Wenn ich nach Hause komme, ziehe ich als Erstes meine Schuhe aus. Genauso, wenn ich Freund*innen besuche. Warum ist das eine Selbstverständlichkeit, aber beim Betreten einer psychotherapeutischen Praxis nicht? Schließlich mache ich mich emotional nackt vor einer anderen Person, da ist es schon mal angebracht, vorher die Schuhe auszuziehen. Außerdem sind die meisten Behandlungsräume eher wohnlich eingerichtet, statt kalt und steril, wie man es häufig in Arztpraxen erlebt. Vielleicht hattest du auch schon mal den Impuls, deine Schuhe vor der Therapiesitzung auszuziehen. Ich hatte ihn und hier kommen gute Gründe, warum ich meine Schuhe vor der Tür lasse und es mir anders auch gar nicht mehr vorstellen kann. 

Slalomlauf 

Der simpelste Grund ist mein schlechtes Gewissen wegen meiner schmutzigen Schuhe. Klar würde mir niemals einfallen, in einer Arztpraxis, in der ich mehr Zeit im Wartezimmer als im Behandlungsraum verbringe, meine Schuhe am Eingang abzustellen. Aber dort gibt es meist auch keine hellen Teppiche, die ich überqueren muss, wie in der psychologischen Praxis meines Vertrauens. Hier sollen die flauschigen Teppiche sicherlich den Wohlfühlfaktor erhöhen. In meinen ersten Therapiestunden, in denen ich meine Schuhe noch an den Füßen hatte, haben sie eher das Gegenteil bewirkt. Um möglichst wenig Dreck zu hinterlassen, habe ich mich gezwungen gefühlt, im Slalom um diese herumzulaufen. Natürlich war das unentspannt und ich bin mir ein wenig blöde vorgekommen. Schließlich ist mir durchaus bewusst, dass wenn die Therapeutin nicht wollen würde, dass jede*r mit Straßenschuhen über ihren Teppich trampelt, der da nicht liegen würde. 

Füße hoch 

Am Sessel angekommen wartet auf Schuhträger*innen ein neues Problem. Wie sollen unangenehme Dinge erzählt werden, wenn man sich nicht mal bequem hinsetzen kann? Sockig eröffnen sich neue Freiheiten, das heißt: Füße hoch. Je nach Situation kann ich mich auf dem Sessel zusammenkauern oder mich entspannt im Schneidersitz zurücklehnen. Ich persönlich fühle mich so deutlich wohler. 

Verbindlicher 

Außerdem unterstreichen meiner Meinung nach Schuhe an den Füßen die Kurzlebigkeit einer Situation. Innerhalb der Therapiestunde stellt man sich Erlebnissen, Gedanken und Emotionen. Das kann manchmal beängstigend sein. Kein Wunder, dass sich hin und wieder ein Fluchtimpuls meldet. Ich habe das Gefühl, mich durch das Schuhe ausziehen mehr auf die Situation einlassen zu können. Mir hilft es, anzukommen, mich wohlzufühlen und zu öffnen. Es verdeutlicht, dass ich jetzt hier bin und mir die Zeit nehme, mich bewusst mit mir auseinanderzusetzen. 

Neugierig geworden? 

Nachdem ich die ersten Sitzungen tapfer mit Schuhen über mich ergehen lassen hatte, fragte ich sie, ob ich das nächste Mal meine Schuhe ausziehen darf. Ich kassierte einen etwas erstaunten Blick, aber keine Einwände. 

Falls nun auch ihr Lust habt, das auszuprobieren, traut euch und fragt, ob ihr eure Schuhe ausziehen dürft. Oder macht es einfach. Der*die Therapeut*in wird schon sagen, wenn das nicht okay ist. 

Autor*in

Franzi studiert Deutsch und Soziologie und schreibt seit Beginn des Wintersemesters 22/23 für den ALBRECHT.

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