Zu Fuß durch Deutschland – die Wanderuni macht sich auf den Weg des selbstbestimmten Lernens

Zum Ende eines jeden Semesters werden die Gesichter an den Hochschulen länger, die Gemüter gereizter und die Anspannung größer: Die Hausarbeits- und Klausurenphase steht an. Große Freude bricht nur dann aus, wenn die Lehrperson die Worte „Dies ist nicht klausurrelevant“ ausspricht. Ein Satz, der alle Anwesenden hellauf begeistert – jedoch ist diese Reaktion bedenklich. Sollten Studierende nicht eher erfreut darüber sein, noch tiefer gehendes Wissen in ihrem Studienfach sammeln zu können? Schließlich haben sie sich bewusst für ihr Studium entschieden. Ein Hochschulsystem, das zum Bulimie-Lernen anregt, und der damit einhergehende Studienverdruss, bewirken jedoch das Gegenteil. Der Persönlichkeitsbezug des Studiums und somit auch der eigentliche Sinn des Lernens gehen im universitären Drucksystem verloren, frei nach dem Motto „Nicht für das Leben, sondern für ECTS-Punkte lernen wir“. Dies resultiert in vielen lernverdrossenen jungen Menschen. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (2014) bricht sogar jede*r vierte Bachelorstudierende das Studium ab. Da sich das Hochschulsystem dieses Landes nicht innerhalb weniger Monate ändern wird, stellt sich die Frage, was außer einem Abbruch Abhilfe schaffen kann.

Zu sechst begaben sich die jungen Wander*innen auf den ersten "StudienGang" Deutschland / Foto: Markus Nischik
Zu sechst begaben sich die jungen Wander*innen auf den ersten „StudienGang“ Deutschland / Foto: Markus Nischik

Eine mögliche Antwort bietet die Wanderuni: Mit einem Rucksack bepackt geht es zu Fuß durch Deutschland, während das selbstbestimmte Lernen im Mittelpunkt steht. Die Idee entstand, als Begründer Emil Allmenröder am teilweise sogar universitär anerkannten Bildungslauf Funkenflug teilnahm. Nach mehreren Wochen Wanderung kamen er und 80 weitere Laufende in Berlin an. Während die meisten zurück nach Hause fuhren, stellte er sich die Frage, ob er nicht einfach weiterlaufen könne. So entstand die Idee der Wanderuni. „Sie beschreibt die selbstbestimmte Auseinandersetzung mit einem Thema und den Austausch darüber mit anderen“, erzählt Fiona Mohr. Sie war Teil der sechsköpfigen Gruppe, die von April bis September 2015 den ersten ‚StudienGang‘ durchgeführt hat.

Das Konzept der Wanderuni ist, aus dem Gewohnten herauszutreten – sei es das warme Bett im Elternhaus, der Schulalltag oder die universitäre Lernsituation. Dabei geht es nicht darum, ein halbes Jahr lang nichts zu tun, sondern ganz im Gegenteil eine neue Art des Lernens zu entdecken: „Mit der Wanderuni wollen wir neue Bildungswege gehen. Wir machen die Welt zum Klassenzimmer und holen uns das Leben zurück auf den Lehrplan“, heißt es auf der Website. Die Teilnehmenden des ersten ‚StudienGangs‘ legten sich eine ungefähre Route zurecht, planten zwölf Workshops zu verschiedenen Themen an Orten in ganz Deutschland und steckten sich so ihre Streckenziele. Während die einen gerade ihr Abitur hinter sich hatten, waren die anderen mitten im Studium, jedoch machten sie sich alle gemeinsam im April 2015 in Freiburg auf den Weg. Mindestens 1500 Kilometer waren sie zu Fuß unterwegs, mit einem selbst gebauten Fahrradbus radelten sie von Berlin bis an die Ostsee, manchmal trampten sie auch.

Über Stock und Stein: Die Wanderuni steht für gemeinsames Unterwegssein / Foto: Markus Nischik

Auch in der Wanderuni gibt es einen Alltag: Morgens brach die Truppe gegen neun Uhr auf, wanderte eine Weile, frühstückte in einer gemeinsamen Morgenrunde und machte sich dann erneut auf den Weg, bis sie sich gegen 18 Uhr einen Schlafplatz suchte. Innerhalb dieses Zyklus durfte das individuelle Lernen natürlich nicht zu kurz kommen. Vier Stunden waren täglich eingeplant, in denen manche mit dem Laptop, andere wiederum mit Büchern arbeiteten. Der Schwerpunkt durfte selbst gelegt werden. Ob explizite Studieninhalte, Sprachen, oder andere Themen, für die sonst zu wenig Zeit bleibt – die Wanderuni bietet den Raum, sich frei damit zu beschäftigen, auf ungezwungene Art und Weise in Themen einzutauchen und im eigenen Tempo zu lernen. Diese Inhalte können dann wiederum den anderen präsentiert werden, um Lernerfolge und dazugewonnenes Wissen zu teilen. Im Vergleich zur Uni wird der Lernfokus ganz klar verschoben: Nicht nur der Seminarraum ist Lernraum, sondern alles, was erlebt wird. Persönliche Weiterbildung hat mindestens den gleichen Stellenwert wie Bücherwissen. Zwar habe sich die Gruppe außerhalb des Bildungssystems bewegt, aber dadurch nicht minder viel gelernt. „Die Menschen, die sich für die Wanderuni interessieren, sind meist unzufrieden mit dem, was da ist“, erzählt Fiona. Für sie ging es auf ihrer Reise ganz besonders um die Selbstermächtigung, die es ihr ermöglichte, Selbstvertrauen und einen „schönen, gesunden Größenwahn“ zu entwickeln.

Natürlich sei das Unterwegssein mit der Wanderuni auch nicht immer einfach, berichtet Fiona. Sie seien eine zusammengewürfelte Truppe gewesen und es habe einige Zeit gebraucht, um sich tiefgehend zu verstehen. Manchmal hätten sie sich sogar getrennt, waren ein paar Tage allein unterwegs, um sich dann erst beim nächsten Workshop wiederzutreffen und die Anwesenheit der anderen neu schätzen zu lernen. Das gemeinsame Ziel und die bewusste Entscheidung zur Umgangsform miteinander mache das dauerhafte Zusammensein wertvoll und möglich. Auch müsse erst einmal die Angst verloren werden, keinen Schlafplatz zu finden, oder nicht über die Runden zu kommen. „Man braucht Weltvertrauen“, sagt Fiona.

Von den Bergen bis zum Meer - einmal quer durch Deutschlan / Foto: Markus Nischik
Von den Bergen bis zum Meer – einmal quer durch Deutschland / Foto: Markus Nischik

Die Vision besteht, dass die Wanderuni irgendwann von Schulen als Orientierungsphase für das Leben und von Universitäten als mögliches Praxissemester anerkannt wird, um den Bildungsbegriff endlich weiter zu fassen und ihn nicht mehr ausschließlich auf die vorhandenen Systemstrukturen zu beschränken. Bis dahin beschreitet die Wanderuni weiterhin in Eigeninitiative neue Wege. Nach dem erfolgreichen ersten Jahr wird es 2016 den zweiten ‚StudienGang‘ geben. Eine neue Gruppe wird sich auf den Weg machen und ihrerseits Wanderuni-Geschichte schreiben. Während die erste Generation als Mentor*innen bereit steht, geht es jedoch auch hier wieder um die persönlichen Lernbedürfnisse der neuen Gruppe. Das nächste Planungstreffen findet vom 12. bis 14. Februar in Berlin statt und ist offen für neue Gesichter. Wer sich für eine solche Studienpause interessiert und mit der Wanderuni neue Wege beschreiten will, kann sich unter kontakt@wanderuni.de mit den Weltenbummlern in Verbindung setzen.

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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