Ein Kommentar.

2014: Krieg, Tote, Flüchtlingsströme. 1914: Krieg, Tote, Flüchtlingsströme. 100 Jahre sind vergangen seit der Erste Weltkrieg den Frieden Europas und später der Welt erschütterte. Sollte 2014 eigentlich ein Gedenkjahr werden, wurde es doch überschattet von Medienberichten aktueller Kriegsschauplätze, die fast präsenter scheinen als jemals zuvor, zumindest für unsere Generation. Haben die Menschen nicht aus großen Kriegen gelernt? Ist die Erinnerung schon soweit verblasst, dass die Verluste vergessen wurden? Oder sind es heutzutage unvergleichbare Bedingungen?

Kiel 1914: Es herrscht Unruhe in der Stadt. Am Hafen drängen sich Menschen aneinander, junge Matrosen verabschieden sich tränenreich von ihren Familien. Stolze Gesichter warten darauf, dass der Anker gelichtet wird, um auf das offene Meer zu fahren in ihr ganz persönliches Abenteuer. Ein Abenteuer, das für die meisten tödlich enden wird. Junge Männer sterben für ihr Vaterland, weil sie kriegsbegeistert sind, obwohl sie nicht wissen, was Krieg bedeutet.

Im November 1918 ist die Kriegsbegeisterung längst verflogen. Keiner ist mehr bereit, für die Nation zu sterben, die Regierung verliert den Zuspruch der Bevölkerung. Die Marine bekommt den Befehl, eine Entscheidungsschlacht gegen die Briten zu führen, doch die Matrosen gehorchen nicht. In Wilhelmshaven wird gemeutert und daraufhin kehrt die Flotte zurück nach Kiel. Hier mischt sich der Unmut der Matrosen mit dem Zorn der Arbeiterklasse: Gegen die Regierung, gegen die Staatsform, gegen das militärische System. Kiel wird zum Vorreiter für das Aufbegehren einer ganzen Nation. Schließlich münden die reichsweiten Aufstände in der Novemberrevolution, welche die grundlegende Struktur des Reiches ändern soll. Die Monarchie wird gestürzt und die parlamentarischdemokratische Weimarer Republik am 11. August 1919 gegründet.

Die Matrosen verweigern im November 1918 den Kriegsbefehl und entwaffnen die U-Boote. Foto: Foto: Stadtarchiv Kiel 1.3 Postkartensammlung
Die Matrosen verweigern im November 1918 den Kriegsbefehl und entwaffnen die U-Boote.
Foto: Stadtarchiv Kiel 1.3 Postkartensammlung

Im Ersten Weltkrieg sterben rund 17 Millionen Menschen, davon zwei Millionen auf deutscher Seite. Noch heute erinnert das Marine-Ehrenmal in Laboe an die gefallenen Matrosen im Ersten Weltkrieg. Nach 100 Jahren wird den Beteiligten gedacht, indem die riesigen Grabplatten mit Kränzen geschmückt werden. In Museen gibt es Ausstellungen zur Marine, Einzelschicksale werden erinnert, indem Tagebücher und Feldpost als Publikationen erscheinen. Die Gefallenen geraten nicht in Vergessenheit.

Doch es ist festzustellen, dass die heutige Gesellschaft die Thematik des Weltkrieges eher müde betrachtet. Jeder Schüler und jeder Student hat im Geschichtsunterricht den Ersten Weltkrieg gepredigt bekommen. Die Erinnerung ist fokussiert auf die Dramatik des Krieges: Einsatz von Giftgas, Massensterben, Kriegszitterer. Unsere Erinnerungen an Kriege sind konstruiert und auch, wenn sie anstreben, Kriegsgeschehnisse möglichst authentisch darzustellen, ist dies nicht der Fall. Sie sind immer gefiltert. Es liegt in der menschlichen Natur, Erinnerungen nur selektiv wahrzunehmen und andere Teile der Menschheitsgeschichte auszublenden. Dieser Selektionsprozess ist ein psychologisches Phänomen, das es uns ermöglicht, unsere Identität zu bilden.

100 Jahre sind vergangen und damalige Geschehnisse und gesellschaftliche Verhältnisse scheinen zu abstrakt, um begreifbar zu sein und eine Identifikation zu ermöglichen. Auf den ersten Blick. Doch beschäftigt man sich ausführlicher mit Kriegsgeschichte, wird offensichtlich, dass es neben der verblassten Erinnerung noch einiges zu entdecken gibt, was Verknüpfungen zwischen heute und damals ermöglicht. Was waren damals die Auslöser und Motive, um einen Krieg zu beginnen? Imperiale Gedanken, religiöse Motivation, Kleinstaaterei, Machtspiele sowie Unzufriedenheit in der Bevölkerung durch Armut und Perspektivlosigkeit sind nur einige Antworten auf diese Frage. Doch auch bei dieser oberflächlichen Aufzählung kristallisiert sich eines heraus: Damalige Kriegsmotive sind mit heutigen vergleichbar. Dabei ist es egal, ob es sich um den arabischen Frühling handelt, dessen Auslöser größtenteils in der Unzufriedenheit der Bevölkerung gegenüber dem militärischen Regime zu finden ist, oder auch der Kampf gegen den IS, der sich dem Motiv der Religion bedient.

Ein Weltkrieg der 100 Jahre her ist, scheint also abstrakt zu sein, doch die Erinnerung daran sollte nicht verblassen, sondern genutzt werden, um anderen Kriegen auf dieser Welt mehr Verständnis entgegen zu bringen. Verständnis heißt nicht, die Kriege gut zu heißen, sondern es bedeutet umzudenken: Opfern des Ersten Weltkrieges wird gedacht, die schlimmen Folgen für die Zivilbevölkerung und zurückkehrende Soldaten in Ausstellungen und Filmen thematisiert. Auch die in diesem Moment stattfindenden Kriege haben Opfer und Überlebende, die aus ihrer Heimat flüchten. Mitgefühl, Menschlichkeit und Hilfe anbieten – das sollte Europa aus seiner Geschichte gelernt haben.

Titelfoto: Stadtarchiv Kiel 1.1 Fotosammlung

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