EUROPA-Hörspielverlag schaltet Disclaimer

Manche mögen es nicht zugeben, manche brüsten sich damit: Hörspielliebe. In den allermeisten Fällen gehören Klassiker wie Die drei ???, Fünf Freunde, TKKG oder Hanni und Nanni zur Kindheit wie kaum etwas anderes. Diese Hörspiele begeistern Generationen und das bereits seit den siebziger Jahren. All diese Reihen haben gemeinsam, dass sie bis heute aus der Schmiede des EUROPA-Labels stammen, das heute Teil der Sony Music Entertainment Germany GmbH ist.  

Abgründe 

Die Privatarchive mancher Liebhaber:innen sind oft groß, doch viele Folgen sind leider schlecht gealtert. Sie enthalten diskriminierende Darstellungen in jedweder Art, seien es beispielsweise Äußerungen zu Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder sexueller Identität. So zeigt sich am Beispiel TKKGs, dass nach Auffassung des Ts, das sich in den ersten Folgen noch Tarzan, später dann Tim mit Spitznamen nennt, Italiener (hier wird bewusst nur die männliche Form genutzt) stets Mafiosi seien, Osteuropäer:innen immer der Kriminalität nahe stünden und Frauen, wie seine Freundin Gaby, sich eher aus den gefährlichen Teilen der Ermittlungen heraushalten sollten.  

Aufarbeitung  

All das sei dem Fakt geschuldet, dass die Hörspiele „ein Produkt ihrer Zeit seien“, so lässt es das Label nun bei Streamingdiensten in einem Disclaimer vor entsprechenden Folgen verlauten. Die diskriminierenden Darstellungen seien damals zu wenig hinterfragt worden. „Jegliche Art von Diskriminierung ist damals wie heute falsch und passt nicht zu unserer heutigen Auffassung von einer vielfältigen und gleichberechtigten Gesellschaft“, so weiter im Disclaimer. Es wird empfohlen, sich kritisch mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Weiterführende Informationen fänden sich auf der Webseite des Labels.  

Klickt man sich bis zu dem etwas versteckten Hinweis durch, zeigt sich ernüchternderweise, dass lediglich zwei relevante Verlinkungen angegeben sind: „Was ist Diskriminierung?“ und „Diversity“.  

Erster Klick. Er führt zur Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Eine Informationsseite erscheint, Antidiskriminierungsprojekte und Forschungsarbeiten werden vorgestellt. Ungeeignet, um sich gemeinsam mit Kindern oder Jugendlichen, die nun mal Hauptzielgruppe von Hörspielen sind, mit Diskriminierung auseinanderzusetzen.  

Zweiter Klick. Ein Artikel auf utopia.de zum Thema „Diversity: Was ist damit eigentlich gemeint?“ von 2021. In diesem Artikel auf dem SPD-eigenen Nachhaltigkeits-Onlinemagazin schreibt die Autorin im letzten Absatz, es zeige sich, dass das Thema an Bedeutung gewinne. Excuse me!? Wir haben — mittlerweile — 2022. 

Aufgesetzt 

Der Schritt des Labels ist zeitgemäß und wichtig. Inhalte, die Diskriminierung schüren, gehören unbedingt aus Kinderzimmern verbannt. Jedenfalls, solange keine gemeinsame Aufarbeitung im Umfeld der Hörenden stattfindet. Aber wer auf weiterführende Informationen verweist, sollte auch Inhaltsreichtum liefern. Eine solche Entscheidung mit zwei unwissenschaftlichen Quellen zu belegen, wirkt schwach und desinteressiert. 

Es sollte nicht nur der allgemeine Disclaimer vor entsprechenden Folgen laufen, sondern speziell darauf eingegangen werden, welche konkreten Aussagen in diesem Hörspiel problematisch sind. So wäre eine fundierte Auseinandersetzung mit Versäumnissen vergangener Tage erkennbar. Ein schwammiger Hinweis zum Beginn einer Hörspielfolge ist nach der Titelmelodie wieder vergessen und woke washing vom Feinsten. 

Aber 

Die Hörspiele dieser Produktionsstätte haben unsere Elterngeneration, unsere eigene und die uns nachfolgende in den Schlaf gewogen, die Zeit auf langen Autofahrten vertrieben und uns in Erinnerungen schwelgen lassen.  

Viele von uns werden hörspielverrückt bleiben. Sie werden lernen müssen, sich kritisch mit ihren Kindheitsheld:innen zu befassen. Und die Jüngsten behalten mit Hörspielen trotz allem einen von Generationen geliebten Weg, Geschichten zu erleben — die Phantasie spielen zu lassen. Gerne mit alten Klassikern im Gewand neuer Folgen, die „unserer heutigen Auffassung von einer vielfältigen und gleichberechtigten Gesellschaft“ entsprechen. 

Autor*in
Chefredakteur

Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Er studiert seit dem Wintersemester 20/21 Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.

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