Wart ihr über diesen Anblick nicht auch schon verwundert? Da betritt man den Hörsaal und entdeckt Senioren, die mit ihren weißen Haaren auf den ersten Blick fehl am Platz wirken – „Was machen die denn hier? Sind die nicht zu alt?“ Man traut sich oft nicht nachzufragen, sei es aus Respekt vor dem Alter oder weil die „weiße Bank“ oft eine geschlossene Gruppe in den vorderen Sitzreihen ist. Schon Robert Schumann sagte: „Es ist des Lernens kein Ende.“ Deswegen hat man als Senior an der CAU drei unterschiedliche Möglichkeiten zu studieren.

Viel Erfahrung im Hörsaal. foto: ft
Viel Erfahrung im Hörsaal. foto: ft

 Die erste Möglichkeit ist ein sogenanntes Kontaktstudium, bei dem im Rahmen der „Allgemeinen wissenschaftlichen Bildungsangebote an der CAU“ zusätzlich organisierte sowie reguläre Veranstaltungen ohne Platzmangel besucht werden können. Das Angebot richtet sich an Erwachsene aller Altersgruppen mit oder ohne Abitur. Der Geschäftsführer von „Kontaktstudium nach Beruf und Familie an der CAU e.V.“ Michael Vesper sieht darin die Möglichkeit, sich auch ohne Studium wissenschaftlichen Fragen zu widmen: „Speziell organisierte Zusatzveranstaltungen zu relevanten Themen bieten den Teilnehmern dabei von Wissenschaftlern, zumeist Professoren im Ruhestand, vermitteltes Wissen in einem Rahmen, der in Darbietungsform und Atmosphäre zu den ausgewählten Stoffen passt. Für manche Hörer ist das eine Wiederaufnahme alter akademischer Erfahrungen mit zumeist neuen Inhalten und Themen. Es gibt aber auch Hörer, die zum ersten Mal eine Universität als Lernraum aktiv betreten.“

Im Wintersemester 2010/2011 nahmen 404 Teilnehmer das Angebot wahr (222 weibliche und 182 männliche). Insgesamt wurden 773 Veranstaltungen gebucht und die 80-prozentige Mehrheit davon war an der Philosophischen Fakultät. Historische Wissenschaften, Musik- und Literaturwissenschaften sowie Kunst- und Architekturgeschichte sind besonders beliebt. Eine der ältesten Studentinnen des Kontaktstudiums ist eine 92-jährige, die auch mal gerne eine Biochemie- Veranstaltung besucht.

Die zweite Möglichkeit ist das Studium als Gasthörer. Dafür muss man sich einschreiben und „auf Antrag mit Genehmigung der betreffenden Fakultät und mit Zustimmung des Dozenten für die betreffende Veranstaltung als Gasthörer aufgenommen werden“ (§ 22 der Immatrikulationsordnung der CAU). Letztes Semester gab es 114 Gasthörer (65 männliche und 49 weibliche). Die besuchten Veranstaltungen an der Philosophischen Fakultät dominierten hier auch mit über 80 Prozent. Der älteste Gasthörer ist 86 Jahre alt und der Großteil ist in den 30erund 40er-Jahren geboren.

Da gehts lang. foto: NOCH UNKLAR
Da gehts lang. foto: hw

Als Senior kann man auch ein reguläres Studium an der CAU aufnehmen. So auch der 65-jährige Jürgen Karlisch. Er machte 1966 das Abitur, wurde dann aber Berufsoffizier, doch der Gedanke, nochmal zu studieren, ging nie ganz verloren. Als er 2004 in Pension ging, nahm er zuerst ein Kontaktstudium auf und wurde dann Gasthörer. Seit 2008 studiert er Deutsch und Geschichte auf 2-Fach-Bachelor: „Ich möchte einfach noch nicht die Hände in den Schoß legen. Mein Ziel ist ganz klar der Bachelor-Abschluss. Es wäre für mich kein Weltuntergang ihn nicht zu schaffen, aber das Studieren macht mir großen Spaß.“

Er bezeichnet sich selbst nicht als den schnellsten Studenten und wird die Regelstudienzeit überschreiten. „Das Auswendiglernen fällt mir schon schwer, mehr Spaß macht es mir, zu Hause zu sitzen und Hausarbeiten zu schreiben.“ Berührungsängste haben die im Durchschnitt 40 Jahre jüngeren Kommilitonen seines Erachtens nicht: „Ich hatte noch nie den Eindruck, dass einer denkt ‚Was will der denn hier?‘. Alle begegnen mir mit Höflichkeit und Hilfsbereitschaft.“

Oft wird jedoch der Vorwurf geäußert, dass die älteren den jüngeren Studenten Plätze wegnehmen würden. Herr Vesper dazu: „Ob Zeit, Süddeutsche, Spiegel oder FAZ – die Berichterstattung ist stereotyp. Die üblichen Versatzstücke bestehen aus der Nennung der absoluten Hörerzahlen, einem Zitat eines eigentlich wohlmeinenden Hochschullehrers, der anmerkt, dass ‚es immer schlimmer wird‘, der Schilderung einiger skurriler Typen und einem Dreiklang der Klagen über Platzbesetzung, Besserwisserei und Schwerhörigkeit –‒ sie sind aber alle kein Altersphänomen.

Über die Nutzung von Lautsprecheranlagen freuen sich auch jüngere Studierende. Gegen die Vorliebe der Nutzung der ersten Reihen wurde um Verhaltensänderung gebeten. Wenn es an Ressourcen fehlt, liegt das nicht vielleicht in erster Linie an einer langen Tradition der Mangelausstattung und Überlastung, die von Politik und Gesellschaft billigend in Kauf genommen wird? Mit den älteren Hörern gewinnt die Universität Fürsprecher, die auch in die Gesellschaft wirken.“

Jürgen Karlisch sieht das ähnlich: „Ich möchte den jüngeren Studenten nichts wegnehmen und habe deswegen bewusst Fächer gewählt, in denen für mich noch ein Studienplatz vorhanden war.“ Muss das Studium im Alter gesellschaftlich abgelehnt werden, wenn ihm keine direkte berufliche Verwertungsabsicht folgt? Nein.

Herr Vesper dazu: „Eine Gesellschaft, die sich nur über Verwertbarkeit als höchstes Gut definiert, läuft Gefahr, ihre humane Lebendigkeit zu verlieren. Zu einer von Diversität und Heterogenität geprägten Gesellschaft gehören aber auch Menschen, denen es zugestanden wird, im hohen Alter ein Studium zu beginnen oder eine Promotion abzuschließen. Die älteren Menschen sollen also ein Studium aufnehmen und dennoch den Jüngeren da Platz machen, wo es um die Nutzung ausbildungsrelevanter Ressourcen geht. Wünschenswert wäre es, wenn über die Altersunterschiede hinweg für Bildung und Bildungsfinanzierung in Politik und Gesellschaft geworben würde.“

Wir sollten uns an allen Senioren-Studierenden ein Beispiel nehmen und sie als vollwertige Kommilitonen willkommen heißen. Wer weiß, vielleicht nehmen wir in 40 bis 50 Jahren ein weiteres Studium auf? Denn: „Es ist des Lernens kein Ende“.

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