In rund einem Monat beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland: Das Land freut sich auf hohe Einnahmen und begeisterte Gäste, viele ausländische Politiker und Russland-Gegner
sehen der WM mit Skepsis entgegen.
Seit Bekanntgabe Russlands als Gastgeber der WM im Jahre 2010 gab es zahlreiche Diskussionen, Kritik und Skandale, die immer wieder einen Schatten auf das Großereignis warfen, das am
14. Juni 2018 starten wird. Dies hat teils innenpolitische, teils außenpolitische Gründe.

Fehlende Finanzierung und falsche Planung
Im vergangenen Jahr veröffentlichte die NGO Human Rights Watch einen Report zu den Hungerlöhnen und schlechten Arbeitsbedingungen auf den Stadionbaustellen. Hier übte sie auch scharfe Kritik am Fußballweltverband FIFA: „Bauarbeiter in WM-Stadien sind Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt und die FIFA hat noch nicht gezeigt, dass sie diese Probleme effektiv überwachen, verhindern und beheben kann“, sagte Jane Buchanan, Direktorin für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch.
In elf Städten und zwölf Stadien wird die WM ausgetragen. Als Russland im Jahr 2010 die Austragungsrechte verliehen wurden, gab es gerade einmal zwei potenzielle WM-Stadien: Luschniki in Moskau und das Zentralstadion in Jekaterinburg; beide mussten für die WM allerdings umgebaut werden. Mittlerweile sind zwar alle weiteren Stadien fertig gestellt, doch andere Infrastrukturprojekte mussten, so das Handelsblatt, wegen schlechter Planung und fehlender Finanzierung auf Eis gelegt werden: Die Highspeed-Bahnstrecke von Moskau nach Kasan stehe noch in den Startlöchern und die neue Autobahn zwischen Moskau und St. Petersburg werde ebenfalls erst nach der Weltmeisterschaft fertig. Wegen der Bauverzögerung in Stadien wie zum Beispiel der gigantischen Arena in Samara verklagte nun das russische Sportministerium mehrere Baufirmen auf einen Schadensersatz von circa 43 Millionen Euro wegen Vertragsbruch.
In Bezug auf die Stadienplanung wurde eine Gruppe der Bevölkerung gleich in mehreren Städten vernachlässigt: die Studierenden. Auf dem Gelände der Moskauer
Universität soll eine Fanzone entstehen – eine mehrwöchige Party vor dem Fenster von 6 500 Studierenden in der Prüfungsphase. In anderen Städten sollten die Studierenden für die Dauer der WM für Sicherheitskräfte aus ihren Wohnheimen ausquartiert werden, nach scharfen Protesten wurden diese Pläne allerdings revidiert.

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Bildautor: live-karikaturen.ch

 

Außenpolitische Kritik: „Keine Visitenkarte eines guten WM-Gastgebers“
Russlands Außenpolitik sorgte in den vergangenen Jahren für Boykottaufrufe
und den Appell (beispielsweise der USA), dem Land die Gastgeberrechte wieder zu entziehen.
Vor allem das Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine sowie die Einmischung in Syrien und die mutmaßliche Einmischung in westliche Wahlen sorgten für harsche Kritik. Ende April 2018 sprachen sich 60 Abgeordnete des Europäischen Parlaments für einen Boykott der WM aus. In dem von Rebecca Harms (Die Grünen) initiierten Brief heißt es unter anderem: „Der Giftgasanschlag in Salisbury ist nur das neueste Kapitel von Wladimir Putins Verhöhnung unserer europäischen Werte: willkürliche Bombenangriffe auf Schulen, Krankenhäuser und Wohngebiete in Syrien; die brutale militärische Invasion in der Ukraine; systematische Hackerattacken; Desinformationskampagnen; Wahleinmischung; Versuche, die EU zu schwächen und zu destabilisieren – all das steht nicht auf der Visitenkarte eines guten WM-Gastgebers.“
Der Boykottaufruf traf auf Widerstand. Thomas Schwartz, Redakteur beim Fernsehsender RT Deutsch (ehemals Russia Today), kommentierte: „Hier steht in so wenigen Worten so viel Unbewiesenes, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll – und genau diese Wirkung wird durch die hier angewandte mediale ‚Stapel‘-Technik angestrebt, die gegenüber Russland weit verbreitet ist: Man türme Vorwurf auf Vorwurf, damit man als Konsument gar nicht dazu kommt, die einzelnen Vorgänge zu hinterfragen.“
Auch der sächsische Europaabgeordnete Hermann Winkler (CDU) hat sich gegen einen Boykott der Fußball-WM in Russland ausgesprochen. „Sport ist keine Medizin für verfehlte Außenpolitik“, erklärte Winkler, „gerade in dieser aufgeheizten Stimmung, in der sich Europa und die Welt befinden, bieten Großsportveranstaltungen die Möglichkeit, untereinander und mit der Bevölkerung im austragenden Land ins Gespräch zu kommen und um Verständnis für die jeweilige Position zu werben“.
Bundeskanzlerin Merkel hat noch nicht bekannt gegeben, ob und wann sie zu einem der Spiele nach Russland reisen wird. Fakt ist: Trotz aller Kritik findet die WM statt. Russland erwartet zum Finale am 15. Juli 695 000 russische Fans und 568 000 ausländische Gäste. Es ist nur wünschenswert, dass dieses sportliche Großereignis entgegen der Vorbereitungen skandalfrei und friedfertig verläuft und unabhängig von politischen Differenzen das tut, was es soll: Menschen durch den Sport verbinden.

 

Titelbild: By Kremlin.ru, CC BY 4.0

Autor*in

Johanna schreibt seit Anfang 2015 vornehmlich für das Ressort Gesellschaft. Seit Februar 2017 ist sie Chefredakteurin des ALBRECHT. Sie studiert seit dem Wintersemester 2014 Deutsch und Soziologie an der CAU.

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