Prof. Dr. Thomas spricht mit dem ALBRECHT über Gender und Diversität und ihr Darstellung in Medien.

DER ALBRECHT: Wir haben Schauspieler, Comedians, Politiker, also Menschen, die in einer medialen Öffentlichkeit stehen, die mit Migrationshintergrund oder anderer Sexualität als der Heterosexualität bekannt und beliebt sind. In der Werbung aber, sieht man fast nie eine Familie mit ausländischen Wurzeln, eine schwarze Frau oder ein gleichgeschlechtliches Paar. Wie passt das zusammen?

Thomas: Das ist sicherlich eine zutreffende Beobachtung. Werbung bekräftigt in den meisten Fällen die historisch durchaus variierenden Konstruktionen von Normalität. Sie will ein Publikum ansprechen, das möglichst groß sein soll. Daher wiederholt Werbung beispielsweise Bilder von der heterosexuellen Kernfamilie und etablierten Geschlechterrollen, um ein Publikum anzusprechen, das sich damit leicht identifizieren kann. Zugleich finden wir Diversität, denken Sie aktuell an die Werbung für die Modemarke Desigual. Diese ist verbunden mit dem Ziel, die Aufmerksamkeitsschwelle zu überwinden. Zugleich wird Diversität zu Vermarktungszwecken instrumentalisiert.


Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Das sagt erstmal etwas über Werbewirtschaft aus. Man kann freilich argumentieren, dass sie ein Teil der Gesellschaft ist. Sie wiederholt Stereotype und greift auf diese Weise etablierte Bestände von Alltagswissen auf, um eben für eine bestimmte Käufergruppe anschlussfähig zu sein. Von Werbung per se emanzipatorisches Potenzial zu erwarten, ist eine Hoffnung, die sich kaum erfüllen wird. So funktioniert Werbung einfach nicht. Für mich ist immer wichtig zu sagen: Diversität ist dann tatsächlich progressiv, wenn sie einen Unterschied macht und wenn sie sich nicht nur einfügt oder eingefügt wird in Vermarktungs-und Kommerzialisierungslogiken. Ansätze dafür gibt es durchaus, beispielsweise im Bereich des so genannten Quality-TV. Fernsehen verändert sich, zugleich verändert sich das Publikum. Also wenn ich in meinen Vorlesungen frage, guckt kaum jemand von den Studierenden im konventionellen Sinne Fernsehen, sondern sie betreiben stundenlanges ‚binge viewing’ , zum Beispiel über Netflix. Das heißt, sie gucken das an, was sie interessiert und was sie gucken wollen, was zur Vergemeinschaftung beiträgt, weil sie darüber sprechen. Und noch etwas Grundsätzliches: Ich habe immer Schwierigkeiten von ‚der Gesellschaft‘ zu sprechen. Sicherlich schaut die Mehrheit der Menschen in Deutschland noch öffentlich-rechtliches und privates Fernsehen, aber sie schauen unterschiedlich und es verändert sich auch was auf dem Fernsehmarkt. Und hier gibt es auch Angebote, denen ich hoffnungsfroher Potential zuschreiben würde, tatsächlich so etablierte Normen und Wertvorstellungen zumindest zu irritieren.


In Filmen, Serien und Programmen von Komikern, aber auch in der Werbung werden häufig Stereotype und Klischees bedient. Viele lachen darüber. Können Menschen darüber lachen, weil sie tief in sich ein klein wenig xeno- und/oder homophob sind? Und müssten uns solche Witze auf Kosten anderer nicht empören?

Lachen über solche Witze hat viel mit Vergemeinschaftung zu tun. Wir alle wissen, dass beispielsweise viele Frauen über sexistische Witze lachen, obwohl sie davon diskriminiert werden. Das hat mit der Bestätigung von Zugehörigkeit und Angst vor Ausgrenzung zu tun und führt dazu, nicht zu intervenieren, indem man sagt: „Das geht so nicht.“ Damit würde man Debatten anstoßen und sich aus einer Gruppe ausgrenzen, die das erstmal nicht versteht. Und insofern ist das ein Effekt von Machtverhältnissen und einem praktischen Konsens, eben einverstanden zu sein mit etablierten Normvorstellungen. Ich wäre da vorsichtig, das mit Xenophobie gleichzusetzen. Es handelt sich um ein Rekurrieren auf Alltagswissen und Alltagstheorien und das wird sehr stark durch das Bedürfnis stabilisiert, zu einer Gemeinschaft gehören und nicht auffallen zu wollen.

Auch das Rollenbild der Frau scheint stereotypisiert und veraltet: Sie sind diejenigen, die sich um die Wäsche kümmern, putzen und die Kinder erziehen; und das anscheinend mit absoluter Leichtigkeit. Und die Männer sind die „Trottel des Haushalts“, die nichts auf die Reihe bekommen. In Werbefilmen aus den 1950er-Jahren hatten Frauen nur zwei Sorgen: „Was soll ich heute Abend kochen und was ziehe ich heute an?“ Wie hat sich das Fernsehen und damit das Bild der Frau weiter entwickelt?

Heute fügt sich die medial vielfach repräsentierte berufstätige Frau in die Logik der Selbstvermarktung, Leistungsfähigkeit und Konkurrenzbereitschaft ein. Sie hat sich in Konkurrenzverhältnisse zu begeben. Ein Appell zur Wettbewerbsbereitschaft ist etwas, das wir in den Medien vielfach beobachten können und dieser richtet sich eben auch an Frauen. Wir gucken mit blick auf konventionelles Fernsehen dabei nicht nur Werbung, sondern auch das Werbeumfeld und anders herum. In diesem Flow verändern sich Bilder – zum Teil weg von diesen tradierten Vorstellungen von der Hausfrau und Mutter hin zu der selbstvermarktenden Managerin ihrer Selbst. Wenn sie an TV-Shows denken, ist insbesondere mit Blick auf junge Frauen Germanys Next Top Model paradigmatisch. Hier geht es um Selbstvermarktung bis zu, manche behaupten, Selbstpornografisierung.

Was ist der Unterschied zwischen TV und Realität im Hinblick auf Gender und Diversity?

Naja, ich denke zunächst, dass es schwierig ist mit solchen Gegenüberstellungen zu arbeiten. Medienangebote sind vielfach Ausgangspunkt der Aushandlung von Norm- und Wertorientierungen, weil Menschen über mediale Deutungsangebote sprechen und diskutieren und sie sich auf die Weise aneignen. Die Castingformate sind nicht umsonst so attraktiv, weil sie häufig mit FreundInnen geschaut werden. Insofern ist das, was in Medien angeboten wird, Material zur Aushandlung von Identitäten, sozialer Ordnung, allgemeiner: sozialen Wirklichkeiten. Ich finde diese Gegenüberstellung von Realität einerseits und Medien andererseits höchst problematisch, auch für mein Verständnis der Medienanalyse. Medien bilden für mich nichts ab, sondern sie sind Teil der Auffassung von sozialer Wirklichkeit, indem sie Deutungsangebote anbieten, die aufgegriffen und ausgehandelt werde: Dies fließt in Alltagswissen und -handeln ein und auch zurück in die Medienproduktion: Es entsteht ein Kreislauf.

Eine große Möbelhauskette, die in einem Werbespot stark übertriebene Stereotype von Schwulen darstellte, sagte (auf Nachfrage), dass man damit zeigen wolle, dass „alle willkommen“ sind. Was würden Sie zu diesem Statement sagen?

Das ist eine Marketingstrategie, die wir schon länger kennen. Zigarettenmarken haben das ja auch schon mehrere Male umgesetzt. Es ist ein Versuch, die Aufmerksamkeit zu erregen und Diversität wird eingefügt in Kommerzialisierungslogik. Ich möchte bezweifeln, dass dies tatsächlich zu einer Irritation von Normvorstellungen führt. Insofern ist es nichts Neues, sondern etwas, was wir schon auch immer wieder finden, was dann durchaus Empörung bei einigen auslöst, aber wohl beim Großteil der Leute tatsächlich kaum als Erweiterung der Repräsentation von Lebensweisen wahrgenommen wird.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach in der Medienlandschaft ändern?

Was müsste sich ändern? Mit den Wünschen ist es ja eine schwierige Sache. Also, ich sehe durchaus hier und da Ansätze. Ich bin nicht allzu optimistisch, aber ich glaube auch nicht, dass sich gar nichts getan hat mit Blick auf Ihre Anmerkung zu dem Frauenbild der 1950er und 1960er- Jahre. Ich denke an den Bereich der so genannten Quality-TV-Serien, wie z.B. in Transparent oder andere Formate, die als populärkulturellen Angebote dazu dienen können, Leute zu irritieren und ins Gespräch zu bringen und eben zu einer Pluralisierung, beispielsweise von Geschlechteridentitäten und von Begehrensformen beitragen. Es gibt mittlerweile mit den digitalen Medien Orte, wo auch alternative Entwürfe von Subjekt- und Seinsweisen repräsentiert werden. Da ist etwas in Bewegung geraten und wir alle können in digitalen Medien etwas dazu beitragen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Rune Weichert.

 

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