Da war sie endlich. Die Exmatrikulation. Was für andere Student:innen das Platzen ihrer Lebensträume bedeuten würde, war für mich eine viel zu spät eintreffende Erlösung. Hätte ich bloß den Mut gehabt, früher aktiv zu werden.

2006 machte ich mein Abitur, meine Noten waren gut, in manchen für mich uninteressanten Fächern war ich etwas faul. Ich mochte die Schule. Ein gerader Weg, auf dem ich mich lediglich zwischen ein paar Hauptfächern entscheiden musste. Ich wollte etwas machen, das möglichst alle Naturwissenschaften miteinander vereinte. Ein-Fach-Chemie war mir zu chemisch. Biologie war mir zu wenig Chemie. So landete ich bei der Studienberatung und begann kurz darauf mein Pharmazie-Studium.

Der schnelle Weg bergab

Nach zu vielen Partys und Lernminimalismus durfte ich das dritte Semester noch einmal wiederholen, was schnell an meiner Stimmung und meinem Ego zu kratzen begann. Gut, ich hatte mich jetzt auch nicht grade verausgabt. Es zeigte sich immer mehr: Pharmazie war nicht mein Traum. Ich hatte das Studium begonnen, weil ich nicht wusste, was ich sonst machen sollte. Und nach dem Abitur schien es ein logischer Schritt zu sein. Immer noch fand ich die Naturwissenschaften hochgradig interessant, doch stellte sich bald heraus, dass meine größte Freude am Studium längst der Zusammenschluss an guten Freund:innen geworden war.

Ich hätte zu dieser Zeit längst über einen Studienfachwechsel nachdenken sollen. Und eigentlich hatte ich das auch. Doch ich hatte mit Pharmazie begonnen. Bisher lief das Leben doch auch immer geradlinig und alles klappte irgendwie. Einfach so abbrechen? Das kam nicht in Frage. Ich versuchte, den Gedanken zu verdrängen. Die Stimmung wurde schlechter: Es machte sich eine innere Verzweiflung breit. Der Druck der Erwartung von allen Seiten nahm zu und mit jedem Semester ging es mir schlechter. Immer öfter dachte ich darüber nach, alles hinzuschmeißen, kehrte aber wieder zu dem Gedanken zurück, dass dies keine Möglichkeit war. Aus heutiger Sicht ein großer Fehler.

Von Dunkelheit umgeben

Nach drei Jahren war es soweit, meine Psyche war erschöpft. Die Gedanken wurden jede Nacht düsterer und immer öfter bekam ich Magenkrämpfe, sodass ich vor Klausuren meistens kaum noch vom Klo kam. Die Ergebnisse, die ich erzielte, wurden trotz vermeintlichen Mehraufwands mit jeder schriftlichen Leistungskontrolle schlechter. Ich wollte und konnte nicht mehr. Doch ich hatte nicht den Mut aufzuhören. Es kam die Erlösung in Form einer Biologie-Klausur. Als ich den letzten Versuch auch nicht bestanden hatte, war es klar: Ich hatte mein Studium nicht geschafft. Eine plötzliche Erleichterung machte sich breit und ich fühlte mich frei.

Als der Exmatrikulationsbescheid per Post bei mir einging, bekam ich noch einmal Schweißausbrüche. Ich wurde auf die Möglichkeit eines Härtefallantrages hingewiesen. Ich zog dies sogar kurz in Erwägung, doch es gab für mich kein Zurück.

Da das nächste Semester vor der Tür stand, schrieb ich mich in der Chemie ein. Irgendetwas musste ich ja machen. Schon in der ersten Vorlesung wurde deutlich, dass ich hier nicht sein wollte. Ich bekam eine Panikattacke. So konnte es nicht weitergehen. Aus Scham meinen Eltern gegenüber erwähnte ich nicht, dass ich den Chemie-Hörsaal nur einmal betreten hatte. Die Enttäuschung über den gescheiterten Lebenswegabschnitt begleitete mich auf Schritt und Tritt. Ich fühlte mich wie ein Versager, täglich gejagt von Selbstzweifeln und Schamgefühlen. Anderthalb Jahre, inklusive eines guten Therapeuten, brauchte ich, um mich zu erholen. Ich orientierte mich um. Suchte etwas, das mich innerlich befriedigte. Ich machte wieder Praktika, schnupperte in Berufe rein. Schließlich entdeckte ich das Erziehertum für mich.

Langsam geht’s bergauf

Warum erzähle ich heute aus meinem Leben? Warum gewähre ich diesen ungeschönten Blick in meine Seele? Weil es vielleicht auch unter den Leser:innen dieses Artikels jemanden gibt, der:dem es ähnlich geht. Und der:dem es guttun würde, von einem ähnlichen Schicksal wie dem meinen zu lesen. Der Bruch mit dem Studium und die Besinnung auf mein eigenes Glück war auf jeden Fall das Beste, was mir passiert ist. Es hat viele Jahre gedauert, doch nun kann ich wieder Apotheken betreten, ohne dass ich mich dabei für meine vermeintliche Niederlage schäme. Es war nicht immer einfach, da bei fast jedem Treffen und jeder Feier früher oder später das Thema Pharmazie aufgegriffen wurde, denn auch heute sind viele meiner engsten Freund:innen aus Studientagen. Aber auch das wurde immer entspannter. 15 Jahre und ein Baby später sieht die Welt auf einmal sehr sonnig aus.

Autor*in

Hier veröffentlicht DER ALBRECHT seine Gastartikel – eingesandt von Studierenden, Professor*innen und Leser*innen der Zeitung.

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