Dass am Anfang des Semesters der Geldbeutel immer etwas leerer ist als sonst, merken wir alle: neue Bücher, volle Mensakarte, Leihgebühren und Skripte. Bei Skripten wird sich jetzt manch einer fragen, warum dafür denn Geld zu bezahlen sei. Tatsächlich handhaben es fast alle ProfessorInnen unterschiedlich, ob und wie sie den Studierenden Skripte zur eigenen Vorlesung ausgeben. Während viele ihre Folien unentgeltlich ins OLAT oder passwortgeschützt auf ihre eigenen Websites stellen, gibt es auch den Mythos vom VWL-Prof, der sein Fach auf jeden Fall verstanden hat und sein Skript für 25 Euro verkauft – dafür darf der betuchte Student es dann mit in die Klausur nehmen. Andere drucken die Texte oder Folien direkt aus und verkaufen sie an ihre Zuhörer; Fragen nach einer digitalen Version, sei es auch nur der Umwelt zuliebe, werden mit urheberrechtlichen Bedenken abgeschmettert. Bevor man pauschal das Verkaufen ausgedruckter Skripte als Geldmacherei darstellt, lohnt sich allerdings ein Blick auf das Copyright für digitale Versionen. Und tatsächlich – nach kurzer Recherche tut sich ein verschachtelter Irrgarten aus rechtlichen Regelungen und Formalitäten auf, der es zumindest verständlich macht, dass manche Lehrbeauftragte sich mit der Digitalität schwertun.

Der Verwalter dieses Labyrinths ist die Verwertungsgesellschaft Wort. Sie ist sozusagen die GEMA des geschriebenen Wortes, eine Gesellschaft, bei der Autoren ihre Werke registrieren können. Dafür passt die VG Wort dann auf, dass niemand ihre Werke zitiert, ihre Abbildungen benutzt oder gar an seine Studenten verteilt, ohne dass dabei für die Urheber etwas abfällt – an sich fair. Doch ähnlich wie bei der GEMA wird auch an ihrem buchstäblichen Äquivalent oft kritisiert, dass die Urheber im Endeffekt nur einen Bruchteil des eingetriebenen Geldes erhalten. Vor ein paar Wochen stand die VG Wort zudem noch damit in den Schlagzeilen, dass der Bundesgerichtshof in einem Urteil entschied, dass ihre Einnahmen, die bisher zur Hälfte an die Verlage gingen, nur noch an Autoren verteilt werden dürfen. Für kleine Verlage wird das wahrscheinlich das Aus bedeuten.

Und auch an der Uni besteht die Möglichkeit, dass Lehrende sich auf den Irrwegen des Copyrights verlieren – nämlich dann, wenn sie in Skripten bereits veröffentlichte Publikationen zitieren oder ihren Studenten zur Verfügung stellen. Bisher musste sich keiner so richtig mit diesen sogenannten Zweitverwertungsrechten beschäftigen, denn die deutschen Unis bezahlen eine pauschale Abgabe an die VG Wort: Dafür darf dann alles, was seitens der Urheber bei der VG Wort registriert wurde, in Skripten im Intranet, im Fall unserer Universität OLAT, veröffentlicht werden, solange bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Zum Beispiel darf kein ganzes Buch ins Netz gestellt werden, sondern höchstens zwölf Prozent – da fängt der Ärger schon an, denn wie genau bemisst man zwölf Prozent eines Buches: Zählt man die Seiten oder die Wörter, was ist mit dem Inhaltsverzeichnis? Aber gut, damit wurde sich bisher arrangiert.

Doch schon 2013 gab es ein anderes Gerichtsurteil, in dem der VG Wort zugesprochen wurde, dass eine pauschale Abgabe der Hochschulen an sie nicht reicht – das ergibt erst einmal auch Sinn, denn wie sollen die Urheber über eine Pauschale gerecht entlohnt werden, wenn ein Autor 400 mal pro Jahr zitiert wird, ein anderer nur fünfmal? Also wurde entschieden, dass ab 2016 jedes fremde Textstück in einem Skript vom Lehrpersonal an die VG Wort gemeldet werden muss. Dass das gerade in den Geisteswissenschaften locker ein paar hundert pro Vorlesung sein könnten, hat dabei anscheinend keiner bedacht. Wer ein Skript herausgibt, muss nicht nur das Zitat melden, sondern auch viele weitere Informationen geben. Wie viele Studenten sitzen im zugehörigen Kurs, wie ist die ISBN-Nummer des zitierten Schriftstücks und das Highlight: Ist der Text im Internet schon frei zugänglich zu finden? Dann darf er nämlich überhaupt nicht im Skript auftauchen. Bei Verstoß gegen diese Regelungen haftet der Verfasser, der folglich zuzüglich zu seiner Schreibarbeit gleich noch eine ausgiebige Internetrecherche planen kann, will er sich nicht strafbar machen.

Es handelt sich also um einen ganzen Berg  an Recherche und Bürokratie. Kein Wunder, dass in einem Pilotprojekt der Uni Osnabrück im Jahr 2014 über 40 Prozent der Lehrenden einfach deutlich weniger Material für die Studierenden ins Intranet stellten. Für ein Semester wurde dort die geplante einzelne Meldung von Texten an der gesamten Uni erprobt. Im Abschlussbericht wird einem ganz warm ums Herz, wenn man die Einschätzungen der Hochschulangestellten zum Verfahren liest: Von „Der Aufwand ist viel zu hoch, der Nutzen nicht klar, und die zeitliche Mehrbelastung geht auf Kosten der vielzitierten ‚guten Lehre‘“ über „Völliger Unsinn, solange es nicht auf eine technisch höchst raffinierte Methode funktioniert. Würde dazu führen, dass alle wieder Kopierordner aufstellen. Die Copy-Shops würden sich freuen!“ bis zu „LASSEN SIE DIESEN UNFUG!!!!!“ gestaltet sich die Lektüre der anonymen Kommentare immerhin sehr unterhaltsam. Im Endeffekt wird die Durchsetzung aber für alle an der Uni heißen, dass weniger bis keine Inhalte mehr ins Internet gestellt werden, wer keinen Drucker in seinem Zimmer besitzt, wird sich in immer länger werdende Schlangen vor der DocuLounge einreihen, nach jeder Veranstaltung in der Fachbib mit dem mehr als ein paar Seiten starken Semesterapparat die Kopierer belegen oder brav zu jeder ersten Vorlesung zehn Euro für 200 schwer entzifferbare, schwarz-weiße Power-PointFolien hinblättern.

Warum wir davon alle noch nichts gemerkt haben? Im Dezember letzten Jahres hat sich die Kultusministerkonferenz in Torschlusspanik mit der VG Wort darauf geeinigt, dass die alte Regelung noch ein Jahr länger aufrecht erhalten und durch „eine angemessene Pauschalzahlung“ vergütet wird, bevor im nächsten Jahr das Einzelmeldungssystem offiziell gültig wird. Was dann passiert? Sicher ist nichts, aber wenn das System so bleibt wie geplant, werden wir wohl alle wieder deutlich mehr Papier mit uns herumschleppen.

Autor*in

Eva ist seit November 2015 in der Redaktion. Sie studiert Biochemie und Molekularbiologie an der CAU. Als Ressortleiterin hat sie sich bis Anfang 2019 um den Hochschulteil der Zeitung gekümmert, mittlerweile schlägt ihr Herz für Online.

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