Über den erwartungsgeladenen Druck zu Beginn eines Studiums  

Wer kennt sie nicht? Die Pinnwand am Schreibtisch, beim Bett oder in der Küche. Manchmal aus Kork, manchmal aus Filz oder manchmal ein Geflecht aus Metall. Eine Sammlung der scheinbar wichtigsten Zettel, die das Leben hergibt. Und dazwischen – Bilder. Bilder von den bedeutungsvollsten Augenblicken, den emotionalsten Begegnungen und den schönsten Orten. Zu Beginn des Studiums erwartet diese Pinnwand ein neuer Lebensabschnitt: Die Erwartung darauf, dass sie bald die aufregendsten Momente des Studiums trägt. 

Diese Pinnwand findet vor dem Semesterstart den Weg in die erste eigene Wohnung oder das erste eigene WG-Zimmer. Aber was, wenn nicht? Was, wenn die Pinnwand am selben Ort bleibt? Dort, wo sie schon seit Jahren im Kinderzimmer hängt? Es gilt doch, sich unabhängig zu machen, sich neu zu entwickeln, die schönsten Erinnerungen zu sammeln – während sich das eigene Zuhause nicht verändert, sondern genau gleichbleibt? Jede:r bestimmt den eigenen Weg im Studium, aber auch, was dies umgibt. Manchmal ist das Geld nicht da, um auszuziehen. Manchmal ist das Heimweh größer als die Sehnsucht. Egal, was der Grund ist: Es ist okay, zum Studieren nicht von zuhause auszuziehen. Es ist okay, sich mulmig zu fühlen, in den eigenen vier Wänden zu leben. Es ist okay, Angst davor zu haben, sich ein neues Zuhause zu schaffen. 

Die Pinnwand hat nicht nur die Aufgabe des Sammelns von Erinnerungen. Manchmal steht sie für alle Träume, die den Weg des Lebens deutlich werden lassen. Aber was, wenn nicht? Was, wenn die Zukunft nicht vor Visionen leuchtet? Manchmal ist dort nur ein kleines Dämmerlicht, das den Weg zu scheinen vermag und das zeigt, welche Person hinter einem steckt, abseits der Schule. Doch dieses Dämmerlicht versteckt, dass der Weg manchmal ein Trampelpfad ist, entlang rutschiger Pfützen und glatter Steine. Und vor allem, dass der Weg nicht immer geradeaus geht. Es ist okay, nicht zu den Traumtänzer:innen zu gehören. Es ist okay, sich nicht hundertprozentig sicher zu sein, dass das gewählte Studium das Richtige ist. Es ist okay, wenn die Begeisterung für das gewählte Studium ein kleiner Funken ist, der noch kein Feuer entflammt. Das macht es noch lange nicht zum falschen Weg. 

Die Pinnwand bleibt nicht allein. An sie werden Bilder mit engen Freund:innen gepinnt, mit flüchtigen Bekanntschaften oder mit wunderbaren Menschen, die die Zeit des Studiums und darüber hinaus prägen. Aber was, wenn nicht? Was, wenn sich der Schritt, Freund:innen zu finden, als schwerer offenbart als gedacht? Die Universität ist riesengroß, eine Flut von Menschen, von deren Wellen doch jede:r mitgenommen werden müsste. Doch manchmal kann das Studium auch einsam sein. Manchmal sind alle Gesichter in einem Seminar unbekannt. Manchmal ist die Wahl, in der Vorlesung entweder allein zu sitzen oder doch wieder jemand Neuen anzusprechen, die schwierigste Entscheidung des Tages. Manchmal begleiten einen viele Lieblingsmenschen durch das Studium, manchmal nur ein paar. Es ist okay, dass die Vorstellung, allein in der Vorlesung zu sitzen, Angst bereitet. Es ist okay, damit zu kämpfen, Freundschaften im Studium zu schließen. Es ist okay, nicht viele Freund:innen im Studium zu finden. 

Die Pinnwand sprüht nur vor Ereignissen: Eindrücke von atemberaubenden Konzerten, entspannten Kneipenabenden, tollen Partys. Aber was, wenn nicht? Was, wenn es sich manchmal besser anfühlt, zuhause zu bleiben und sich in einen Haufen Decken und Kissen zu kuscheln, als irgendwo hinzugehen? Wenn sich das große Getümmel einfach zu groß anfühlt? Manchmal erscheint es zu viel, das nächste Ereignis zu bestreiten. Doch dann kommt dieses kleine, einnehmende Gefühl namens FOMO auf: ‘The Fear of Missing Out’. Damit wird der noch so schön erscheinende Filmabend begleitet von einem schlechten Gewissen. Doch es ist okay, auch mal nichts machen zu wollen. Es ist okay, nicht überall mitzumachen. Es ist okay, sich selbst Zeit zu geben (und zu nehmen). 

Die Pinnwand soll durch den Freudentaumel des Studiums geprägt werden. Aber was, wenn nicht? Was, wenn die Klausuren zu schwer, die Referate zu viel und die Tage zu lang sind? Es soll doch die beste Zeit des Lebens werden. Aber manchmal füllt sich die Pinnwand nur langsam mit Erinnerungen an Marmeladenglasmomente. Der Hoffnungsschimmer darauf bleibt bestehen, während der Zweifel Wurzeln schlägt und immer weiterwächst. Es ist okay, wenn die Pinnwand ihre leeren Flächen nur langsam verliert. Es ist okay, das Studium für die beste Zeit des Lebens zu halten, aber es ist auch okay, es nicht dafür zu halten.  

Die Pinnwand wächst mit uns, aber sie soll uns nicht in Erwartungen stürzen, die Überhand nehmen und uns lähmen. Sie soll uns an all das Schöne und Aufregende in unserem Leben erinnern. Sie folgt keiner Norm, sondern ist einzigartig. Sie ist das, was uns ausmacht. Das kann das Studium mit einbeziehen, muss es jedoch nicht. Sie wächst durch alles, was uns begeistert und was wir lieben. 

Autor*in

Theres studiert seit dem Wintersemester 2019/2020 Englisch und Deutsch an der CAU und ist seit dem Sommersemester 2020 als Redakteurin beim ALBRECHT tätig. Außerdem unterstützt sie das Team des Lektorats.

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