Ein Interview mit Theaterpädagogin Denise von Schön-Angerer

Am unscheinbaren Bühnenzugang, an der Hinterseite des riesigen, roten Opernkomplexes, wartet an einem Nachmittag im September Denise von Schön-Angerer auf mich, Theaterpädagogin am Theater Kiel. Wir begrüßen uns und gelangen durch Katakomben und Treppenhaus ins Foyer der Oper. Der Opernsaal hat zur Probe die Türen aufgesperrt und unser Gespräch wird nun musikalisch begleitet. Das Theater kommt aus der Sommerpause zurück, lebt auf. Denise spricht über die Inhalte der aktuellen Spielzeit und eine neue Idee von Theater. 

DER ALBRECHT: Was macht eine Theaterpädagogin am Theater? 

Denise von Schön-Angerer: Meinen Berufsbereich, die Theaterpädagogik, gibt es noch nicht lange. Seit 20 Jahren vielleicht. Es ist einer der wenigen Bereiche am Theater, der wächst und wo der Bedarf größer wird. In Theaterhäusern in ganz Deutschland möchte man nicht mehr nur die Vorstellungen machen, sondern auch ein Zusatzprogramm und Vermittlungsangebote anbieten, vor allem für junge Menschen. Ich habe früher in Sachsen gewohnt, unter anderem in Dresden. Dort wurde nach dem Prinzip ‘Bürger:innenbühne’ ein Stück mit dem Titel Dynamo aufgeführt. Bürger:innen der Stadt erarbeiteten es zusammen mit Künstler:innen und standen selbst auf der Bühne. Erst wurden Menschen aus der Stadtgesellschaft und besonders Dynamo-Dresden-Fans zur Mitarbeit aufgerufen – dann wurde das Stück aufgeführt und plötzlich saßen Menschen, die sonst im Stadion stehen, in den Theaterrängen. Das ist doch großartig! Ich glaube daran, dass solche Angebote die Menschen tatsächlich ins Theater ziehen. 

Gibt es sowas auch hier in Kiel? 

Ja! Wir haben hier zum Beispiel alle möglichen Clubs. Einen Kidsclub, zwei Jugendclubs, einen Studierendenclub und seit zwei Wochen auch einen Generationenclub, der heißt Theatermenschen. Ich denke, es ist toll und auch wichtig, dass man Menschen im gleichen Alter auf der Bühne zusammenstehen sieht. Hier werden auch nicht-klassische Stücke gespielt, sondern etwas Eigenes entwickelt. Im Generationenclub wird es wahrscheinlich um das Thema Schulzeit gehen. Das wird spannend, hier die Perspektiven in den Dialog zu bringen. Die älteste Teilnehmerin ist 79 Jahre alt. Nächste Woche möchte ich die Frage stellen: Welcher Song war für eure Schulzeit prägend? Dann wird eine Playlist erstellt. Es geht hier um das Eigene, die eigenen Themen. 

Du bist als Theaterpädagogin hier in Kiel besonders für die 8Night verantwortlich. Was ist das? 

Wir dachten es wäre spannend, wenn man mehr als nur Theater-Gucken anbietet. So gibt es nun einmal im Monat die 8Night. Da findet vor dem Stück ein kostenfreier Workshop statt. Es geht zum Beispiel um Fragen der künstlerischen Umsetzung und der Aktualität und Relevanz des Stücks. Nach dem Stück kommen wir dann in einer lockeren Runde mit einigen Darsteller:innen, die zuvor auf der Bühne standen, zusammen. Da ist Platz für Austausch. Wir wollen dem Ort Theater das Eingestaubte nehmen. Viele Kieler:innen verbinden ja vor allem mit dem Opernhaus, dass sie hier nur starr dasitzen und zuhören sollen und nicht locker sein können oder dürfen. Mit diesem Bild wollen wir brechen. 

Dieser unmittelbare, pragmatische Zugang zur Bühne klingt erfrischend. 

Genau, die Distanz fällt weg und die Teilnehmer:innen merken: Das sind auch nur Menschen, die auch nur mit Wasser kochen, es ist auch nur ein Job. Ein toller Job. Der schönste Job der Welt. Aber es gibt auch krasse Arbeitsbedingungen. Wir verdienen wenig und wir sind abhängig vom Publikum. Dabei entspricht gerade das auch unserem Auftrag als Stadttheater: Wir wollen und müssen die Menschen der Stadt mit unserer Kunst und unseren Zusatzangeboten abholen. 

Hast du ein paar persönliche Highlights in dieser Spielzeit? 

Also in der Oper läuft jetzt Così fan tutte. Die Ästhetik des Stücks ist sehr modern und jugendlich, als spielte es in einer WG. Ich habe ein bisschen an Gossip Girl denken müssen. Und dazu dann der klassische Mozart, der auch ohne Opernerfahrung Spaß macht. Aber vorher durchlesen, worum es geht! 

Oh ja! Noch mehr Tipps? 

Ballett ist eigentlich immer cool! Ich persönlich mag modernen Tanz gern, bei dem nicht direkt eine Story vertanzt wird. Da haben wir im Frühjahr Flight of Fancy von Wubkje Kuindersma und Johan Inger aus den Niederlanden. Und im Schauspiel gibt’s einiges. Im Moment lauschen wir einer Probe zu Kleiner Mann, was nun von Hans Fallada. Hier verliert ein Mann seine Anstellung. Modern inszeniert von einer jungen Regisseurin und trotzdem irgendwie zeitlos. Es gibt viel Musik und in der Mitte eine kleine Drehbühne, die stellt eine Wohnung dar. Dort passen zwei Leute drauf, die ganz nah beieinandersitzen. So wird eine Situation entfaltet, die jetzt vor dem Hintergrund von steigenden Energiepreisen und Inflation immer realer zu werden scheint. Existenzängste. Und trotzdem Hoffnung! 

Das klingt gut, wo Theater doch meistens als sozialkritisch-deprimierende Angelegenheit verstanden wird.  

Ja, die zwei Extreme sind reine Unterhaltung oder sehr intellektuelle Sozialkritik, der man nicht folgen kann. Unser Ziel ist es, alles und jede:n anzusprechen und auch viele Stücke anzubieten, die das beides vermischen. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

Autor*in

Nicholas studiert Deutsch und Philosophie an der CAU. Seit dem Sommersemester '22 erst schreibt er für den Albrecht.

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