Als AStA-Moderator Tim Wiegmann schließlich die letzte Abstimmung des Tages einholte, stand die Erleichterung nicht wenigen ins Gesicht geschrieben. Nach einem gut vierstündigen Diskussionsmarathon hatte die Vollversammlung ein Eckpunktepapier für ein besseres Bildungswesen beschlossen. Diesem war ein zähes Ringen vorangegangen, in dem das Plenum keinesfalls zurückhaltend abnickte, was StuPa und AStA vorgeschlagen hatten, sondern vielmehr debattierfreudig die Kontroverse suchte. Kein Wunder, denn schließlich ging es darum, ob die Anwesenden für die vorgestellten Punkte am 26. April, dem landesweiten Aktionstag für Bildung, vor dem Landtag demonstrieren würden. Zudem ist eine Vollversammlung sowieso einmal die Gelegenheit für jedermann, sich hochschulpolitisch vor einem etwa achthundertköpfigen Saal einzubringen.
Eingeleitet wurde die Versammlung vom Präsident des StuPa, Malte Jentsch, der unter dem Slogan „Wir müssen unsere eigene Lobby sein“ die Bedeutung einer Stellungnahme der Kieler Studenten zur gegenwärtigen Bildungspolitik unterstrich und zur Solidarität mit den Schülern in Schleswig-Holstein aufrief. Danach übernahmen ebendiese in Person von Lynn Moldaenke und Max Reble vom Käthe-Kollwitz-Gymnasium Kiel das Mikrophon. Sie wetterten selbstbewusst gegen schulische Unterfinanzierung, hohe Klassenstärken, Lehr – und Lernmittelgebühren und vor allem soziale Selektion nach der vierten Klasse. Gerade der letzte Punkt stürzte das Plenum schnell in eine heftige Debatte – schließlich war jeder schon einmal Schüler gewesen – sodass Marcel Mansouri, der sich grundsätzlich auf die Seite der Schüler stellte, die Diskussion am Ende aber um „weniger Ideologie“ und mehr Konzentration auf Hochschulpolitik bat. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die AStA-Moderation der Redelaune ihres Plenums einen Dämpfer verpassen musste.
Zurück bei den Studentensorgen ging es vielen Wortbeiträgen um Missstände in Lehre und Mitbestimmungsrecht. Weg vom Forschungsschwerpunkt der Exzellenz-Uni, hin zu einem vielseitigen Bildungsprofil mit mehr und besser bezahlten Dozenten und ohne Leistungspunkte, lautete eine Forderung, die rauschenden Applaus erntete. 7200 € gebe das Land etwa jeden Monat pro Student aus, das liege unter dem Bundesschnitt und müsse angeglichen werden, so auch die erste Kernaussage des Eckpunktepapiers. Das leidige Thema Studiengebühren war nach wenigen Beiträgen ebenfalls wieder harsch vom Tisch gekehrt. Schließlich hatte die Vollversammlung erst im November darüber abgestimmt und so erhielt gar die Forderung ihres Verbots durch das Landeshochschulgesetz große Zustimmung. Uneinigkeit hingegen erzeugte die Frage, ob ein BAföG-Satz unabhängig vom Einkommen der Eltern eingerichtet werden solle. Die Einen werteten es als Geldverschwendung, die Anderen als einzig konsequentes Prinzip der Gleichberechtigung. Im anschließenden Votum setzte sich knapp letzteres durch, wobei die Zahlungen sich nicht mehr an der Regelstudienzeit, sondern der durchschnittliche Studienzeit des jeweiligen Faches orientieren sollen.
Gegen Mittag kehrte langsam wieder Ruhe, vielleicht sogar eine gewisse Müdigkeit im Plenum ein. Das spröde Holz der Sitze schien gefühlt immer härter zu werden und der studentische Biorhythmus war auf Mensa eingestellt. Ebendiesem folgten auch nicht wenige und der Saal begann sich deutlich zu leeren. So zeigte sich hier dem politisch Unerfahrenen vor allem eines: Demokratie. Das verlangt Ausdauer und Geduld. Auch in der Moderation wurde ausgewechselt und Torsten Ziese übernahm das Mikrophon von Oleg Gussew, der den ersten Teil geleitet hatte. Im Vordergrund standen nun die Probleme mit dem Bachelor/Master-System und den ECTS-Leistungspunkten. Unvermeidbar in den Argumenten waren dabei längere Umwege über Einzelschicksale, fächerspezifische Lehrplangestaltung oder störende Formalitätshürden. Die angepriesene Flexibilität des Bachelor/Master-Systems schien für viele Anwesende ins genaue Gegenteil umgeschlagen zu haben. Insbesondere der Studienortwechsel oder die individuelle Strukturierung während des Bachelors seien oft schwieriger denn je. Auf die Frage nach der Alternative kristallisierte sich auf Nachfrage etwas unwillig die Verbindung von Bachelor/Master mit Scheinen heraus: Nicht wie Diplom. Aber ohne Punkte. Hohe Flexibilität. Aber keine Anwesenheitspflicht. Auch dieser Teil wurde vollständig im Votum angenommen, blieb in seinen Lösungsansätzen allerdings ziemlich dunkel. Als Fazit sollte bei der Bildungspolitik ankommen, dass dieses Studiensystem nicht ganz ausgegoren ist. Um Details wird woanders gestritten werden.
Zum Endspurt ging es beim letzten Abstimmungspacket des Tages noch einmal richtig heiß zur Sache. Der AStA hatte stets betont, wie wichtig ihm eine Resonanz aus der studentischen Basis sei. Und beim Thema flexible Frauenquote für Promotionsstellen schließlich war diese überaus kontrovers. Einzelne Redeführer hielt es nicht mehr auf den Sitzen, das Mikrophon kam streckenweise kaum noch zu allen Wortmeldungen und der Moderation um Carolin Ahrens wurde es nicht leicht gemacht. Streitpunkt war insbesondere, dass sich die Quote nicht nach dem Geschlechterverhältnis der Bewerber, sondern nach dem der Studienabsolventen richten müsse. Der hohe Frauenanteil der Lehramtsstudenten würde dies ohnehin verzerren, so die Gegenstimmen. Und nicht nur Männer äußerten sich in diesem Ton zu der immer ideologischer werdenden Frage, ob Diskriminierung in Auswahlverfahren ein Problem an dieser Universität sei. Einige Frauen betonten sogar, dass sie sich gerade durch solche Quoten unangemessen bevorteilt und so weniger ernst genommen fühlten. Am Ende wurde die Frauenquote aus dem Papier gestrichen. Die letzten Punkte waren abgehakt.
Nach der Veranstaltung zeigte sich Yvonne Dabrowski vom AStA zufrieden mit dem Verlauf des Vormittags. Es gebe eine „gute Diskussionskultur ohne Anfeindungen“, die stets wichtig sei für den Kontakt zu den Studenten. Bei dieser Vollversammlung wurde deutlich: An inhaltlichem Interesse mangelt es nicht. Die Stunden jedoch werden dadurch nicht kürzer, was nicht unbedingt zur Motivation der Unentschlossenen beiträgt. „Aber das ist völlig normal in einem basisdemokratischen Prozess“, meint Politikstudent Josh am Ende. Bleibt nur zu hoffen, dass die beschlossenen politischen Signale auch die gewünschten Ohren erreichen.

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