Mit Comic-Biografien ist es mittlerweile ja wie mit Hämorrhoiden – irgendwann kriegt jeder Arsch eine. Mit „Gonzo“ hat es nun Hunter S. Thompson erwischt, den Begründer des durch seine radikale Subjektivität gekennzeichneten Gonzo-Journalismus. Thompson galt in den Sechziger und Siebziger-Jahren als personifiziertes Gewissen der amerikanischen Gegenkultur, obwohl er ständig den Kopf voller Koks und die Jagdflinte im Anschlag hatte. Egal, ob er gerade den Wahlkampf Richard Nixons torpedierte oder den Kult-Roman „Fear and Loathing in Las Vegas“ verfasste – wo Thompson zu Gange war, ging die Post ab.

Den Newcomern Will Bingley (Skirpt) und Anthony Hope-Smith (Zeichnungen) gelang mit „Gonzo“ nun ein Werk, das das Gros der Comicbiografien deutlich überragt, da es tatsächlich einen umfassenden Einblick ins Leben und Wirken des Protagonisten offeriert. Und der knallorangene Einband ist schlicht der Hammer. Allerdings wird „Gonzo“ von purer Sachlichkeit regiert, wo in Thompsons Leben Genie und Wahnsinn eine Liebesehe geschlossen hatten.

Den Vorwurf der Sachlichkeit an eine Biografie zu richten, mag vielleicht wie das Letzte klingen, was man ihr ankreiden darf – angesichts des Subjekts ist es jedoch ein nicht zu unterschätzendes Versäumnis: Klare Linien und schlichtes Schwarz-Weiß eignen sich nun einmal nicht, um Thompsons permanente Exzesse auch nur ansatzweise abbilden zu können. Eine Seriösität, wie sie Bingley und Hope-Smith hier ausstellen, kann für einen Gonzo tödlich sein.

Damit stehen sie symptomatisch für die Misere, in der sich die gezeichnete Biografie derzeit befindet: Seit sie adrett rausgeputzt und parfümiert als „Graphic Novel“ Einzug in die Feuilletons und Privatbibliotheken gehalten hat, verkneift sie sich krampfhaft alles, was in der feinen Gesellschaft auf Missfallen stoßen könnte. Diese zur Schau gestellte Distinguiertheit ist der natürliche Feind von Verspieltheit und Wagemut, die aber ihrerseits für ein großes Kunstwerk unabdingbar sind.

Hunter S. Thompson wusste das. Er wandte seinen Blick nie von Missständen ab und ging mit bitterer Konsequenz immer dahin, wo es wehtat: Als er im Februar 2005 glaubte, alles gesagt zu haben, setzte er seinem Leben mit einer Kugel ein Ende. Ein solcher Suizid ist „Gonzo“ natürlich unangenehm. Der Comic zitiert an dieser Stelle lieber ein Gedicht von Eileen O‘Conell.

Will Bingley/Anthony Hope-Smith: Gonzo – Die grafische Biografie von Hunter S. Thompson. Tolkemitt Verlag. 192 Seiten (s/w), Softcover. 14,80 Euro.


Comics des Monats:

„Daddy“
Titel: Daddy
Autor: Matthias Schultheiss.
Verlag: Splitter. 68 Seiten (farbig), Hardcover. 15,80 Euro.
Wertung: ★★★

Schon wieder ein Comeback von Jesus – und das noch vor Ostern: Als sich Gottes Sohn weigert, den Menschen ein zweites Mal als Heiland zu erscheinen, wird sein Vater – ganz alttestamentarisch – sauer, straft ihn mit Blindheit und verbannt ihn auf die Erde. Das dortige Elend treibt Jesus in die Heroinabängigkeit, während er mit seinen verbliebenen Heilkräften zu retten versucht, was an der Menschheit noch zu retten ist. Stets an seiner Seite: Ein zwergwüchsiger Führer, unschwer als Adolf Hitler mit Narrenkappe zu identifizieren. „Daddy“, das jüngste Werk von Deutschlands Comic-Großmeister Matthias Schultheiss, ist eine graphisch eindrucksvolle Darstellung einer Welt, die im Dies- wie Jenseits gleichermaßen verkommen ist. Das Problem ist nur, dass Schultheiss hier auf ausgetretenen Comic-Pfaden wandelt, die von Garth Ennis „Preacher“- und „Wormwood“-Reihen bereits wesentlich innovativer beschritten wurden. Wer allerdings schon immer einmal wissen wollte, wie eine Kombination aus „Die Passion Christi“ und „Taxi Driver“ aussehen würde, findet in „Daddy“ seine Erlösung.


„Im Angesicht des Feindes“
Titel: Batman: Im Angesicht des Feindes
Autor: David Hine (Skript), Scott McDaniel (Zeichnungen).
Verlag: Panini Comics. 164 Seiten (farbig), Softcover. 16,95 Euro.
Wertung: ★★★★★

Wer braucht schon Jesus, wenn er Batman hat? Seit 1939 Jahren leidet der dunkle Ritter für unsere Sünden und entpuppt sich zunehmend als Kitt, der die Moderne zusammenhält. In „Im Angesicht des Feindes“ bekommt er es nun mit einer neuartigen Droge zu tun, die harmlose Bürger in ausgeflippte Joker-Klone verwandelt und Gotham City in ein Chaos zu stürzen droht. Als dann auch noch ein falscher Batman per Internet-Botschaften zur Selbstjustiz aufruft, gerät die Stadt an den Rande eines Bürgerkriegs. Es ist eine schwarze, in Stacheldraht eingewickelte Komödie, die Autor David Hine hier mit sauber platzierten Nierenhaken als Pointen erzählt. Angesichts der Straßenkrawalle vom letzten Jahr ist seine, in Amerika bereits 2010 erschienene, Geschichte nicht nur aktuell, sondern geradezu prophetisch. Da erscheint es nur noch als Frage der Zeit, bis Batman an Jesus Stelle an den Kreuzen unserer Kirchen hängt. Und bis es so weit ist, knien wir einfach vor grantig-grandiosen Großtaten wie „Im Angesicht des Feindes“ nieder.


„Blutprinzessin“
Titel: Blutprinzessin
Autor: Doug Headline (Skript), Max Cabanes (Zeichnungen).
Verlag: Schreiber & Leser. 159 Seiten (farbig), Hardcover. 24,80 Euro.
Wertung: ★★

Hinter „Blutprinzessin“ steckt geballte Prominenz: Die Vorlage stammt vom populären Krimiautor Jean-Patrick Manchette, visuell umgesetzt wurde sie von dem hochdekorierten Zeichner Max Cabanes und das Skript adaptierte Doug Headline. Letzterer ist allerdings eher für seinen coolen Künstlernamen, als für herausragende Arbeit bekannt. Die Handlung spielt in den 1950ern und beginnt mit der gescheiterten Entführung der siebenjährigen Alba, der Nichte eines mächtigen Waffenhändlers. Auf diesem Ereignis aufbauend, entwickelt sich ein doppelbödiges Intrigenspiel um falsche Identitäten, bei dem der Leser recht schnell selbst nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Will er aber auch gar nicht, denn Figuren und Geschichte präsentieren sich dermaßen unspektakulär, dass sich schnell reines Desinteresse einstellt. Die Zeichnungen sind zwar schick, wurden aber für die Veröffentlichung im Buchformat so verkleinert, das Opulenz und Details kaum eine Chance haben. Gepflegte Langeweile also, die zu produzieren es scheinbar großer Namen bedarf.


Sekundärliteratur 1: „Prinzip Synthese“
Titel: Prinzip Synthese: Der Comic
Autor: Mathis Bicker, Ute Friedrich und Joachim Trinkwitz (Herausgeber).
Verlag: Weidle Verlag. 89 Seiten (sw), Softcover. 15 Euro.
Wertung: ★★

Manche Publikationen müssen sich den Vorwurf der Wahllosigkeit nicht nur gefallen lassen, sie fordern ihn geradezu heraus. Wie der Sammelband „Prinzip Synthese: Der Comic“:  Forschungstexte über formale wie inhaltliche Aspekte der Kunstform treffen auf Interviews, Rezensionen und ein- bis vierseitige Kurzcomics. Das Prädikat „Anything Goes“ ist hier noch Understatement. Erschwerend kommt hinzu, dass sich vor allem in den Forschungstexten eine  „Bachelorisierung“ der Artikel abzeichnet, führt ihre Länge von in der Regel 3-6 Seiten doch dazu, dass es sich bei ihnen in der Mehrheit um kaum mehr als bessere Einleitungen handelt. Obwohl man die Bezeichnung „besser“ hier auch nicht generell anwenden möchte: Bewegen sich die ersten Beiträge noch auf durchaus ansprechendem Niveau, „guttenbergt“ es später an allen Ecken und Enden. Von der ansonsten einheitlichen Zitierform wird abgewichen, die bibliografischen Angaben variieren und angekündigte Abbildungen scheinen schlicht vergessen worden zu sein.


Sekundärliteratur 2: „Fumetti: Comics aus Italien“
Titel: Reddition 55 – Dossier Fumetti: Comics aus Italien.
Autor: Volker Hamann (Herausgeber).
Verlag: Edition Alfons. 82 Seiten (farbig), Softcover. 10 Euro.
Wertung: ★★★★

Wenn einer eine Reise macht, dann hat er was zu erzählen. Das dachten sich auch die Herausgeber des Fachmagazins „Reddition“ und veranstalten für ihre 55. Ausgabe eine Ländertour durch den Fumetti, den italienischen Comic. Dabei machen sie einen weiten Bogen um die beiden großen Touristenattraktionen Hugo Pratt (als Zeichner von „Corto Maltese“ einer der großen Innovatoren der Kunstform) und den einheimischen Disney-Comic (beispielsweise stammt der Großteil des Materials, das monatlich die „Lustigen Taschenbücher“ füllt, nicht etwa aus Amerika, sondern eben aus Italien). In den Mittelpunkt rücken stattdessen Geschichtssträchtiges und In-Spots, die allerdings nicht immer für die ganze Familie geeignet sind. So empfiehlt es sich beim Besuch der Sehenswürdigkeiten Serpieri und Manara die Kinder im Hotel zu lassen: Beide Zeichner haben einen Hang zum Pornografischen, dem nur ihre Kunstfertigkeit ebenbürtig ist. Kein Pauschalurlaub also, sondern ein üppig bebilderter Rundtrip, auf dem es jenseits ausgetretener Pfade einiges zu entdecken gibt.


Wiederveröffentlichung des Monats:

„Der ewige Krieg“
Titel: Der ewige Krieg – Gesamtausgabe
Autor: Joe Haldeman (Skript), Mark Marvano (Zeichnungen).
Verlag: Carlsen Comics. 168 Seiten (farbig), Hardcover. 29,90 Euro.
Wertung: ★★★★

Die Zukunft altert schlecht. Wird ein Science-Fiction-Comic wiederveröffentlicht, ist sein Futur häufig bereits zum Präsens geworden, weist mit der Realität in der Regel aber kaum Übereinstimmungen auf. Als der Dreiteiler „Der ewige Krieg“ 1988 erstmals erschien, lag das Jahr 2010 in dem seine Handlung einsetzte noch in weiter Ferne – heute ist es Schnee von gestern. Autor Joe Haldeman und Zeichner Mark Marvano verstehen es jedoch, sich clever aus der Affäre zu ziehen, indem sie eine zeitlose Allegorie auf die Sinnlosigkeit der Krieges entwickeln: In den Tiefen des Alls beginnen die Menschen einen jahrhundertelangen Kampf gegen die Tauren, eine ihnen nahezu unbekannte außerirdische Rasse. Auslöser ist ein marginaler Zwischenfall, vermutlich lediglich ein Unfall, die Gewaltspirale, die er auslöst, wird jedoch Millionen Leben kosten. Zwar spielt der Comic seine futuristischen Schauwerte geschickt aus, lässt sie aber nie die drastisch-antimilitärische Aussage überlagern. Selten hat der Krieg im Comic stupider gewirkt, das hier ist „Full Metal Jacket“ im Weltall.


Short Cuts:

Ein Mann sitzt auf einer Bank im Museum und lästert über die Kunst und das Leben – aus dieser Prämisse machte Thomas Bernhard den Roman „Alte Meister“, den der Zeichner Mahler nun als Comic adaptiert hat (Suhrkamp, 158 Seiten, 18,99). Das Ergebnis richtet sich zwar eher an aufgeschlossene Literaturfreunde, ist aber zweifelsohne schön schräg. +++ Kein Monat ohne Untote: Mit „Von der Kürze des Lebens” (Splitter, 48 Seiten, 13,80 Euro) erscheint nun der zweite Teil der „Zombies“-Trilogie. Dieser verlässt sich zwar stärker auf Standardsituationen als sein Vorgänger, liefert aber ebenso exquisite Zeichnungen und für das Genre untypisch stilvollen Horror. +++ In „Die Herrschaft der Doomsdays“ (Panini, 132 Seiten, 14,90) kehrt schließlich das Monster in die „Superman“-Serie zurück, das den Mann von Morgen 1993 zeitweilig ins Jenseits beförderte. Das Comeback ist dabei leider nur ein Vorwand für kryptisch kompilierte Kloppereien, die lediglich Komplettisten ans Herz zu legen sind.

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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