Geschichten aus der Informatik über die Ungleichbehandlung von Studentinnen

In der letzten Ausgabe haben wir mit einigen Studierenden gesprochen, die uns von ihren negativen Erfahrungen mit Dozierenden und Professor:innen erzählt haben. Darunter war auch eine Informatik-Studentin, die berichtete, dass ein Professor immer dann den Hörsaal zum Applaudieren bringen würde, wenn eine Frau sich mündlich an der Lehrveranstaltung beteiligt. Als wir diese Geschichte anderen Frauen aus dem Studiengang erzählten, nickten die meisten wissend. Das Problem ist bekannt.

Uns haben daraufhin noch mehr Berichte erreicht, die ein ähnliches Bild von der Informatik an der CAU zeichnen: Frauen müssen in diesem Studium nicht nur stark sein, um die Klausuren zu bestehen, sondern vor allem auch, um während des Studiums nicht in diesem von Männern dominierten Umfeld unterzugehen.  

Sexuelle Belästigung in den Seminaren 

Eine dieser Geschichten: Am 6. November 2019 schreibt jemand in eine der inoffiziellen Informatik-WhatsApp-Gruppen, dass eine Person des Öfteren während der Vorlesungen masturbiert und dass diese Person damit doch bitte aufhören solle. Das ist jedoch kein Einzelfall, wenn es um (sexuelle) Belästigung geht.

In demselben Jahrgang soll es auch einen anderen Mann geben, der als ‚Hentai-Typ’ bekannt ist, weil er sich mitten in der Vorlesung pornografische Mangas und Videos angeschaut hat. Dass sich die Studierenden und gerade Frauen durch ein solches Verhalten unwohl fühlen könnten, scheint ihnen nicht bewusst zu sein, oder ihnen genau deswegen zu gefallen.  

Unglaublich ist auch ein Vorfall während eines Online-Seminars. Viele von uns haben an sich schon keine Lust, ihre Kamera anzuschalten und lassen lieber ihren Bildschirm schwarz, damit sie nebenher unbemerkt essen oder was anderes machen können. Eine Studentin der Informatik hat aber noch einen Grund mehr bekommen, ihr Gesicht nicht zu zeigen – als sie ihre Kamera einschaltete, wurden ihr nach dem Seminar gleich von vier Kommilitonen Dickpics geschickt. Glücklicherweise waren diese Studenten ‚schlau‘ genug, die Bilder über ihre Stu-Mail zu versenden, sodass die Rückverfolgung leicht gemacht wurde und am Ende auch alle Vier exmatrikuliert wurden.  

Vergleich und Frustration 

„Die Dudes in der Informatik sind schon eine Spezies für sich. Aber genauso sind es die Mädels. Denn anders kommt man damit auch nicht klar”, erzählt Karoline Lieske. Sie ist Mitglied der Informatik-Fachschaft und hat uns zusammen mit den drei weiteren Fachschaftsvertreterinnen, Theepa Kalanathan, Susanne Hein und Jana Krambeck getroffen, um über in dem Studiengang herrschenden Sexismus zu sprechen. „Klar denke ich mir, wenn jemand in der Vorlesung Hentai guckt: Muss das sein? Aber ich denke dann auch: Ich habe da schon krassere Dinge aus meinem Freundeskreis gehört. Wenn ich das in einem Studiengang erwarte, dann in der Informatik.“ 

Zusammen erzählen uns die Frauen von den Schwierigkeiten der Studentinnen während des Studiums, die oft auch nur im Inneren stattfinden. „Als Frau hat man auch häufig das Gefühl, dass man hier nicht hingehört”, meint Theepa. „Die meisten haben nämlich schon während der Schulzeit angefangen, zu programmieren. Wenn du dich aber nicht nach Schulschluss damit beschäftigt hast, ist dein erster Berührungspunkt mit der Informatik erst zum Studienstart. Alle anderen sind super weit und man selbst fragt sich dreimal die Woche: Warum studiere ich das eigentlich? Und es ist schwierig, Gleichgesinnte zu finden, weil eben der Frauenanteil in der Informatik so gering ist.”

Die Studentinnen der Informatik-Fachschaft Jana Krambeck, Susanne Hein
und Theepa Kalanathan (v.li.) haben selbst schon unangenehme Erfahrungen gemacht /Bild: Eileen Linke

Dieses Problem ist natürlich nicht allein den Frauen vorbehalten. Aber Karoline erklärt, warum es für Frauen trotzdem schwieriger ist: „Ich hatte von der siebten bis zur zwölften Klasse Robotik in der Schule und programmiert und trotzdem fühle ich mich auch oft fehl am Platz. Frauen neigen eher zum Imposter-Syndrom, einfach weil es auch anders vom gesellschaftlichen Umfeld vorgelebt wird. Das ist ein deutlich tiefgreifenderes Problem.“ Das Imposter-Syndrom beschreibt ein Phänomen, bei dem eine Person ständig von Selbstzweifeln geplagt ist und ihre Leistungen nicht als solche anerkennen kann, weil sie das Gefühl hat, sie nicht verdient zu haben.

„Ich lerne immer ganz viele Mädchen aus den ersten Semestern kennen, aber die meisten verschwinden leider wieder. Und das still und leise. Wenn ich sie dann zufällig treffe und frage, warum sie nicht mehr zu den Vorlesungen kommen, dann antworten sie, dass das Studium nichts für sie sei. Sie geben mehr oder weniger leise auf, während Jungs eher nach Hilfe schreien und sich diese Hilfe dann auch besorgen”, ergänzt Susanne und Theepa bestätigt: „Man hat das Gefühl, sich als Frau immer mehr beweisen zu müssen. Frauen haben eher Angst, um Hilfe zu bitten, weil sie dann als schwach abgestempelt werden.“ 

Fehlgeleiteter Support 

Verstärkt wird dieses Gefühl auch von einigen Dozierenden. Viele von ihnen machen den Frauen Druck. Die Fachschaftsvertreterinnen sind sich einig, dass die Dozierenden es in den meisten Fällen nur gut meinen und Frauen eigentlich zu mehr Mitarbeit motivieren wollen, dabei aber über das Ziel hinausschießen würden. „Im letzten Semester hatten wir einen Dozenten, der zwei Fragen gestellt hat. Eine sollte ein Mann und die andere eine Frau beantworten. Dann sitzt du da, mit 90 Männern und fünf Frauen. Und man fühlt sich gezwungen, sich dann zu melden”, erzählt Jana. „In so einer Situation meldest du dich erst recht nicht. Er wollte uns wahrscheinlich zeigen, dass wir das auch beantworten können, aber man fühlt sich vorgeführt.“  

Karoline hatte nach einer falsch beantworteten Frage auch schon sinngemäß von einem Dozenten zu hören bekommen, dass es als Frau schon in Ordnung sei, auch mal Fehler zu machen. „Wahrscheinlich wollte er mich nur motivieren, mich weiterhin zu melden, bei mir kam aber an, dass er mich anders behandelt, weil ich eine Frau bin. Das sollte aber scheißegal sein, ich sollte weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Auch das Klatschen passiert aus einer guten Intention heraus, aber der Herr, der dahintersteht, versteht nicht ganz, dass das komplett kontraproduktiv ist und lässt sich dann auch nicht von Frauen sagen, wie scheiße das ist. Das haben wir auch schon probiert, auch über die Gleichstellungsbeauftragte.“ 

Selbst wenn es sich bei diesen Vorfällen auch mal nur um ‚Kleinigkeiten‘ handelt, es muss sich etwas verändern, damit die Informatik nicht nur in Zukunft attraktiver für Frauen wird, sondern damit sich die Studentinnen auch heute schon wohl fühlen. Einiges muss von Seiten der Studierenden geschehen, aber auch die Universität muss ihren Teil dazu beitragen. Es gibt einen Gleichstellungsplan für die Technische Fakultät, der noch ausbaufähig ist. Einrichtungen wie das Frauencafé oder auch der Frauenmarathon können wiederum für ein Empowerment der Studentinnen sorgen.

Bei dem Marathon handelt es sich um eine Vortragsreihe am Weltfrauentag, der nächstes Jahr zum zweiten Mal an der CAU stattfinden soll. Susanne hat schon den letzten Marathon begeistert verfolgt und freut sich nun auf den nächsten. „Ich glaube, dass diese Diskriminierung auch oft unterbewusst passiert. Wenn wir das den Leuten aber bewusst machen können, dann sind wir auf einem guten Weg. Das Frauencafé ist ein Riesenschritt für uns selbst und der Frauenmarathon ist ein Riesenschritt, um uns nach außen zu tragen.“ 

Autor*in

Nele studiert seit Wintersemester 2019/20 Politikwissenschaften und Deutsch an der CAU. Im Mai 2020 hat sie als Redakteurin und im Lektorat-Team beim ALBRECHT angefangen. Sie war bis zum SoSe 23 zwei Jahre lang Gesellschaft-Ressort-Leitung.

Autor*in

Eileen studiert Soziologie/Philosophie und war von Januar 2022 bis Anfang 2024 Chefredakteurin. Sie leitete von Februar 2019 bis Anfang 2020 das Ressort für Gesellschaft. Danach war sie stellvertretende Chefredakteurin. Außerdem werden viele der Illustrationen im Albrecht von ihr gezeichnet.

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