Angefangen hat es mit einer babyrosa Pille: Das vermeintliche Allheilmittel meiner pubertären Sorgen brachte viele Versprechen mit sich. Die Antibabypille garantiere nicht nur eine zu 99,9 Prozent sichere Empfängnisverhütung, sondern solle auch gegen Akne, Menstruationsbeschwerden und -unregelmäßigkeit wirken. Manch einem Mädchen wurden auch schon größere Brüste versprochen. So war das jedenfalls zu der Zeit, in der ich angefangen habe, die Antibabypille zu schlucken, um die Sorge um babyrosa Kinderzimmerwände im Alter von siebzehn Jahren zu vergessen.

Ich hatte mich auf die Versprechen meiner Ärztin verlassen, als ich vor ein paar Jahren mit diversen Beschwerden in die Sprechstunde und mit einem Rezept für die Antibabypille wieder aus dem Ärztezentrum kam. Vor allem auf das Versprechen, sich keine Sorgen mehr machen zu müssen. „Wir schlagen alle Fliegen mit einer Pille“, hatte sie gesagt. Hinter den vielen Versprechen schwand auch die Sorge um die eigene Gesundheit auf die Größe des, wie sich herausstellte, Übeltäters selbst: ein orales Kombinationskontrazeptivum, das kleiner ist als ein 1-Cent Stück. Statt schöner Haut und unveränderter (!) Körbchengröße traten allerdings einige der möglichen Nebenwirkungen auf, die, oftmals unbeachtet, auf der Packungsbeilage des hormonellen Verhütungsmittels stehen: Depressionen, Kopfschmerzen, erhöhte Thrombose-Gefahr, Zwischenblutungen, Veränderung der Libido und Nervosität.

Heute, der Erfahrung geschuldet aufgeklärter, frage ich mich, warum die Pille immer noch so häufig eingenommen wird. Laut des Pillenreports 2015, der gemeinsam mit der Universität Bremen von der Techniker Krankenkasse erstellt wurde, wird die Pille mehr als der Hälfte der jungen Frauen ab dem siebzehnten Lebensjahr verschrieben. Wenn Pillen wie Bonbons verteilt werden: Klären Frauenärzte und -ärztinnen zu wenig über die möglichen Nebenwirkungen auf? Wird die Pille mehr als Schönheitspräparat anstatt als Verhütungsmittel verkauft?

Die Pharmaindustrie verdient an mehr als nur dem Wunsch nach Langzeitverhütung: Die Pille ist ein Millionen-Euro-Markt, weil sie häufig auch als Medikament gegen Krankheiten verschrieben wird. Zu wenig Konsumentinnen scheinen sich bewusst zu machen, dass der weibliche Körper unter Einnahme der Pille in der Illusion einer anhaltenden Schwangerschaft festgehalten wird. Dieser Zustand ist den in der Pille enthaltenen, künstlich hergestellten Geschlechtshormonen geschuldet, welche Frauen mit chronischem Östrogenmangel gesundheitlich sogar helfen können. Viele der Verwenderinnen leiden allerdings nicht an einem erhöhten Testosteronwert, der die Einnahme der Pille in ein positives Licht rückt. Nachdem ich selbst vier Jahre die Pille eingenommen habe, kommt es mir heute sehr leichtsinnig vor, die Kontrolle meines Hormonhaushalts an eine Pille abzugeben. Ich frage mich: Bin ich gerade nur gut gelaunt, weil ich mit Hormonen vollgepumpt bin? Werde ich es mir selbst verzeihen können, wenn ich Langzeitschäden davontrage, die der Einnahme der Pille geschuldet sind? Ich esse kein Fleisch oder gespritztes Gemüse, trinke keine tierische Milch, aber nehme jeden Abend einen Hormoncocktail zu mir, der in meine körperliche und psychische Gesundheit eingreift.

Ganz getreu dem schwangerschaftsähnlichen Zustand meines Körpers, begann ich mich aufgrund von Morgenübelkeit regelmäßig zu übergeben. Zeitgleich setzten depressive Schübe ein, als würde ich für meinen paradoxen Hormonkonsum bestraft werden.
„Sie können ungeöffnete Blisterstreifen auch an Frauen spenden, die kein Geld haben, um für die Kosten der Antibabypille aufzukommen“, sagte meine Ärztin, als ich wegen der babyrosa Pille wieder zu ihr in die Sprechstunde kam und deutlich gemacht hatte, dass ich mich davon verabschieden wollte. „Nein“, dachte ich, „das möchte ich keiner Frau antun“, Ich fragte nach einem alternativen Präparat und bekam ein Rezept für eine deutlich schwächer dosierte Pille verschrieben. Ich hatte also die Wahl zwischen Übelkeit und dem geringeren Übel. Über hormonfreie Verhütungsmethoden, neben Kondomen, sprachen wir nicht und weil sich mit der neuen Pille keine Beschwerden zeigten, nahm ich erneut Risiken in Kauf. Ähnlich wie Frauen, die von Anfang an nicht mit Nebenwirkungen zu kämpfen haben und deshalb nicht darüber nachdenken, dass die Einnahme beispielsweise zu langfristigen Schäden führen kann, die erst nach dem Absetzen in Erscheinung treten. Vergleicht man jedoch die Studien der letzten Jahre, zeigt sich auch, dass die Antibabypille nicht nur negative Effekte haben kann. Dass die Pille das Risiko von Thrombosen und Geschwülsten sowie die Gefahr an Gebärmutterhals- und Leberkrebs zu erkranken erhöht, wird kompensiert durch niedrigere Raten an Diagnosen für Eierstockkrebs. Die Ergebnisse der 2002 erstellten Care-Studie, an der 9 200 US-Amerikanerinnen teilnahmen, sprachen der Pille außerdem das erhöhte Brustkrebs-Risiko ab – ein Risiko, das der Pille lange Zeit nachgesagt wurde.

Sich für das geringere Übel oder gegen eine bestimmte Art der Krebserkrankung zu entscheiden, und so eventuell eine andere in Kauf zu nehmen, wirkt immer noch absurd, im Besonderen vor dem Hintergrund, dass durchaus hormonfreie Alternativen auf dem Markt sind. Dass es sich dabei nicht nur um Kondome handelt, hat man zumindest mir erst auf ausdrückliche Nachfrage erzählt. Eine dieser Alternativen ist die rezeptpflichtige Kupferspirale, die in die Gebärmutter eingesetzt wird. Die kupferne Alternative ist zwar hormonfrei und kosteneffizienter als die Pille, allerdings wurden noch keine Langzeitstudien mit der Spirale an kinderlosen Frauen durchgeführt. Es ist daher nicht erwiesen, wie sich Kupfer langfristig im Körper auswirkt. Der Verhütungsindex weist sowohl die Kupferspirale, als auch ihre abgewandelte Version, die Kupferkette, im Gegensatz zu hormonellen Verhütungsmitteln als deutlich unsicherer aus. Die Kupferkette gibt Kupfer-Ionen ab, welche die Gebärmutterschleimhaut und den Schleim am Muttermund verändern. Spermien verlieren dadurch nicht nur ihre Beweglichkeit, sondern werden auch in ihrer Befruchtungsfähigkeit gehemmt. Kommt es dennoch zu einer Befruchtung, kann sich die Eizelle nicht in der Gebärmutter einnisten. Kupfer ist im Labor mit vielen Gefahrenzeichen gekennzeichnet und darf aufgrund seiner toxischen Eigenschaft nicht in die Umwelt gelangen. Warum meine Frauenärztin mir also vorzugsweise die Wahl zwischen dem einen und dem geringeren Übel ließ, scheint vorerst beantwortet.

Am Ende stellt sich in vielen Sprechzimmern immer wieder heraus, dass Frauen, die langfristig verhüten wollen, zwar die Wahl zwischen verschiedenen Verhütungsmöglichkeiten haben, sich aber gleichzeitig nur für das geringere Übel entscheiden können. Wie und ob sich das präferierte Verhütungsmittel letztendlich übel auswirkt, hängt vom Körpertyp und Typ Frau ab. Da unsere Körper biologisch auf Fortpflanzung hinarbeiten, ist Schwangerschaft natürlicher als Verhütung. Deshalb wird der Kampf der Medizin gegen die Natur nicht allzu bald in einem Sieg, also dem perfekten Verhütungsmittel, münden. Jedenfalls stehen die Chancen dafür solange schlecht, bis Verhütung gesellschaftlich nicht mehr nur als Frauensache anerkannt wird. Weil sich Verhütung als Frauensache aber so gut rentiert, bleibt die Pharmaindustrie fern von anderen Möglichkeiten, wie zum Beispiel der Erforschung von Langzeitverhütung für den Mann. Das Bewusstsein darüber, was Frauen sich mit Langzeitsverhütung (un)wissentlich antun, sollte nicht nur bei den Konsumentinnen, sondern auch bei den Männern gestärkt werden.

Seitdem die Antibabypille in den sechziger Jahren auf den Markt kam, eilt ihr Ruf als Instrument sexueller Befreiung der Frau der Sorge um ihre möglichen Nebenwirkungen voraus. Heutzutage sollte die Verhütungsdebatte aber nach anderen Standards geführt werden. Zu viele Frauen nehmen Nebenwirkungen im Interesse sexueller Freiheit in Kauf. Sexuelle Freiheit: unbedingt! Aber nicht um jeden Preis. Die Wahl zu haben, hormonell zu verhüten, ist gut, muss aber genauso gut überdacht werden. Und zwar nicht nur von den Frauen, die sie einnehmen. Denn was nützt sexuelle Freiheit, wenn man sie nicht genießen kann?

Autor*in

Maxi ist 20 Jahre alt und studiert Deutsch und Philosophie an der CAU. Sie ist seit dem Wintersemester 2016/17 Redakteurin beim ALBRECHT und schreibt vor allem für die Ressorts Gesellschaft und Hochschule.

Share.
Leave A Reply