Hochvögeln kann sich heutzutage ja jeder, aber wer hat schon mal davon gehört, dass sich jemand nach oben onaniert hat? Der Einzige, auf den das zutrifft, dürfte vermutlich der Amerikaner Chester Brown sein: Dem Comiczeichner gelang der Durchbruch nämlich mit der autobiographischen Erzählung „Die Playboy Stories“, in der er die Entdeckung seines Körpers und die damit einhergehenden Schuldgefühle schilderte. Gemäß dem Motto „Chester bleib bei deinen Leisten“ ist Brown seither dem Blick auf die eigenen Genitalien treu geblieben, wie sein neues Werk „Ich bezahle für Sex – Aufzeichnungen eines Freiers“ beweist.

Wie der Titel bereits suggeriert, thematisiert er darin detailliert seine Erfahrungen mit käuflicher Liebe und rekapituliert den ersten Bordellbesuch ebenso, wie den wiederholten Sex mit Prostituierten. Überraschend ist dabei die absurde Komik, die diesen Schilderungen mitunter zueigen ist, etwa wenn Brown zu dem Schluss kommt, da er kein Auto hat, könne er auch den Straßenstrich nicht besuchen oder wenn er sich im Hotelzimmer seiner Gespielin davon versichert, dass sich auch niemand unter ihrem Bett versteckt. Allerdings wird schnell deutlich, dass es „Ich bezahle für Sex“ im Grunde nicht um pointierte Betrachtungen geht, sondern um das Vermitteln einer Botschaft. Und damit beginnen seine Probleme.

Die Enttabuisierung der Prostitution ist es, die Brown sich mit diesem Comic auf die Fahne geschrieben hat, ebenso wie er die Relativierung der Idee einer romantischen Liebe anstrebt. Dazu erläutert er ausführlich seine persönliche Ablehnung des Konzepts einer Partnerschaft und kommt zu dem Fazit, dass bezahlter Sex ein adäquates Mittel zur Triebbefriedigung darstelle. Dabei sieht Brown nicht nur über negative Begleiterscheinungen, wie etwa Zwangsprostitution, großzügig hinweg, Bordelle erscheinen bei ihm auch als Abenteuerspielplätze für Erwachsene, die von Nutten mit goldenen Herzen bevölkert werden. Was er damit erreicht, ist keine Enttabuisierung sondern eine Verklärung, die hart an der bisher unerreichten „Pretty Woman“-Marke kratzt.

Obwohl „Ich bezahle für Sex“ somit nicht über das horizontale Gewerbe aufklärt, sondern vielmehr kräftig die Werbetrommel dafür rührt, ist seine ethische Fragwürdigkeit noch nicht das Hauptproblem des Comics – viel schwerer wiegt die beinahe pathologische Ich-Fixierung seines Erzählers. Mag die proklamierte Absicht noch so fragwürdig sein, ist sie doch wesentlich interessanter, als die Art und Weise ihrer Erörterung. Browns Ausführungen erschöpfen sich über weite Strecken in selbstverliebtem Schwafeln, dem es weniger um das Aufzeigen von Zuständen, als dem Ausbreiten der eigenen Befindlichkeit geht und um eine ironiefreie Selbstinszenierung als leidender Künstler. Diese findet ihren Höhepunkt, wenn Brown sich als verarmten Lohnsklaven generiert, der in einem winzigen Zimmer mit karger Pritsche, leerem Zeichentisch und einem Regal aus Ziegelsteinen haust. Fehlt eigentlich nur noch, dass er von seinem Auftraggeber mit einer halben Tasse Reis täglich abgespeist wird – der gängigen Entlohnung in asiatischen Ausbeuterbetrieben.

Gemessen an der letztendlichen Qualität seiner Arbeit würde dies durchaus angemessen, wenn nicht sogar großzügig erscheinen. Selbst gemessen an den Nabelschauen, die im autobiographischen Comic gegenwärtig üblich sind, ist „Ich bezahle für Sex“ ein ausgeartetes Extrem, angesichts dessen man Brown raten möchte, doch bitte wieder zum Onanieren zurückzufinden. Selbstbefriedigung ist schließlich die perfekte Beschäftigung für jemanden, der zwanghaft auf sich selbst fixiert ist.

Chester Brown: Ich bezahle für Sex. Walde + Graf. 336 Seiten (s/w), Hardcover. 22,95 Euro.

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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