Das Studium soll für viele die Zeit ihres Lebens sein. Ausschlafen, Partys feiern, mit Freunden die Zeit genießen, einfach nochmal so richtig ausruhen, bevor das Arbeitsleben losgeht, und nebenbei studieren. Bei sieben Seminaren die Woche bleibt dafür ja reichlich Zeit – jedenfalls in der Theorie. Denn dann kommen der Nebenjob, die Praktika für das Studium, die Extraaufgaben, das Vor- und Nachbereiten der Seminare und Vorlesungen, Prüfungen und zu guter Letzt: die Regelstudienzeit. 

Der Bologna-Prozess von 1999 hat das deutsche Studiensystem ordentlich durchgerüttelt. Eine Vereinheitlichung der Studiengänge sowie des Bewertungssystems und somit vergleichbare Abschlüsse klingen im ersten Moment nach keiner schlechten Idee. Allerdings kamen damit auch durchgetaktete Studiengänge, wenig Entscheidungsfreiheit in der Veranstaltungswahl und ein Richtwert, wann die jeweiligen Veranstaltungen belegt und absolviert werden sollen, damit das Studium abgeschlossen werden kann. Oder in einfacher Form: Die Regelstudienzeit war geboren.  

Von Freunden meiner Eltern weiß ich, dass Studieren damals gerne sechs Jahre oder länger gedauert hat, einfach, weil sich Zeit gelassen und diese auch genossen wurde. Heute steht bei jedem Bachelor- oder Master-Studiengang, wie lange es theoretisch dauern sollte, bis der jeweilige Abschluss erreicht ist. Es handelt sich hierbei um einen Richtwert, kein Muss, dennoch ist da irgendwie der Druck, diese Zeit einzuhalten. So wie bei einer Ausbildung gesagt wird, dass es drei Jahre dauert, diese abzuschließen, so wurde diese Aussage nun auch auf Studiengänge übertragen – jedenfalls von der Gesellschaft. Wer in einer Berufsausbildung ein Jahr länger braucht, wird schnell als faul abgestempelt, weil er*sie sich wohl nicht genug bemüht hat, um die Prüfungen zu bestehen: Gleiches gilt mittlerweile für das Studium. Dabei war es vor ein paar Jahren noch normal, sich Zeit zu lassen und auch heute sagen viele Dozierende, dass Studieren Zeit braucht. Schwierig nur, wenn einem immer jemand auf der Schulter sitzt, der freundlich „Sechs Semester Regelstudienzeit, vergiss es nicht“ ins Ohr flüstert. 

Doch der Druck im Studium kommt nicht allein von der Gesellschaft. Wer sich Studienpläne anschaut, wird schnell feststellen, dass viele Studiengänge vollgepackt sind und nebenbei gerade einmal Zeit für einen Nebenjob bleibt, den mittlerweile viele Studierende ausüben müssen (auch hier ein Kommentar der Erwachsenengeneration, dass dies damals nicht notwendig war). Freizeit, Freund*innen und Familie bleiben in einem intensiven Studium oft auf der Strecke, weil am Himmel immer diese Zahl schwebt, wie lange das Studium noch zu dauern hat. Spannend wird es dann, wenn es mehr Studierende eines Fachs gibt als Plätze für Seminare. Dass eine Veranstaltung ein oder zwei Semester später absolviert werden muss, liegt nicht immer an den Studierenden, sondern oft daran, überhaupt einen Platz zu bekommen. Und schon rückt das Einhalten der Regelstudienzeit in weite Ferne. 

Abgesehen von elterlichen Nachfragen und gesellschaftlichem Druck gibt es auch noch das Studentenwerk, welches vielen Studierenden im Nacken sitzt. Wer BAföG bezieht, ist verpflichtet, nach vier Semestern einen Leistungsnachweis zu erbringen, um zu beweisen, dass das Studium in Regelstudienzeit abgeschlossen werden kann. Wer diesen nicht erbringt, kann auch nicht mehr darauf hoffen, weiterhin BAföG zu bekommen. Gleiches gilt für die Studierenden, die durch eine verpatzte Prüfung oder eine Veranstaltung, für die sie keinen Platz bekommen haben, ihr Studium verlängern müssen. Einen Antrag auf Weiterförderung stellen, ist weiterhin eine Möglichkeit – doch ob dieser auch bewilligt wird, ist eine andere Frage. Und so tanzt auch hier jemand auf der Schulter, der freudig „Regelstudienzeit! Don’t forget!” ins Ohr ruft. 

Der Bologna-Prozess hat viele gute Dinge eingeführt. Vergleichbare Abschlüsse und ein gleiches Bewertungssystem kommen all jenen zu Gute, die nicht in der Stadt der Universität oder gar in diesem Land bleiben wollen, aber dennoch führt diese Umstellung zu zunehmendem Druck im Studium. Sowohl die Eltern als auch die restliche Familie fragen ständig, wann das Studium denn abgeschlossen sei, die Gesellschaft beharrt auf der Regelstudienzeit und all jene Studierenden, die darüber hinaus Zeit benötigen, werden schief von der Seite angeschaut. Wer mit Leistungsdruck zu kämpfen hat, sollte sich bewusst machen, dass all das kein Muss ist, sondern nur ein Richtwert, auch wenn die Allgemeinheit dies oft anders auffasst. Mit dem Druck im Hinterkopf gelingen Prüfungen nicht besser und das Studium wird auch nicht zu DER Zeit des Lebens. Es ist Zeit, das wieder zu ändern und zu versuchen, diesen Druck zu verringern, um diese eigentlich schönen Jahre genießen zu können. 

Autor*in

Rebecca ist 27 Jahre alt, studiert Deutsch und Philosophie im Profil Fachergänzung und ist seit Oktober 2018 beim ALBRECHT. Sie schreibt Artikel für alle Ressorts, vorzugsweise welche, in denen sie sich aufregen kann. Von Januar 2019 bis Januar 2022 leitete sie das Lektorat.

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