Die Wirtschaftskrise aus der Sicht von Dr. Sergio Ramos Ramos, Dozent für Unternehmensführung an der Universidad de Las Palmas de Gran Canaria

DER ALBRECHT: Herr Ramos, wieso wurde Spanien von der Wirtschaftskrise besonders hart getroffen?

Sergio Ramos: Spanien ging es wirtschaftlich gesehen bereits vor der weltweiten Finanzkrise nicht besonders gut. Als 2007 der internationale Markt zusammenbrach, konnten sich die Fehler einfach nicht mehr verdecken, geschweige denn beheben lassen. Es wurden viele falsche Entscheidungen getroffen. Insbesondere am Immobilienmarkt, der neben dem Export die wichtigste Finanzbranche in Spanien darstellt. Die Kredite, die Spanien erhalten hat, wurden nicht gewinnbringend eingesetzt. Sie wurden wahllos in den Immobilienmarkt investiert, doch die Projekte blieben meist unvollendet und stellten sich letztlich als Verlustgeschäft heraus. Die Regierung war sich dieser schwerwiegenden Fehler und ihrer katastrophalen Folgen damals nicht bewusst. Nun haben diese Probleme auf dem Finanzmarkt auch die Gesellschaft erreicht.

Wie genau würden Sie die aktuelle Situation der Gesellschaft beschreiben?

Die Lebensqualität hier in Spanien hat sich drastisch verschlechtert. Viele Unternehmen sind insolvent gegangen und mussten Arbeiter entlassen. Die vielen neuen Arbeitslosen erhalten zudem weniger Sozialleistungen, weil der Staat sie in Folge der Sparmaßnahmen reduzieren musste. Manche leben nun sogar auf der Straße. Das ist die Realität, in der wir leben.

Die Situation vieler Unternehmen ist katastrophal. Welche konkreten Veränderungen spüren die Arbeitnehmer dadurch?

Ich denke, die meisten spüren die Veränderungen, die die neue Arbeitsmarktreform mit sich bringt. Insbesondere die Neuerungen im Kündigungsschutz: Mitarbeitern kann nun einfacher und auch nur mit einer geringen beziehungsweise sogar mit gar keiner Abfindung gekündigt werden. Neuen Mitarbeitern werden fast ausschließlich Zeitverträge angeboten, die auch wiederum Vereinbarungen zu ganz schlechten Bedingungen aufweisen. Und natürlich bekommen die Menschen auch nicht mehr viel Gehalt.

Wie schätzen Sie bei solchen Zuständen in den Unternehmen die Zukunftsperspektive der spanischen Studenten ein?

Es gibt zu viele Studierende in Spanien und offensichtlich zu wenig Arbeit. Doch in globaler Perspektive eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten. Die Studierenden müssen sie nur wahrnehmen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen dem, was sie tun könnten und dem, was sie tatsächlich tun. Einige Studiengänge beispielsweise haben nicht so hoffnungslose Zukunftsperspektiven, wenn die Absolventen nur die Bereitschaft aufbringen auch ins Ausland zu gehen. Die spanische Ausbildung im Ingenieurwesen genießt nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa einen guten Ruf. Diese Studierenden werden einfacher an Arbeit kommen.

Um Unternehmen und Hochschulen näher zusammenzuführen, gibt es den Plan ein duales Studiensystem in Spanien aufzubauen. Existieren hierzu bereits schon konkrete Umsetzungen?

Unsere Vorstellung vom dualen Studium in Spanien ist ein Ideal. Um Theorie und Praxis verstärkt miteinander zu verbinden, müsste jedoch sich die Unternehmenskultur ändern. Wir haben damit bisher wenig Erfahrung, doch bin ich mir sicher, dass beide Seiten von diesem System profitieren können und es sich als sehr effektiv herausstellen wird. Konkrete Pläne hat die Regierung bislang noch nicht ausgearbeitet, doch werden bereits vermehrt Praktika während des Studiums gefördert.

Wie beurteilen Sie die Situation der Studierenden, die im Ausland eine Arbeit suchen?

Viele junge Menschen müssen ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten. Der spanische Staat hat zwar Geld in die Bildung und Ausbildung dieser Menschen investiert, doch andere Länder profitieren nun davon. Ich bin mir aber auch sicher, dass sie wieder zurückkehren werden. Hier ist ihre Heimat, hier sind sie verwurzelt. Dazu muss aber erst ein Wandel im Denken stattfinden, sowohl bei der Regierung, als auch im Unternehmertum.

Haben sich die Studiereden durch die Krise verändert?

Vor einigen Jahren waren die Studierenden noch anders: Es war eine heterogene Masse aus verschiedenen Charakteren und Profilen. Sie haben lange nicht so effizient wie heute gearbeitet. In diesen Tag sitzen in meinen Vorlesungen junge aufmerksame Studierende, die um jeden Notenpunkt kämpfen. Man spürt ihre Anspannung, sieht ihren Kampf um gute Noten. Sie wissen, dass sie kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Und diese werden noch geringer, wenn sie einen schlechten Abschluss machen. Ich glaube aber daran, dass auch wieder bessere Zeiten kommen werden. Die Zukunft wird Veränderungen mit sich bringen, allerdings sehr schleppend.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde geführt und übersetzt von Anja Schuldt.

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