Warum Schauspiel nicht so divers ist, wie es sein könnte 

Wenn nichtbehinderte Schauspieler:innen Menschen mit Behinderung spielen, wird es als ‘Cripping Up’ bezeichnet. Bisher stand dieses Problem nicht im Mittelpunkt der Diskussion um Diskriminierung im Schauspiel, mehr und mehr rückt es jedoch in den Vordergrund. Zu Recht, denn Darsteller:innen mit Behinderung sind unterrepräsentiert.  

Nothing About Us Without Us 

Obwohl fast jede:r Zehnte in Deutschland mit einer Behinderung lebt, gibt es kaum Darsteller:innen mit Behinderung in der Schauspielkunst. Es ist ein Problem, wenn Schauspieler:innen mit Behinderung weniger Chancen haben, an eine Rolle zu kommen. Es ist ein Problem, wenn die Überzeugung sich festigt, dass du keinen Oscar gewinnen kannst, wenn du behindert bist. Denn Kultur, die für alle da sein sollte, schließt damit eine Personengruppe aus. Wenn behinderte Schauspieler:innen talentiert sind, muss es für sie möglich sein, gute Rollen, vor allem auch Hauptrollen zu bekommen. Auch in Filmen, in denen es nicht primär um die Behinderung geht. Denn wenn ein:e Schauspieler:in mit Behinderung eine Hauptrolle spielt, ist das Leitmotiv oft die Behinderung selbst. Diese Reduzierung muss nicht sein, denn behinderte Menschen haben mehr zu erzählen als nur von ihrer Behinderung. 

Reproduktion von inakkuraten Bildern 

Die fehlende Repräsentation und Partizipation von Darsteller:innen mit Behinderung in der Filmindustrie verleitet dazu, ein inakkurates Bild von Behinderungen darzustellen. Lediglich eine Sichtweise von außen wird so gezeigt. Lebensrealitäten werden sich angeeignet, Stereotype reproduziert. Behinderungen werden romantisiert und entfremdet. Die kleinen Details wie alltägliche Muster und Bewegungen, die eine Rolle erst lebendig werden lassen, fehlen. Schlecht gemacht kann das lächerlich wirken. Denn ein großes Stück Authentizität kann damit verloren gehen.  

Dabei ist es von zentraler Bedeutung, über Medien wie Film und Fernsehen, Stereotype abzubauen und nicht zusätzlich zu verklären, denn die meisten Menschen haben nur dort Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung. 

Aber was ist die Lösung? 

Sollten also Rollen, die eine Behinderung beinhalten, nur von Schauspieler:innen besetzt werden, die eben diese Behinderung haben? Unter Umständen kann es am Anfang des Projektes schwierig sein, geeignete Darsteller:innen für die entsprechende Rolle zu finden. Oft darf der Arbeitgeber nicht nach physischen und psychischen Einschränkungen fragen. Zusätzlich haben es Menschen mit Behinderung schwerer, in den Schauspielberuf einzusteigen und sich durchzusetzen.  

Auch die unromantischen Argumente der Betreuungsintensität, der Kosten und der benötigten Infrastruktur haben eine Daseinsberechtigung in der Diskussion. Denn was, wenn die talentierte Schauspielerin mit Multipler Sklerose alle halbe Stunde auf Toilette muss? All das sind Fragen, die geklärt werden müssen. Es darf aber keine Ausrede sein, um sich das Casting ’leicht’ zu machen, weil es Fragen sind, die geklärt werden können. Denn es gibt talentierte Schauspieler:innen mit Behinderung, die für die verschiedensten Rollen prädestiniert sind. Wenn eine Produktion sich aber nicht bemüht, Behinderungen zu berücksichtigen, sollte sie nicht für ihre Darstellung gelobt werden. 

Es kann in manchen Fällen Vorteile haben, entsprechende Rollen mit Schauspieler:innen ohne Behinderung zu besetzen. Was das Storytelling betrifft, könnte so der Verlauf einer fortschreitenden Krankheit dargestellt werden, wie es in der Verfilmung des Lebens Steven Hawkings Die Entdeckung der Unendlichkeit aus dem Jahr 2014 der Fall war. Indirekt kann über diese Darstellungsform aufgeklärt werden. 

Das Erzählen authentischer Geschichten 

Mit Hilfe der Expertise von fachkundigen Berater:innen mit Behinderung, intensiver Auseinandersetzung mit der Rolle durch den:die Darsteller:in und vor allem durch gut geschriebene Charaktere in authentischen Geschichten kann es Schauspieler:innen möglich werden, in andere Rollen zu schlüpfen und das Gefühl der Szene über die Leinwand oder die Bühne hinweg zum Publikum zu transportieren. Das gilt für alle Schauspieler:innnen – mit und ohne Behinderung. Behinderungen sollten so dargestellt werden, wie sie sind: Als ein Teil der gesellschaftlichen Vielfalt. 

Autor*in

Mirjam ist seit Mai 2021 Teil der ALBRECHT-Redaktion und mittlerweile mit ihrem Biologie-Bachelor so gut wie fertig. Anfangs nur im Lektorat-Team tätig, hat sie dann allmählich begonnen selbst Artikel zu schreiben und ist jetzt seit dem SoSe 22 die Leitung des Kulturressorts.

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