Wohl keiner fiktionalen Figur der Weltliteratur haben sich so viele renommierte Autoren angenommen wie dem Mann im Fledermauskostüm ‒ mit Ausnahme von Jesus vielleicht. Wer in der Comicwelt etwas auf sich hält, tut gut daran, zumindest einen „Batman“-Titel in seiner Vita vorweisen zu können. Autor Jeph Loeb und Zeichner Tim Sale haben schon einen, den Klassiker „The Long Halloween“. Und an genau diesen knüpfen sie mit ihrem neuen Werk „Dark Victory“ nahtlos an.

Alles beginnt mit dem Tod von Gotham Citys Mafia-Paten Luca Falcone. Sein Mörder: Kein Geringerer als Oberstaatsanwalt Harvey Dent, der erst sein Vertrauen in das Gesetz und dann den Verstand verlor. Durch ein Säureattentat verunstaltet, mutiert er zum psychopathischen Borderliner „Two-Face“ ‒ eine Situation die Dents ehemaligen Freund und Verbündeten Batman in eine tiefe Sinnkrise stürzt. Zum Trübsal Blasen bleibt aber keine Zeit, hat Falcones Tod doch unlängst den Startschuss zu brutalen Territorialkämpfen in der Unterwelt gegeben. Dabei erhalten die Mafiafamilien überraschend Konkurrenz von Joker, Pinguin und Co., die aus der Sicherheitsverwahrung geflohen sind. Als ein Unbekannter auch noch damit beginnt, systematisch Polizeibeamte zu ermorden und alle Anzeichen auf Harvey Dent als Täter hinweisen, versucht Batman Beweise für dessen Unschuld zu finden, während er einen Kampf an allen Fronten führt.

Unter dem Deckmantel dieses klassischen Gut-gegen-Böse-Konflikts entwirft „Dark Victory“ eine düster-pessimistische Topographie vom Verbrechen zerfressener Großstädte: Aus dem Untergrund der Kanalisation sprudeln unablässig physisch und psychisch deformierte Superschurken, an der Oberfläche regiert die Mafia. Die versteckt sich zwar gerne hinter Werten wie Ganoven- und Familienehre, geht aber zum eigenen Vorteil bereitwillig über die Leichen ihrer Brüder und Schwestern. Über den Dächern herrscht schließlich der dunkle Ritter als einziger potenter Vertreter von Recht und Ordnung, der sich aber fragen muss, ob ihn der Dauerkontakt mit dem Abschaum der Unterwelt nicht längst unwiederbringlich der Gesellschaft entfremdet hat.

Dabei ist es die Darstellung des Verhältnisses zwischen Batman und seinen Widersachern, denen „Dark Victory“ seine stärksten Momente verdankt; schwingt in der Darstellung doch stets etwas Fürsorgliches, gar Väterliches mit. Beinahe rührend ist es mit anzusehen, wie der Held mit Tranquilizern versetzte Fleischklumpen als Fallen auslegt, um das brutale Riesenbaby Solomon Grundy gleichermaßen im Zaum zu halten wie zu ernähren. Der verbissene Versuch Harvey Dents Unschuld zu beweisen, dient hingegen auch der Versicherung, dass sich in der eigenen Seele noch so etwas wie Menschlichkeit befindet. Batman ‒ ein Hamlet im Cape.

Loeb und Sale gelingt auf knapp 400 Seiten ein wahrlich düsterer Triumph, an dem nahezu alles stimmt. Die kantig ausdrucksstarken Zeichnungen dürften so manchem Leser neues Inventar für seine Albträume bieten, Dialoge und Storywendungen treffen so präzise wie ein Faustschlag des dunklen Ritters. Und wenn am Ende die Mafia in Trümmern liegt, offenbart sich sogar die Moral der Geschichte: Organisiertes Verbrechen lohnt sich nicht. Nicht in einer Stadt, die den Freaks gehört.

Jeph Loeb/Tim Sale: Batman ‒ Dark Victory. Panini Comics. 396 Seiten (farbig), Softcover. 29,95 Euro.


Comics des Monats:

Titel: Asterios Polyp
Autor: David Mazzucchelli
Verlag: Eichborn. 342 Seiten (farbig), Hardcover. 29,95 Euro.
Wertung: ★★★★

Der Zeichner David Mazzucchelli zählte bisher stets zu den Helden aus der zweiten Reihe. Er bebilderte Frank Millers höchst einflussreiche Batman-Erzählung „Year One“ und adaptierte mit Paul Austers „Stadt aus Glas“ große Literatur. Der Comicroman „Asterios Polyp“ beweist nun eindrucksvoll, dass Mazzucchelli auch über literarisches Talent verfügt, das seinen Zeichenkünsten ebenbürtig ist: Erzählt wird von dem renommierten Architekturdozenten Asterios, der, obgleich keiner seiner Entwürfe je realisiert wurde, herablassend auf seine Mitmenschen hinunterblickt. Als seine Wohnung eines Tages niederbrennt, verlässt er ohne sich Umzusehen die Stadt und beginnt in der tiefsten Provinz ein neues Leben als Automechaniker. Parallel dazu gibt Asterios bei der Geburt verstorbener Zwillingsbruder Ignazio Einblick in die Gedankengänge der Hauptfigur und scheut sich dabei nicht, große existenzphilosophische Fragen über Realität und Wahrnehmung aufzuwerfen. Präsentiert wird dies in elegant-einfallsreichen Seitenlayouts und pointierten Zeichnungen, die Mazzucchelli so gekonnt mit der Geschichte interagieren lässt, dass die Autoren konventioneller Romane hier die Grenzen ihrer Kunst aufgezeigt bekommen. Willkommen in der ersten Reihe, David.


Titel: Julia & Roem
Autor: Enki Bilal
Verlag: Ehapa Comic Collection. 90 Seiten (farbig), Hardcover. 24,99 Euro.
Wertung: ★★★

Auch Enki Bilal gehört zu denjenigen, die mit der Umsetzung fremder Szenarien bekannt wurden. Allerdings schaffte es sein kunstvoller und unverwechselbarer Zeichenstil von Anfang an, sich selbst gegen ein Autoren-Schwergewicht wie Pierre Christin („Valerian und Veronique“) zu behaupten. Mittlerweile schreibt Enki seine Geschichten selbst, die mal überragend visionär, bisweilen aber auch schlicht unverständlich ausfallen. „Julia & Roem“ liegt irgendwo zwischen diesen Extremen und markiert Enkis Rückkehr in die Welt seines letzten Werks „Animal‘z“, in der eine Klimakatastrophe die Erde in unbewohnbares Ödland verwandelt hat. Hier vagabundiert der hartgesottene Militärpfarrer Lawrence über die leeren Highways, bis er den jungen Roem von der Straße aufliest und ihm das Leben rettet. Gemeinsam entdecken sie ein verfallenes Hotel, in dem die schöne Julia und ihre Familie einen Rest von Zivilisation aufrecht erhalten haben. Bereits der Titel ist ein nicht gerade subtiler Verweis auf Shakespeares berühmtes Liebesdrama, dem der Comic in seinen Grundzügen folgt (teilweise verfallen die Figuren sogar ins viktorianische Versmaß). Das Ergebnis ist eine Romanze im postapokalyptischen Format ‒ „Mad Max“ mit Lovestory sozusagen. Hört sich seltsam an? Für Enkis Verhältnisse ist das purer Mainstream.


Titel: The Last Days of American Crime
Autor: Rick Remender (Text), Greg Tocchini (Zeichnungen).
Verlag: Splitter. 172 Seiten (farbig), Hardcover. 22,80 Euro.
Wertung: ★★

Zur Abwechslung mal eine gute Idee von der amerikanischen Regierung: Da das Land in der nahen Zukunft von Schwerverbrechern geradezu überrannt wird, entwickelt man ein Signal, dessen Wahrnehmung es dem Gehirn unmöglich macht, ein Unrecht zu begehen. Blöd hingegen: Als bekannt wird, dass es noch 14 Tage dauert, bis das Signal einsatzbereit ist, pfeift die Unterwelt „The Final Countdown“ und dreht erst so richtig auf. Auch der alte Haudegen Graham spitzt die Lippen und versucht mit der Hackerin Shelby und dem Soziopathen Kevin einen letzten großen Coup zu landen, der ihn für eine verbrechensfreie Zukunft absichern soll. Schön verkommen ist dieses Szenario ja, dennoch will „The Last Days of American Crime“ einfach nicht richtig kicken. Den Zeichnungen fehlt es an der Dynamik, der es bedarf, um den Leser in diese Welt aus Niedertracht und Sadismus hineinzuziehen. Außerdem lassen die Figuren kalt. Der finale Bruch vermag daher kein echtes Interesse zu wecken. Wenn am Ende das ordnungsstiftende Signal endlich läuft und wieder Ruhe eingekehrt ist, hat man daher vornehmlich einen Gedanken: Gut, dass es endlich vorbei ist. Und ab Morgen werden wir anständig.


Titel: Im Schatten keiner Türme
Autor: Art Spiegelmann
Verlag: Atrium. 42 Seiten (farbig), Pappband. 34,90 Euro.
Wertung: ★★★

Da steht mal ein Verlag voll und ganz hinter seinem Zeichner: Der Klappentext von „Im Schatten keiner Türme“ erhebt Art Spiegelmann ohne Umschweife zum „weltweit bekanntesten Graphic-Novel-Künstler“, der das Medium im Alleingang zur „international anerkannten Kunstform“ gemacht hat. Das ist natürlich hanebüchener Kokolores, dessen Verfasser wohl nicht allzu viele Comics gelesen hat. Dennoch ist Art seine Bedeutung nicht abzusprechen, nicht umsonst wurde sein Holocaust-Comic „Maus“ mit dem Pulitzerpreis prämiert. „Im Schatten keiner Türme“ ist nun seine Aufarbeitung eines anderen Traumas, der Terroranschläge des 11. Septembers. Ursprünglich als einseitige Strips in diversen Zeitungen erschienen, erscheint diese Gesamtausgabe als überformatiger, aufwendig gestalteten Pappband, der eher an ein massives Bilderbuch als an einen Comic erinnert. Darin schildert der Zeichner, wie er die Katastrophe hautnah erlebte und spekuliert über Ursachen und Spätfolgen. Ergänzt wird das ganze um Nachdrucke populärer New Yorker Zeitungscomics von 1902-1921, die als thematischer Spiegel der Ereignisse fungieren. Das Ergebnis ist ebenso interessant wie zerfahren, was den Verlag aber vermutlich nicht davon abhalten wird, „Im Schatten keiner Türme“ in Kürze als DAS Meisterwerk des Comics überhaupt zu bezeichnen.


Titel: Ganz allein
Autor: Chaboutè
Verlag: Carlsen Comics. 368 Seiten (s/w), Hardcover. 29,90 Euro.
Wertung: ★★★

Das Leben an der Küste ist bekanntlich hart, das Leben auf See noch härter. Und einsamer. Der Leuchtturm vor der Küste wird längst automatisch betrieben, sein Wärter ist schon vor Jahren gestorben. Zurückgelassen hat er einen missgebildeten Sohn, der ein freudloses Dasein fristet: Zwar legen regelmäßig zwei Seeleute an und beliefern ihn mit Lebensmitteln, doch fehlt es ihm völlig an sozialen Kontakten. Alles was er hat, sind ein Goldfisch und ein altes Lexikon, mit dessen Hilfe er sich die Welt außerhalb des Leuchtturms mit skurrilen Ergebnissen zusammenphantasiert. „Ganz allein“ ist ein Comic, der neue Maßstäbe in punkto erzählerischer Langsamkeit setzt. Sage und schreibe 100 Seiten dauert es überhaupt, bis die Hauptfigur sich einmal blicken lässt und selbst dann nimmt die Geschichte kaum Fahrt auf. Der sich anbahnende Ausbruch aus der Einsamkeit wirkt hier wie eine überlange Einleitung, der man vergessen hat, die eigentliche Erzählung anzuhängen. So bleibt genug Zeit, seitenlang dem Flug einer Möwe oder der aufgewühlten See zuzusehen. Die archaisch-kantigen Zeichnungen sind dann auch der Höhepunkt des Comics: Ihre raue Schönheit hält den Blick des Lesers gefangen und schenkt ihm eine einzigartige Erfahrung: Als besuche man den Elefantenmenschen auf Hallig Hoge.


Wiederveröffentlichung des Monats

Titel: Kein Blick zurück
Autor: Dani Montero
Verlag: Edition 52. 95 Seiten (s/w), Softcover. 15 Euro.
Wertung: ★★

Da man den Eindruck bekommen könnte, die Kolumne bestünde in diesem Monat nur aus den Werken alter Säcke, die hauptsächlich von anderen alten Säcken erzählen, folgt zum Abschluss der Hinweis auf ein junges Talent. Dani Montero heißt der spanische Zeichner, der mit „Kein Blick zurück“ sein Debüt vorlegt. Im Mittelpunkt steht Jamie, der sich nach einem Streit mit seiner Freundin mit seinem Hund aus dem Staub macht. Eine Autopanne und eine Verfolgungsjagd mit einem Bären später strandet er in einer fremden Stadt. Dort verdächtigt man ihn völlig grundlos, ein Kind entführt zu haben, kidnappt und misshandelt ihn. Dann entgleist die Handlung total, Jamie flieht, wird (warum auch immer) zum Penner und hat in einem abstrusen End-Twist anscheinend jemanden ermordet, allerdings kein Kind. Damit dürfte „Kein Blick zurück“ zwar eine Nominierung für den Preis der „krudesten Comic-Handlung 2011“ sicher sein, doch täte man seinem Urheber Unrecht, wenn man ihn nur auf seine verquastete Erzählkunst reduzieren würde. Sein filigran-verspielter Strich hat sowohl Tempo wie Ausdruckskraft und lässt zeichnerisch noch auf einiges hoffen. Vorausgesetzt die Handlung macht nicht wieder einen Strich durch die Rechnung.

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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