanzeige versickern ungefähr 95 Prozent der Informationen ins Nichts – es entsteht eine Informationsüberlastung.

Nun gibt es jedoch nicht nur eine Werbeanzeige, auf die Konsumenten sich konzentrieren müssen – immer mehr Werbung, immer hochfrequentierter, in jeder Lebenslage. Die Werbetreibenden stehen vor einer zentralen Frage: Wie überlebt ausgerechnet meine Werbung die Informationsflut?

Bereits seit den 1960er Jahren herrscht ein Trend zu weniger Information und mehr Bild in der Werbung. Dies ist sinnvoll, denn der Mensch braucht zur Aufnahme und Möglichkeit der Wiedererkennung eines Bildes gerade einmal zwei Sekunden. In dieser Zeit nehmen wir etwa zehn Wörter auf, die weitaus weniger Informationen enthalten, als das Bild. Doch der Wandel zur Bildlastigkeit hat einen Nachteil: Wo früher aktiv eine Anzeige gelesen werden musste, reicht heute eine reine Konfrontation mit einem Bild. Die Werbeempfänger wechseln vom aktiven Leser zum
passiven Zuschauer.

Für Werbeproduzierende bedeutet das zweierlei: Erstens müssen sie Aufmerksamkeit bei den Konsumentinnen und Konsumenten erhaschen, ihnen quasi mit einem großen, metaphorischen Lolli vor dem Gesicht herumwedeln. Zweitens müssen sie die Informationen in handliche, kleine Bündel verpacken, die schnell verständlich und natürlich im Bestfall noch unterhaltsam vermittelt werden. Doch wie kommt die Werbung zu meinem Produkt bei den richtigen Leuten an? Simpel und paradiesisch für Werbetreibende sind Cookies, kleine Informationshäppchen, die auf unserer Festplatte gespeichert sind und eine Art Gedächtnis für das World Wide Web darstellen – durch das Nutzungsprofil, welches sie anlegen, ist es ganz einfach, ihn mit zielgerichteter, perfekt auf die Interessen abgestimmter Werbung zu füttern.

Das Zauberwort ist natürlich die Zielgruppenspezifikation. Was bei Cookies ganz automatisch geschieht, muss im restlichen Werbeuniversum mühsam von Spezialistinnen und Spezialisten analysiert werden. Welche Zielgruppe soll mein Produkt überhaupt nutzen? Was gefällt meiner Zielgruppe? Welches Medium nutzt sie vornehmlich? Nicht umsonst lassen sich Anzeigen zu elektrischen Fußwärmern eher in der Rentner-Bravo, als im YouTube-Werbevorspann finden.

Sind diese Punkte analysiert, die aktuellen Trends und gesellschaftlichen Werteorientierungen bedacht, spannen Werber ihr Netz der Beeinflussung. Kroeber-Riel nennt hierbei drei grundlegende Beeinflussungsziele. 1. Aktualisierung: erzeuge Aktualität für das Angebot. 2. Emotion: Löse Emotionen für das Angebot aus. 3. Information: Vermittle Informationen über das Angebot. Die hohe Kunst ist hierbei, das Angebot in den Augen der Zielgruppe möglichst attraktiv zu machen und sich dabei von anderen Produkten abzugrenzen. Wird nun beispielsweise ein Bohrmaschinen-Werbespot gezeigt, in der ein starker Mann das seit Jahrzehnten verlässliche Markenprodukt benutzt, ist erst einmal egal, ob dies auf Metaebene sexistisch ist – die Zielgruppe wurde analysiert und herausgefunden, dass Bohrmaschinen nach wie vor vorwiegend von Männern gekauft werden, ein männlicher Protagonist zur Identifikation mit dem Produkt scheint unumgänglich. In der Werbung regiert die Emotion vor der Rationalität, wenn es zu einer spontanen Kaufaktion kommen soll. Es ist also wichtig, ein Bedürfnis zu verstärken oder gar neu zu erschaffen, die Marke in den Mittelpunkt zu rücken, die Konsumenten zu einer Kaufentscheidung zu drängen und das alles noch ganz, ganz auffällig – was für ein Stress.

Um Werbekonsumenten überhaupt dazu zu bringen, sich mit der Werbung eingehend zu beschäftigen (im Fachjargon wird es auch Involvement genannt), ist eine häufige Wiederholung der Werbung und die richtige Aktivierungstechnik wichtig. Diese Aktivierungstechnik sorgt im Bestfall für einen Zustand vorrübergehender Erregung, oder Wachheit, für eine Zuwendung zum Reiz. Das alles dient der ersten Kontaktaufnahme. Die Werbung holt ihren metaphorischen Lolli raus, hält ihn den Fernsehzuschauern unter die Nase und brüllt sie bestenfalls noch, unbekleidet natürlich, an. Je größer der Lolli, pardon, die Aktivierungskraft, desto höher ist die Chance der Beachtung.
Die hierfür verwendeten Reize kennt jeder: Überraschung (Ein Baby, das sich rasiert?), emotionale Reize (Oh Gott, ist das eine flauschige Babykatze!), Irritation (Störgeräusche, Verunsicherung) und natürlich SEX! Spätestens hier fängt dieser Text jeden abgedrifteten Leser wieder ein. Sex und Erotik ist und bleibt der Lieblings-Aufmerksamkeitslolli der Werbung. Emotion regiert vor Rationalität und ein erotischer Appell kann weitaus überzeugender und erinnerungswürdiger sein als die Vorzüge eines Produkts. Somit ist egal, dass die Werbung eines Elektronik-Handels unfassbar sexistisch ist, weil eine leicht bekleidete Frau, die Beine spreizend auf einer Waschmaschine sitzt (die Überschrift: „Männertage“). Die Wirkung ist erziehlt: Jede und jeder guckt hin, ob nun, weil die Frau hübsch anzusehen ist oder aus Schock, weil die Ladenkette offensichtlich auf jede gesellschaftspolitische Debatte zum Thema Sexismus pfeift. Das Bild bleibt im Kopf und ich erinnere mich zusätzlich noch daran, dass es dort wohl günstige Waschmaschinen zu geben scheint. Alles richtig gemacht – oder?

Autor*in

Johanna schreibt seit Anfang 2015 vornehmlich für das Ressort Gesellschaft. Seit Februar 2017 ist sie Chefredakteurin des ALBRECHT. Sie studiert seit dem Wintersemester 2014 Deutsch und Soziologie an der CAU.

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