14,9 Jahre. So lange hält Studien zufolge eine durchschnittliche Ehe. Mit ‚für immer’ hat das wenig zu tun. Männer heiraten im Schnitt mit 34,6 Jahren, Frauen hingegen mit 32,1. Noch unromantischer wird es nur noch, wenn wissenschaftliche Studien darauf hinweisen, dass circa zweieinhalb Jahre nach einer Hochzeit das erste Baby zur Welt kommt. Dopamin, für überschwängliches Glück und eine übermäßige Idealisierung des Anderen, und Oxytocin, für Bindung und Treue, sind die Zutaten für das Festmahl, dem seit der Pubertät entgegengefiebert wird: eine langfristige Beziehung. Langfristigkeit symbolisiert Unabdingbarkeit, sich auf etwas verlassen zu können, kompromisslos, und das auf lange Zeit, womöglich für immer.  

„Warum Oma und Opa noch zusammen sind? Weil sie kaputte Dinge repariert haben, anstatt sie wegzuwerfen.“ Wer kennt diesen Spruch nicht? Viele reagieren darauf mit einem verständnisvollen Kopfnicken: Ja, früher war anscheinend wirklich alles besser. Die Realität sieht anders aus, erklärt die Kolumnistin Dorothea Wagner in der Süddeutschen Zeitung. Beziehungen als Zweckbündnisse, sozialer Druck und die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen von ihren Männern verzerren das rosarote Bild langfristiger Partnerschaften zu früheren Zeiten. 

Schnelllebigkeit und Selbstverwirklichung – zwei Schlagwörter, die momentan als Erklärungsversuch unzähliger gescheiterter Beziehungen verwendet werden. Dating-Apps, wie zum Beispiel Tinder, bieten eine Plattform für das Ausleben vollkommener neuartiger Beziehungskonzepte. Der konventionelle Weg – sich verlieben, zusammenziehen, heiraten und Kinder bekommen – ist für Viele gar nicht der richtige. Neu ist die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz, die damit einhergeht.  

Neue Beziehungsmodelle als Chance für Langfristigkeit  

‚Living apart together’ (LAT) ist eines der moderneren Beziehungsmodelle. Auf gutdeutsch ein Zusammenleben ohne zusammenzuleben, oder einfacher: eine Beziehung ohne gemeinsamen Wohnraum. In Großstädten deutlich präsenter als in kleinen Dörfern, leben viele Paare in gegenseitiger Einigkeit langfristig in getrennten Wohnungen. Gründe hierfür sind oftmals die Angst vor einer weiteren gescheiterten Beziehung, der Wunsch nach Flexibilität und einer gleichzeitig dauerhafteren Liebe und Leidenschaft.  

Auch von offenen Beziehungen versprechen sich Paare langfristiges Glück. Mitte des 20. Jahrhunderts als Tabu und zu Hippie-Zeiten als Phase abgestempelt, erfährt das Konzept heutzutage neuen Aufschwung. Beziehungen zu öffnen und beiden Partner*innen Freiraum zu gewähren, kann sinnvoll sein und sogar zu stärkeren und vertrauteren Partnerschaften führen. Wichtig ist hier die Kommunikation untereinander und das klare Abstecken und Respektieren von Grenzen des*der jeweils anderen. 

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Den richtigen Klebstoff finden 

Eine Beziehung ist harte Arbeit und das anfänglich unfassbare und unbegreifliche Glück wandelt sich irgendwann, schwächt sich ab, wird zur Normalität und macht Platz für einen anderen Klebstoff, der zwei Menschen zusammenhalten muss, nämlich Vertrauen, Bedingungslosigkeit sowie Akzeptanz und Umgang mit den Schwächen des jeweils anderen. Das Fundament stabiler Beziehungen sei vor allem der Prozess nach einem großen Streit einen Schritt zurückzutreten, sich wieder auf das Gute zu besinnen und die Beziehung neu aufzubauen, meint Psychoanalytiker und Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Den perfekten Partner gäbe es nicht. 

Das gilt übrigens nicht nur für partnerschaftliche Beziehungen, auch innerhalb von Freundschaften gibt es Höhen und Tiefen. Es gibt Zeiten, in denen es so scheint, als seien die Freund*innen unzertrennbar, und jene, in denen die eine Person mehr in die Beziehung investiert als die andere.  

„Freundschaft ist der Wunsch nach einer unverbindlichen Bindung, die hält“, meint Freundschaftsforscher Daniel Tyradellis. Was sich auf den ersten Blick direkt ausschließe, werde nach kurzem Nachdenken ganz deutlich. Wie lange eine Freundschaft halten würde, sei ungewiss, doch gerade, weil Freundschaft so freiwillig sei, sei Langfristigkeit hier so besonders.  

Die Gründe für die Existenz von Freundschaften sind vielfach wissenschaftlich untersucht, klare Antworten gibt es jedoch nicht. Sich besonders ähnlich zu sein und gemeinsame Hobbies zu haben, seien gute Voraussetzungen, das betont auch die sogenannte Homogamie-These. Das Geheimnis an Freund*innen jedoch, sagt Tyradellis, sei, dass sie eben nicht das perfekte Ebenbild seien. Freund*innen seien nicht nur dazu da, einander nur zu bestätigen, denn Uneinigkeit in wenigen einzelnen Punkten könne zu neuem Input und Denkanstößen führen.   

Denkansätze bieten Soziolog*innen, indem sie untersuchen, ob Freundschaften als Familienersatz dienen könnten. Dass Freund*innen zu Familie werden können, soll hierbei nicht bestritten werden, es gehe vielmehr darum, nach einer gescheiterten Ehe vor Einsamkeit im Alter zu schützen oder Aufgaben der Pflege zu übernehmen. Hier wäre das Stichwort der ‚Senioren-WG’ zu nennen, in der sich Gleichgesinnte in Gemeinschaft umeinander kümmern. Vielleicht ist das die Zukunft unserer unverbindlichen Zeit. 

Gesellschaftliche Konstrukte hinterfragen  

So unterschiedlich wir Menschen sind, so sind es auch unsere Beziehungen. Und auch heutzutage gibt es nicht wenige Paare, die vermutlich für immer zusammenbleiben und den eher konventionellen Weg gehen. Andersherum gibt es Partnerschaften, in denen ein verstärkter Wunsch nach Abwechslung und Aufregung vorhanden ist, die viel ausprobieren werden, allein und zu zweit. Konventionelle gesellschaftliche Konstrukte sind für manche eben mehr geeignet, für andere dagegen weniger. Sie bieten Orientierungslosen in stürmischen Zeiten Halt oder werden verflucht – sie sind aber keine Versicherung für langfristige Partnerschaften.  

Autor*in

Anika studiert BWL an der Fachhochschule Kiel. Seit September 2019 ist sie beim ALBRECHT als Redakteurin tätig, seit Januar 2020 zusätzlich als Ressortleiterin der Gesellschaft.

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